How could you?

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Entsetzt sah Tegan mich an. Seine erste Gefühlsregung, seit ich aufgewacht war. Auch die Wache musterte mich, als sähe sich mich nun mit ganz anderen Augen. Victor freute sich über Tegans Reaktion.

„Ist das nicht wundervoll? Sie haben mir unsere Urahnin gebracht. Und nun, werde ich ihr alles entlocken was sie weiß.“

Jetzt kannte Tegan mein Geheimnis. Ein Geheimnis, welches ich seit hunderten von Jahren schütze. Doch offenbar, war das Geheimnis keines mehr. Victor hatte es herausgefunden. Ich fragte mich wie. Obwohl es im Grunde nicht von Bedeutung war. Es würde diesen Raum nie verlassen. Selbst wenn es bedeutete, dass ich Tegan doch töten musste. Mein Geheimnis war bedeutender als die Gefühle, welche ich für Tegan entwickelt hatte.

Victor umfasste mein Kinn und drehte mein Gesicht in seine Richtung. Kalt sah ich ihn an. Er war sich seiner so sicher. Eine Tatsache, die mich hätte stutzig machen sollen. Andererseits war mir sein übergroßes Ego nicht fremd.

Also dachte ich nur daran, dass das hier in dem Moment beendet sein würde, in dem ich keine Lust mehr darauf hatte. Eine Sekunde lang ärgerte ich mich darüber, dass ich letzte Nacht nicht doch von Tegan getrunken hatte. In meinem geschwächten Zustand würde meine Flucht kein Zuckerschlecken werden.

„Was dachten Sie, warum sie immer unterwegs ist?“, fragte Victor Tegan interessiert.

Doch der sah mich noch immer an, als hätte ich ihm das Herz heraus gerissen. Vielleicht stimmte das sogar. Ohne auf Tegans Antwort zu warten, fuhr Victor fort:

„Sie war nicht einfach nur auf der Flucht. Sie hat hinter ihren Kindern aufgeräumt. Was glauben Sie, warum die Menschen so selten auf uns aufmerksam werden? Das ist keinesfalls der Verdienst des Ordens. Nein. Das war sie. Sie sorgt dafür, dass wir unentdeckt bleiben. Welch Ironie, wo wir es doch sind, die sie jagen und nicht die Menschen.“

Victor ließ mein Gesicht los und strich stattdessen über meinen tätowierten Unterarm. Schlagartig wurde mir wieder übel. Tegan schluckte. Sein Blick hatte sich verändert, während Victor gesprochen hatte. Er war nicht mehr entsetzt, viel mehr … entschlossen. Vermutlich war er sich nun sicher, dass er richtig handelte, wenn er mich einfach hier ließ. Bei diesem Gedanken, zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen.

Plötzlich durchfuhr mich ein stechender Schmerz. Ich war dermaßen auf Tegan fixiert gewesen, das ich nicht bemerkt hatte, wie Victors Wache ein Silbermesser hervor holte und mir den ganzen Rücken aufschlitzte. Meine Finger griffen nach den Ketten, an denen ich hing. Fest schlossen sie sich um das kühle Metal. Blut rann meine Beine entlang und sammelte sich in einer kleinen Pfütze auf der Plane, welche zu meinen Füßen lag. Kaum das mein Rücken wieder vollständig verheilt war, schnitt die Wache erneut durch mein Fleisch. Meine Finger krampften sich um die Ketten, mein Kiefer knirschte.

Victor beobachtete mich und begann irre zu lachen.

„Also stimmt es, dass sie allergisch auf Silber ist. Wer hätte das gedacht. Mein Verdacht scheint sich zu bestätigen. Nicht nur die Vampire stammen von ihr ab. Die Werwölfe tun es auch!“, rief er erfreut aus.

Wie Recht er doch hatte.

Tegan sah mich noch immer an. Bei Victors Worten hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Vermutlich schockte ihn nichts mehr so leicht, nachdem er wusste, dass ich ihn belogen hatte.

