09.

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• Harry Hudson - No Good •

Die spitze meines Kugelschreibers schwebt über der noch weißen, unbefleckten Seite meines Collegeblocks, eifrig, etwas aufzuschreiben, aber dann denke ich nein, das ist blöd, lege den Stift wieder hin und lasse mich seufzend zurück in den Stuhl fallen.

Frustriert stecke ich mir eine dunkle Strähne hinters Ohr und beuge mich wieder über meinen Tisch. Ich darf nicht aufgeben. Irgendetwas muss mir doch einfallen. Denk nach, Nora, denk verflucht nochmal nach!

Zwei Sekunden später gebe ich wieder auf, schaue auf die Uhr und lasse seufzend den Kopf fallen. Ich sitze nun schon seit einer dreiviertel Stunde hier und mir will partout nichts einfallen.

Als ich vorhin von der Schule gekommen bin, habe ich mir vorgenommen nach den Hausaufgaben eine Liste zu erstellen, mit Dingen, die Atlas und ich zusammen erleben könnten - so wie in alten Zeiten eben -, aber wir sehen ja, wie super das läuft. Sobald mir etwas einigermaßen Akzeptables einfällt, verwerfe ich die Idee wieder. Entweder ist es illegal, unerreichbar oder einfach nur unmöglich, weil keiner von uns das nötige Geld bebesitzt.

Damit ich mir nicht wie der letzte Vollidiot vorkomme und nicht das Gefühl haben muss, nichts geschafft zu haben, schreibe ich in die obere, rechte Ecke das heutige Datum. Ich lege den Kopf schief und mustere die nicht mehr ganz so leere Seite, aber auch das bringt mir keine Befriedigung und ich rolle mit dem Stuhl so weit vor, bis ich komplett gerade am Schreibtisch sitze.

Ich beuge mich vor und drehe langsam die Musik lauter, die aus meinen Bluetooth-Boxen erklingt. Nur, dass sie jetzt nicht mehr erklingt, sondern viel mehr aus den Boxen dröhnt, aber das ist gut. Musik ist gut. Musik ist Inspiration.

Ich nehme den Stift wieder in die Hand, schließe die Augen und konzentriere mich auf das Vibrieren in meiner Brust. Die Musik ist so laut, dass ich sie nicht nur höre, sondern auch spüre. Das Beben und Vibrieren strömt wie Blut durch mich hindurch, erreicht mein Herz und meinen Kopf und einfach jeden Millimeter meines Körpers, bis es anfängt in meinen Fingerspitzen und Zehen zu kribbeln.

Ich stelle ich mir vor, die Musik würde mich wegtragen, raus aus meinem Zimmer, an einen anderen, schöneren Ort. Und dann stelle ich mir vor, Atlas stünde neben mir, dort, an diesem Ort, der kein Ort ist, sondern einfach nur ein heller, leerer Raum in meinem Kopf. Aber das wo spielt auch keine Rolle, viel mehr geht es um den Menschen, der bei mir ist.

Er sieht mich an, lächelt und nimmt meine Hand, verschränkt seine Finger mit meinen. Es fühlt sich an, als wären unsere Hände nur dafür gemacht, sich zu halten.

Mein Blick wendet sich von unseren Händen ab und bleibt an Atlas' hängen. Sein Haar schimmert silbern, seine Augen sind von einem so hellen Blau, dass sie fast schon weiß aussehen und sein Lächeln - Gott, sein Lächeln.

Ich schaue auf, um ihm in die Augen zu sehen und bemerke, dass sein Blick an meinen Lippen klebt. Seine schönen Augen an meinen spröden Lippen. Am liebsten würde ich die Hand vorhalten, um ihm diesen Anblick zu ersparen, aber stattdessen senke ich langsam den Blick wieder auf seinen Mund und ich nicke, kaum merklich, wie ein stummes Okay, als er sich zu mir beugt. Und alles ist einfach schön, so so schön, dass ich vergesse, wieso ich das hier gerade überhaupt tue, doch dann, kurz bevor sein Mund sich auf meinen legt, erinnere ich mich wieder und reiße erschrocken die Augen auf.

In diesem Moment bin ich mehr als erleichtert darüber, dass niemand meine Gedanken lesen kann, denn ich wüsste nicht, wie ich das eben erklären sollte. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als ich mich an Atlas' Gesichtsausdruck erinnere, als er mich angesehen hat und an seine Hand, die meine gehalten hat. Mir wird auf einmal ganz warm.

Behind Blue Eyes [PAUSIERT]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt