Pétillante

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Magnus

"Findet ihr nicht auch das es irgendwo auf dieser Welt einen schöneren Ort gibt?" Ich sehe in die blaugrünen Augen meines Gegenübers. Seine lockigen, weißgoldenen Haare sind mittlerweile etwas lang. Aber auch das schien ihm zu stehen. Mark war ungefähr so groß wie ich. Vielleicht etwas dünner, was auch an seinen jungen siebzehn Jahren liegen kann. Er arbeitete seit kurzem in der Bibliothek. Gemeinsam sortierten wir Bücher ein oder aus, putzten Staub und brachten der Oberschicht oder Schulen die Bücher. Ich lernte ihn gerade an, denn neben arbeitete ich noch bei der Post.

"Ich finde eher das du sehr naiv bist." Kurz sah er mich ernst an. Für ihn war es immer noch neu, das in diesem System in dem wir lebten, jemand offen und ehrlich war. Aber ich sträubte mich gegen diese Stadt und die Politik, gegen die Personen die, die Herrschaft bald an sich reißen werden und gegen die Rollen der Geschlechter. Ich war gegen die Regeln und Gesetze, die das menschlichste verbieten und ja ich stand dazu. "Träumst du nie?" Es war die erste Frage, die er ebenfalls offen mir stellte. Sie kam trostlos aus ihm heraus. Fast schon mit Wehmut begleitet. Gern würde ich ihm sagen, das der Frieden ewig bleiben würde und das es irgendwo anders besser ist. Aber ich konnte es nicht. "Nein und jetzt komm wir müssen noch die neuen Übersetzungen einsortieren."

Doch bevor es dazu kam, ließ uns beide die Klingel, die über der Ladentür hing, aufsehen. Mein Vater, Asmodeus Bane kam herein. Er war ein hochgewachsener, schlanker Mann. Seine Haare waren so wie meine schwarz, wie Ebenholz. Mark ging in den hinteren Teil als er den Blick von ihm sah. Dieser schien fast tödlich, kalt und furchtlos. "Magnus, die junge Branwell hat zum Tee geladen. Du wirst dort erscheinen." Ich nicke denn so komme ich mal wieder unter Leute. Damit ging mein Vater auch schon wieder.

Da ich Mark nicht hängen lassen wollte, erklärte ich ihm alles genau und blieb dafür auch etwas länger. Er schien viele zu Frage zu haben. Es wäre unfair ihn mit den Aufgaben allein zu lassen. Trotzdem musste ich mich irgendwann verabschieden. Der Wohnblock in dem ich wohnte lag direkt gegenüber, was den Arbeitsweg ungemein verkürzte.

Schnell begab ich mich in den dunkelgrauen Anzug. Er war schwer und doch mochte ich ihn. Die silbernen Manschettenknöpfe sahen schon abgegriffen aus aber das machte sie auch irgendwie zum Unikat.

Noch einmal sah ich direkt in die hoch stehende Sonne, die von Tag zu Tag immer wärmender wurde. Ein kitzeln kam in meiner Nase auf. Kurz darauf musste ich niesen. Ich kräuselte meine Nase leicht bevor ich den Weg zu den Branwells zu Fuß zurück legte.

Nur selten grüßte ich Leute, denn in mir kam immer wieder die Frage auf, ob sie mich auch grüßen würden, wenn ich es nicht täte. Erschien ich dadurch zu unhöflich? Oder wollte die Bäckersfrau nicht gerade in diesem Augenblick, wo ich vorbei lief, ihre Ruhe?

Ich ließ mir Zeit bei dem Weg, ich würde sowieso etwas zu spät kommen, da kam es auf fünf oder zehn Minuten mehr nun auch nicht mehr an. Zudem schien mir die Tochter der Branwells, Lydia hieß sie glaube ich einfach zu freundlich. Ständig ein lächeln oder ein nettes Wort. Nichts schien sie zu nerven. Ich habe noch nie erlebt das sie sich über irgendetwas aufgeregt hat. Obwohl es doch so etwas normales war. Zudem redete sie viel zu viel.

Ich atmete tief durch und klopfte dann an die braune Tür. Fast sofort wurde sie geöffnet durch Lydia. "Magnus, schön euch hier zu sehen. Euer Vater scheint sehr beschäftigt zu sein." Ich nickte. "Das ist er in der Tat. Entschuldigt das zu spät kommen." Ihre blonden Haare umspielten ihren Hals und das altrosa Reformkleid schmiegte sich an ihre Kurve. "Ihr seid noch sehr pünktlich. Es fehlen noch einige Gäste. Aber ihr könnt im Garten warten." Wieder kann ich nur nicken.
Ich trat hinaus in den Garten. Er schien gepflegt. Ich ließ meinen Blick wandern.

Fast sofort blieb ich an diesem Mann hängen. Das erste was mir auffiel war die gute Körperhaltung, die man leider viel zu selten in der Gesellschaft sah. Dazu die verträumt lächelnden Augen, die in einem Moment grün und im nächsten braun wirkten. Sie glitzerten für sich selbst, zogen mich in einen Bann aus Zuneigung und Sehnsucht. Auch er sah mich an.

Ich konnte nichts tun, ihn nur ansehen und feststellen wie schön er doch war. Die dunklen Haare die ordentlich zurück gekämmt waren und trotzdem ein einziges Durcheinander bildeten. Die hohen Wangenknochen, die ihn maskuliner aber gleichzeitig auch weicher erscheinen ließen. Er war groß. Definitiv größer als ich. Seine langen Beine schienen gut definiert. Wie der Rest seines Körpers.

In mir kam das verlangen auf ihn zu berühren, sein Herz unter meiner Hand schlagen zu spüren. Ich wollte erfahren ob die Lippen, die gerade zu einem kleinen Lächeln verzogen sind, genau so weich waren, wie sie aussahen. Ich wollte wissen wovon er träumt und warum das Träumen so schön ist. Ich wollte das er mich in diese andere Welt entführt, in der er sich viel wohler fühlte. Ich hatte Hoffnung das er trotzdem nicht so naiv war. Ich wollte mit ihm reden und gleichzeitig auch mit ihm die Stille genießen.

Irgendetwas, tief in mir drin, wünschte sich, für einen Tag und doch für immer ihm zu gehören, an seiner Seite die nächsten Jahre überstehen. So absurd es auch erschien, ich wünschte mir von dem Mann zu träumen. Nur einmal morgens aufzuwachen und genervt zu sein, das es doch nur ein Traum war.

Auch wenn dies nie passieren würde, denn allein der Gedanke daran mit einem anderen Mann etwas anzufangen, war strafbar. Es gab nicht mal ein Wort was so eine Beziehung beschrieb, denn mir war selbst keine bekannt. Solche Menschen wurden verfolgt. Es galt als Verbrechen oder auch Krankheit. Viele wurden in Psychiatrien zwangseingewiesen. Manchmal wurde es auch als neurotische Störung bezeichnet. Eine medikamentöse Behandlung sollte dagegen wirken oder die Krankheit kurieren. Dabei sprachen sie von etwas so mächtigen, was selbst die größten Forscher und Mediziner niemals heilen könnten. Man könnte keine Gefühle heilen. Vielleicht kann man sie kurz verdrängen aber niemals auslöschen.

Wir sahen uns weiter hin an. Wir waren immer noch in diesem Bann gefangen und ich hatte kein Bedürfnis ihm auszubrechen. In seinen Augen regte sich etwas. Als würde er in den Sternenhimmel schauen und die Sterne würden sich drin spiegeln. Es war ein aufleuchten und dieses mal war es nur für mich. Ich konnte ihn nur schief anlächeln und er erwiderte es. Wenn ich nur seinen Namen wüsste.

"Der Tee ist fertig." Die Stimme von Lydia riss uns beide aus diesem Moment und brachte mich zum nachdenken. Die große Literatur schrieb meist von einem Herzklopfen, so laut und so schnell, das es jeder andere auch hören und fühlen konnte. Aber hier war es eher beruhigend. Trotz der Gefährlichkeit des intensiven Blickes, war da nur ein Frieden in mir, den ich nur so verspürt hatte. Er war mir Fremd aber ich begrüßte ihn mit offenen Armen, denn auch die Seele brauchte einmal Ruhe und wenn allein der Blick schon das bei mir auslöste, so konnte ich nicht weiter denken.

Ich und alle anderen die im Garten sich versammelt hatten gingen in die Wohnung wieder herein. Die Stube war gemütlich und so eingerichtet wie bei allein anderen. Es gab eine Schrankfront mit den verschiedensten Vitrinen. Eine kleine Couch für ungefähr drei Personen und einen Plattenspieler.

Ich mochte die Musik und das tanzen. Es machte einen fröhlich, egal auf welche Weise. Man konnte vergessen für einen Augenblick, wo das Lied spielte und die Füße einen trugen und nicht der Kopf.

Mehrere Tische waren aneinander gereiht. Die meisten Plätze waren schon belegt und so setzte ich mich etwas abseits. Hier konnte man gut alles beobachten und einfach nur zuhören. So gern ich auch die Gesellschaft von anderen genoss, war mir doch nicht immer zum reden zu mute.

Wie mir, schien es auch dem Mann aus dem Garten zu gehen, denn er setzte sich neben mich. Ich bekam nicht mit wie die Tassen gefüllt und das Gebäck verteilt wurde. Dabei war ich zu sehr von ihm gefesselt. Ich sah ihm zu wie er einatmete und gleich darauf mich ansah. Ungläubig sah er mich an, mit einem lächeln in den Augen.

Und obwohl es so riskant war, sollte ich mich diese Nacht noch verlieren.

Pétillante [Französisch] - ein funkeln

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