Wieder spürte ich, wie Silber mein Fleisch teilte. Mein Rücken und meine Beine brannten. Es fühlte sich an, als würde sich Säure durch meine Haut fressen. Ich konnte fühlen wie ich schwächer wurde. Wenn ich fliehen wollte, dann jetzt. Ich zog mich an den Ketten hoch, verpasste der Wache einen Tritt gegen den Kopf, der seinen Schädel brechen ließ. Mit einem mentalen Befehl sprengte ich die Ketten. Tegan reagierte blitzschnell. Er packte Victor und stieß ihn zu Boden. Im ersten Augenblick dachte ich er wollte ihn schützen, in dem er ihn aus meiner Schussbahn schaffte, doch dann sah ich wie er ihm mit einer schnellen Bewegung den Hals brach. Das tötete ihn nicht, setzte ihn aber für einige Minuten außer Gefecht. Unsicher ob Tegan mich angreifen oder mir helfen würde, sah ich ihn an. Meine Beine zitterten leicht und gaben mir keinen festen Stand. Wenn er mich angriff, würde ich mich auf meine Fähigkeiten verlassen müssen, um mich zu verteidigen. Doch dazu sollte es gar nicht kommen.

Mit einem Satz schoss Tegan auf mich zu. Er holte zum Schlag aus. Aber er traf nicht mich. Die Wache war wieder aufgestanden und hatte sich von hinten an mich rangepirscht.

Tegan beugte sich zu der Wache, welche erneut auf dem Boden gelandet war, runter und riss ihr mit bloßen Händen den Kopf ab. Sie war tot.

Gerade noch rechtzeitig drehte Tegan sich wieder zu mir um. Ich verlor den Halt, doch er fing mich gekonnt auf. Langsam bekam er Übung darin. Tegan hob mich hoch und trug mich in ein anderes Zimmer.

„Geht’s?“, fragte er leise, als wir vor einem Schreibtisch standen.

Ich nickte. Er stellte mich auf die Füße, zog seinen Mantel aus und legte ihn mir um die Schultern. Ich schlüpfte in die Ärmel und schloss mit fahrigen Händen die Knöpfe. Währendessen sammelte Tegan sie Waffen ein, welche über den kompletten Tisch verteilt waren. Er reichte mir meine Handfeuerwaffe und die Wurfmesser. Den Rest steckte er selbst ein. Leise bewegte ich mich auf die Tür zu, Tegan war direkt hinter mir.

„Der Wagen steht vor dem Haupteingang“, flüsterte Tegan kaum hörbar.

Ich nickte ihm kurz zu, um ihm zu signalisieren, dass ich verstanden hatte. Vorsichtig öffnete ich die schwere Tür und sah durch einen Spalt in den Flur. Niemand zu sehen. Lautlos liefen wir zur Treppe. Von unten waren Stimmen zu hören. Während wir uns Stufe für Stufe nach unten bewegten, lauschte ich:

Victor behauptet auf etwas gestoßen zu sein, dass alles verändern wird. Ich hoffe für ihn, dass es sich nicht schon wieder um eines seiner Hirngespinste handelt. Wenn sein Rückhalt im Orden nicht so groß wäre, hätte ich ihn längst absetzten lassen“, tönte eine Stimme recht laut.

Zustimmendes Gemurmel war zu hören. Am unteren Ende der Treppe blieben wir stehen und sahen uns um. Zwar schienen sich überall Vampire aufzuhalten, aber niemand war auf uns aufmerksam geworden. Fragend sah ich Tegan an. Er hob einen Finger und bedeutete mir hier zu warten. Er sprintete zur Eingangtür und sah durch den Spion nach draußen. Er hob zwei Finger. Alles klar. Schnell folgte ich ihm. Er öffnete die Tür und brach zeitgleich mit mir einer Wache das Genick. Vorsichtig legten wir beide auf den Boden. Soweit so gut. Zusammen mit Tegan hechtete ich zum Wagen, sprang hinein und Tegan fuhr los. Am Tor duckte ich mich hinter seinem Sitz, damit niemand mich sah. Die Wachen nickten Tegan zu, öffneten das Tor und entließen uns in die Nacht.

Zwanzig Blocks weiter hielt Tegan auf einem Parkplatz an. Mittlerweile saß ich neben ihm auf dem Beifahrersitz. Eine Zeitlang starrte Tegan aus dem Fenster, dann drehte er sich plötzlich zu mir um und ließ mit voller Wucht seine Faust in mein Gesicht fliegen.

„Wie konntest du?“, brüllte er mich an.

I want your deathWhere stories live. Discover now