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• Angus & Julia Stone - The Devil's Tears •

In der Schule ist es seltsam. Inzwischen sind mehrere Tage vergangen. Und obwohl Atlas und ich uns nicht wirklich gestritten haben, reden wir seit dem Abend am See nicht mehr miteinander.

Ich will es. Will es wirklich. Ich will mit ihm reden. Ich will ihn fragen, wie sein Tag gewesen ist, wie es ihm geht, ob er auch so oft an diesen Kuss denkt wie ich. Aber ich schaffe es nicht. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, beschleunigt sich mein Puls. Meine Handflächen werden nass und ich habe das Gefühl, jeden Moment könnte eine Rakete aus meiner Brust geschossen kommen.

Wenn sich unsere Blicke kreuzen, schaue ich schnell wieder weg. Es ist als wäre ich wieder zwölf und gerade in der Pubertät. Ich weiß selbst, dass ich mich peinlich benehme.

In den Gängen, auf dem Pausenhof, in der Mensa gehe ich ihm aus dem Weg. Auf seine Nachrichten antworte ich nur knapp. Seine Anrufe nehme ich meistens gar nicht erst an und als er mich die ersten Tage noch angesprochen hat, habe ich jedes Mal so getan, als hätte ich es unheimlich eilig.

Kurzum: ich benehme mich wie das letzte Arschloch.

Wieso ich das tue? Das ist nicht so einfach zu erklären. Jedes Mal nehme ich mir vor, mich zu entschuldigen, mich wie ein anständiger Mensch zu benehmen, aber dann - dann sehe ich ihn im Gang und alle meine guten Vorsätze sind weg. Alles, was da noch ist, ist dieser Kuss und dann der erschrockene Ausdruck in seinen Augen. Augen, die förmlich nach Reue schreien.

Was die schlaue Nora also tut? Sie geht Atlas aus dem Weg, um ihm erst gar nicht die Chance zu geben, die Freundschaft zu beenden. Dass das Ganze nicht wirklich schlau und weit entfernt von logisch ist, ist meinem Unterbewusstsein wohl egal.

Die Mittagspausen verbringe ich gemeinsam mit Yashar. Er hat sich inzwischen von Mila und den anderen abgewandt. Was genau zwischen ihnen vorgefallen ist und wie die Sache geendet hat, weiß ich nicht, nur, dass sie nichts von seinem Outing weiß. Sie nicht, und auch sonst niemand. Niemand außer mir. Und Atlas.

Auch heute sitzen wir zusammen. Und trotz allem, was zwischen uns gewesen ist, fühlt es sich tröstlich an, ihn an meiner Seite zu wissen. Als guten Freund.

Ich betrachte seine braunen, leichten Locken und die braunen Augen, die auf den Pudding auf meinem Tablett geheftet sind.

Zuerst ist es seltsam gewesen, aber langsam gewöhne ich mich an den Gedanken. Yashar und ich sind Freunde. Vielleicht sogar sehr gute Freunde. Aber mehr nicht.

»Willst du?«, frage ich und deute auf den Pudding, den er immer noch anstarrt, als wäre er ein Schatz. Yashar reißt den Blick von dem Pudding und sieht mich scheinheilig an. »Wieso, isst du den nicht mehr?«

»Nee, den bekomme ich nicht mehr rein«, lüge ich und klopfe mir dabei auf den Bauch, um meinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Dabei habe ich mich, um ehrlich zu sein, echt auf den Nachtisch gefreut. Nur leider kann ich Yashar, wenn er mich mit seinen Welpenaugen - er wird jedes Mal wütend, wenn ich dieses Wort benutze - ansieht, niemals etwas abschlagen.

Ich schiebe ihm den Pudding zu. Er stürzt sich beinahe augenblicklich darauf, woraufhin ich leise in mich hineinlache.

Ich mustere ihn wieder, während er den Pudding löffelt. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er sich heute anders verhält als sonst. Er wirkt in sich gekehrt, als beschäftige ihn etwas.

»Alles okay bei dir?«, frage ich vorsichtig, während mein Blick hastig über sein Gesicht, seine Arme und seinem Hals fährt, um sicherzugehen, dass er keine neuen Verletzungen trägt. Aber er sieht gut aus.

Behind Blue Eyes [PAUSIERT]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt