Je ne l'ai pas vu venir

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Alexander

27. März 1935

Die Zeit sie rennt und rennt. Sie holt keine Luft, denn sie hat keinen Platz mehr zum atmen. Auch wenn erst wieder ein paar Tage vergangen sind, so ist so viel passiert. Ich habe das Gefühl nicht jeden Tag genug auszukosten. Ich verpasse etwas, was sich genau vor meinen Augen abspielt. Nur ist es in der Ferne. Ich kann nicht danach greifen, obwohl ich immer den Hauch von etwas spüre wenn ich meine Hände danach ausstrecken möchte.

Ich fahre mir durch meine Haare und sehe dann auf die dampfende Tasse vor mir. Grüner Tee war schon immer mein liebster. Ich trinke ihn nur wenn ich über etwas nachdenken muss aber mein Kopf scheint von den letzten Ereignissen und damit meine ich explizit Magnus komplett überfordert zu sein. Ich träume und gleichzeitig denke ich nach. Ist das überhaupt möglich? Ich schüttle selbst den Kopf über mich.

Magnus und ich sind in uns in den letzten Nächten immer näher gekommen und damit meine ich nicht körperlich sondern rein emotional. Ich habe so viel über ihn erfahren. Er hat sich geöffnet und ich konnte es ihm nur gleich tun. Mittlerweile war er eine Konstante in meinem Leben, wo ich nicht wusste das ich mich überhaupt nach so etwas gesehnt hatte. Aber jetzt konnte ich mir nichts schöneres vorstellen als jeden Tag nach der Arbeit zu unserem Platz zu laufen und mit ihm die restlichen Stunden vor Mitternacht zu genießen.

Ein kurzer Windstoß, ein zaghaftes treffen von Haut auf Haut lässt mich aufsehen. Unmerklich und allein für mich spür und sichtbar hat Magnus meine Hand berührt und allein aus dieser vermeintlich versehenen Berührung konnte ich neue Kraft aber vor allem Mut heraus filtern. Ich saß vor einem kleinen und auch einzigen Café in Idris.

Ich war überrascht Magnus hier zu sehen. Er hatte erzählt das er lieber seinen Tee in seinen eigenen vier Wänden genoss. Trotzdem musste ich lächeln als er bei der älteren Dame einen schwarzen Tee bestellte. "Erzählt mir, was beschäftigt euch?" Um den Schein zu wahren gingen wir in aller Öffentlichkeit immer auf die Höflichkeitsform zurück. Es war irgendwie interessant, denn jetzt verhielten wir uns wie schlechte Bekannte, die nur über den anderen etwas erfahren wollen um danach darüber zu tratschen. Nur wir beide wussten das da viel mehr dahinter steckte, als eine Bekanntschaft.

"Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl mir entgeht etwas wichtiges. Aber das wichtigste sitzt ja jetzt vor mir." Den letzten Teil flüstere ich leise. Magnus wird leicht rot und am liebsten würde ich ihn dafür küssen aber recht schnell erinnere ich mich wo wir uns befinden.

Mittlerweile reagiere ich auf jede kleine Berührung von ihm empfindlich. Es ist immer so als würde ich mich verbrennen und gleichzeitig macht dieses Gefühl so abhängig. Es ist sanft und stark, leicht und dennoch mit Druck, es erregt und gleichzeitig entspannt es. Dieses Gefühl und das Verlangen Magnus endgültig nah zu sein steigt von Tag zu Tag. Ich träume nachts davon und das sehe ich auch Morgens deutlich.

"Aber erzählt, habt ihr einen freien Tag?" In der letzten Woche war ich durchgängig arbeiten, da Kieran fehlte. Er hatte sich krank gemeldet und heute war er zum ersten mal wieder da gewesen. Er sah erholt aus und ich hatte das starke Gefühl das er das mit dem Kleinen geklärt hatte. Fast schon stolz hatte er mir heute morgen erzählt das er für ihn sogar mit dem rauchen aufgehört hatte.

"Ja nachdem Mark auch mal wieder entschieden hat arbeiten zu kommen, bin ich einfach gegangen. Ich wollte gerade etwas die frische Luft genießen als ich euch gesehen habe." Ich nicke nur und lächle ihn dann sanft an.

Magnus hatte sich verändert. Er zeigte mir viel mehr sein lächeln. Seine Stimme war samtiger geworden und immer wieder erwischte ich ihn wie er über Gefühle sprach. Ich durfte den echten Magnus kennen lernen, der sogar anfing zu träumen.

In vollkommener Stille tranken wir unseren Tee. Wir beide waren in unseren eigenen Gedanken gefangen aber auch das war in Ordnung. Das beisammen sein zählte und ich liebte es, so wie ich ihn liebte. Jede Minute ein Stück mehr.

"Wollt ihr mich noch etwas bekleiden?" frage ich nachdem wir beide getrennt voneinander bezahlt hatten. "Gern. Aber ich habe heute Abend noch eine Verabredung." Unbeabsichtigt zwinkerte er mir zu. Seine Eltern hatten eine kleine Reise vorgenommen weswegen wir die Bank gegen sein Zimmer austauschten. Schon die ganze Woche freute ich mich darauf. Mich interessierte wie sein Zimmer gestaltet war und wie es war ihm näher zu kommen. Würde er dies überhaupt zulassen? Damit würden wir eine Grenze überschreiten, dann gab es kein zurück mehr.

"Mir ist aufgefallen das, wenn ihr nachdenkt runzelt ihr eure Stirn und wenn ihr träumt dann habt ihr diese Grübchen. So erkennt man wo ihr gerade seid." Erstaunt sehe ich ihn von der Seite an. Sein Blick war nach vorne gerichtet. "Das hat meine Schwester auch schon mal erwähnt gehabt." gebe ich zu und ein wissendes lächeln schleicht sich auf seine Lippen. "Ich weiß."

Kurz nicke ich bevor mir bewusst wird was er damit gesagt hat. "Ihr habt mit meiner Schwester gesprochen?" Unsicher sieht mich Magnus an. "Ja sie stand in der Bibliothek plötzlich vor mir. Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Man kann sich sehr gut mit ihr unterhalten." Ich weiß nicht warum aber es freut mich das die beiden sich anscheinend verstehen. Auch wenn ich Magnus niemals als meinen Freund vorstellen könnte, so war es doch ein schönes Gefühl zu wissen, das in einer anderen Zeit die beiden sich gut verstanden hätten.

Wir schaffen es nicht mehr uns weiter zu erhalten, denn fast gleichzeitig hören wir das leise schluchzen, was mal wieder aus einer Nebengasse kommt. Allerdings ist diese eng. Nicht mal zwei Personen passen nebeneinander. Trotzdem schaffen wir es uns durch zu schlängeln. Magnus ist hinter mir. Ich möchte ihn beschützen, auch wenn es sich eher um ein trauriges Geräusch handelt.

Wir erblicken einen Jungen der zusammen gekauert an der Wand lehnte. Er weinte Elefantentränen. "Mark?" Magnus Stimme klang verdutzt und ich war mehr als verwirrt. Das war der Junge den er in der Bibliothek anlernte. Dieser hob seinen Kopf und ich stockte. Es war Kieran's Junge. Magnus schob sich an mir vorbei und kniete sich dann so gut es ging vor Mark. Seine nächsten Sätze ließen mein Blut in meinen Adern gefrieren.

"Sie haben Kieran geholt."

Je ne l'ai pas vu venir [französisch] - Ich habe es nicht kommen sehen

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