21.

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• Sufjan Stevens - Mystery of Love •

Yashar taucht am nächsten Tag nicht im Geschichtsunterricht auf. Immer wieder wirft Mila mir einen verwirrten Blick zu und ich bin froh, dass ich mich wieder neben Nikolaj gesetzt habe und nicht zu ihr und den anderen. Vermutlich würde sie mich sonst wie bei einem Verhör mit Fragen durchlöchern.

Atlas sitzt wieder vor mir. Dieses Mal schläft er nicht, stattdessen hat er den Kopf auf den Händen gestützt. Ab und zu schaut er zurück und wirft mir einen Blick zu. Er sieht aus, als würde er jeden Moment einschlafen, aber nicht, weil er müde ist, sondern einfach weil Herr Weppelmann der wahrscheinlich langweiligste Lehrer überhaupt ist. Wenn es jemals so eine Auszeichnung geben sollte, hätte er sie auf jeden Fall verdient.

Nach dem Unterricht laufe ich zu Atlas und verschwinde mit ihm aus dem Klassenraum, bevor Mila mich ansprechen kann. Auf dem Weg zu unseren Schließfächern halte ich die Augen auf und suche die Gänge aufmerksam nach Yashar ab, aber er ist nirgendwo zu sehen und irgendwann gebe ich die Hoffnung auf.

»Alles gut?«

Erschrocken zucke ich zusammen. Für einen kurzen Augenblick habe ich vergessen, dass Atlas neben mir her läuft. Ich bin so vertieft in meine Suche und Gedanken gewesen, dass ich alles um mich herum ausgeblendet habe. Unruhig spiele ich mit dem Riemen meines Rucksackes und schüttele den Kopf. »Yashar ist nicht da.«  

Langsam hebe ich wieder den Blick und sehe Atlas an, der die Lippen aufeinander gepresst hat.

»Meinst du, ich soll ihn einfach anrufen oder zu ihm Nachhause gehen?«, frage ich, während ich im Kopf die Orte durchgehe, an denen Yashar jetzt sein könnte, aber so viele sind das nicht. Entweder, er hat einfach nicht so viele Orte, die er gerne besucht oder ich kenne ihn doch nicht so gut, wie ich immer geglaubt habe. »Ich muss mit ihm reden. Wenn ich ihn nicht endlich sehe, platze ich noch. Im ersten Moment mache ich mir Sorgen um ihn, dann fürchterliche Vorwürfe, aber dann bin ich wieder wütend und das alles dreht sich in einem endlosen Kreis. Es fühlt sich wirklich so an, als könnte mein Kopf jeden Augenblick explodieren.«

Atlas lächelt schwach. »Ja, du solltest unbedingt mit ihm reden.«Er nimmt kurz meine Hand in seine und drückt sie sanft. Die Berührung ist so schnell vorbei, dass ich im ersten Moment befürchte, dass ich mir das nur eingebildet habe, aber meine Hand kribbelt immer noch. Selbst, als seine Finger sich schon lange von ihr verabschiedet haben. 

»Du kommst doch mit, oder?«  

Sein Lächeln fällt in sich zusammen, während er langsam den Kopf schüttelt. »Lieber nicht. Du weißt doch, er hasst-«

»Er hasst dich nicht, Atlas«, unterbreche ich ihn, als wir an meinem Schließfach ankommen.  

»Na, wenn du das sagst.« Er fährt sich seufzend durch die Haare, während er sich an einen Spind lehnt. »Ich bin trotzdem der Meinung, dass das eine Sache zwischen euch ist. Mich geht das überhaupt nichts an.«

Gerade als ich antworten will, nehme ich plötzlich seltsame Geräusche wahr. Ich spanne mich augenblicklich an. Es ist, als würde ich die Gefahr wittern, bevor ich sie sehe. Ohne mich umzudrehen, weiß ich, dass sie gerade in unsere Richtung kommen. Ich höre das Klackern ihrer Schuhe durch die Gänge hallen, ihr nerviges Gekicher bereitet mir Kopfschmerzen.

»Schon Ersatz für Yashar gefunden?«, zischt Mila hasserfüllt, während ihr Blick über Atlas schweift und schließlich wieder an mir hängen bleibt. Es ist, als versuche sie, mit ihren Augen Giftpfeile auf mich abzufeuern. Ich schlucke. Schlucke meine Wut herunter. Schlucke den Drang, ihnen einzeln die Haare rauszureißen, herunter.

Behind Blue Eyes [PAUSIERT]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt