C'est lui que mon cœur a choisi

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Alexander

30. März 1935

Würdet ihr gerne euren Todestag erfahren, wenn ihr die Möglichkeit hättet? Meine Antwort wäre nein. Man sollte sein Leben in vollsten Zügen genießen. Wenn man ihn wüsste, würde man alles noch schnell erledigen, was man noch machen wollte, ohne diesen Moment wirklich zu genießen. Und dann wartet man.

Ich bin irgendwann wieder aufgewacht. Ich wusste nicht ob schon ein neuer Tag angebrochen war oder welcher Tag heute überhaupt war. Ich wusste nichts mehr. Die Schmerzen waren immer noch präsent. Nur das ich sie jetzt an meinem ganzen Körper spürte.

Ich hatte gezählt mit mir waren es hier siebenundzwanzig Menschen. Die meisten waren blass, kaltschweißig und vor allem krank. Es sah aus als hätten sie Tage nichts zu essen bekommen. Die Brutalität die Valentine Morgenstern an den Tag legte sah man deutlich und ich fragte mich wie viele Zelle es von dieser Sorte noch gibt. Dieser Anblick war schrecklich.

Aber eigentlich war das schlimmste, das darunter noch ein Kind war. Ein Mädchen um genau zu sein. Höchstens acht Jahre. Sie musterte mich seitdem ich aufgewacht bin. Ich wollte für sie da sein und deswegen stellte ich mich selbst wieder in den Hintergrund. Ich zog für sie Fratzen und lächelte sie immer wieder liebevoll an. Von mal zu mal kam sie näher. Wie wir alle trug sie ein roten Overall. Auch mir wurde, wann auch immer das passiert ist, einer angezogen.

Irgendwann saß sie mit ihren Fesseln, die schwerer als ihr eigener Körper waren, neben mir. Ich hatte mich aufgerappelt. Sie zeigte mir eine Art Klatsch Spiel, wo man gegenseitig immer einschlug und dabei die Hände aber anders drehen musste. Durch die Fesseln war es schwieriger. Dennoch nicht unlösbar. Meine Hände mussten sie neu gefesselt haben, denn sie waren seitdem ich hier drin war vor meinem Körper. Auch wenn ich es ungern zu gab. Aber es machte Spaß. Diese Kleinigkeit lenkte mich von allem ab. Ich war diesem Mädchen sehr dankbar dafür.

"Wie heißt du?" flüsterte ich leise. In dem Raum war es die meiste Zeit still. Einfach, weil bei allen die Kraft fehlte noch irgendetwas zu machen. Das kleine Mädchen zeigte auf ihr Handgelenk, welches ganz wundgescheuert war. Darunter erkannte ich eine Reihe von Ziffern. Sie waren unschön unter die Haut tätowiert. Ich selbst sah auf mein eigenes Handgelenk und stellte fest, das ich selbst nummeriert war. Wenn ich könnte würde ich diese Menschen umbringen. Warum tuen sie so etwas.

"Namen sind hier überflüssig." flüstert sie dann leise. Wie viel sie schon durch machen musste. "Ich bin Alexander." Ich weiß nicht was das ausschlaggebende war, aber in ihren Augen sammelten sich Tränen. So gut es eben ging, zog ich sie an mich. Mit ihren Kopf kuschelte sie sich an meine Brust. Kinder brauchten ihre Eltern, die Zuneigung und die Geborgenheit. Es war klar das sie das hier nicht bekam. Stumm weinte sie und ich hielt sie einfach fest.

Diese Situation erinnerte mich an Isabelle. Früher als wir Kinder waren haben wir uns oft gestritten. Eigentlich täglich. Nur in der Öffentlichkeit schienen wir ein eingespieltes Team zu sein. Zu Hause hing der Haussegen schief. Manchmal, da gab es aber die Augenblicke wo nachts meine Tür aufging und sie sich einfach weinend an meine Brust gedrückt hat. Ich habe nie gefragt was los war, sondern habe sie einfach weinen lassen. Auch wenn das totaler Unsinn war, aber diese Momente hatten mir immer wieder gezeigt, das wir in den schwierigsten Situationen zueinander halten würden. Egal wie schlimm der letzte Streit auch gewesen sein mag.

Ich wusste nicht wie viel Zeit verging aber irgendwann beruhigte sich das Mädchen wieder und setzte sich dann neben mich. "Madzie." flüsterte sie dann eben so leise. Ich nicke und beobachte sie dabei, wie sie einen Punkt fixiert. "Gleich werden wieder Menschen geholt." sagt sie mit ängstlicher Stimme. "Woher weißt du das?" Madzie sah mich an, als würde die nicht vorhandene Uhr mir das deutlich zeigen. Dann deutete sie jedoch auf die Schatten, in der Ecke. "Umso höher die Sonne steht, desto größer oder kleiner werden die Schatten. Ich habe am Anfang mich gelangweilt und so Striche in den Boden gemalt, sobald der Schatten größer wurde. So weiß ich welche Stunde wir haben und auch den Tag weiß ich. Ich habe nämlich mitgezählt." Erstaunt sah ich sie an. Das alles hatte sie mir so zugeflüstert als wäre es etwas verbotenes. Obwohl es einfach nur schlau ist.

"Wir haben es Achtzehn Uhr und es müsste der dreißigste März sein. Morgen habe ich Geburtstag." Traurig lächelte sie. Sie war sehr schlau für ihr Alter. Ich mochte sie. Am liebsten würde ich ihr heraus helfen. Aber ich wusste nicht wie.

Madzie behielt recht. Laut starke Sirenen gingen an. Andere als in Idris aber genau so angsteinflößende. Man hörte das Marschieren der Männer. Die Tür wurde aufgerissen und brachte so etwas Licht in diesen Raum. Kurz sahen sie sich um bevor sie auf einen weiteren älteren Mann zugingen und ihn gewaltsam auf die Beine zogen. Auch auf mich kamen sie zu. Madzie sah mich erschrocken an. Schnell griff ich nach ihrer Hand und drückte sie kurz. "Alles wird gut." Ich weiß man sollte keine Kinder anlügen aber ich wollte nicht das sie erneute Angst bekam.

"Die beiden hier werden erschossen." brüllte der eine dem anderen zu. Wir wurden auf eine weite Grasfläche gebracht. Wenn man genauer hinsah konnte man die dunklen Verfärbungen sehen. Mir wurde schlecht und schwindelig zugleich.

Mit einem Tritt wurde ich in die Knie gezwungen. Der eine Soldat entsicherte die Waffe vor unseren Augen bevor er sich hinter uns stellte.

Der Mann neben mir kämpfte mit den Tränen. Ich war wie gelähmt. In meinem Kopf sah ich noch einmal Magnus lachendes Gesicht. Seine funkelnde Augen. Ich spürte seine Lippen auf meine. All die Momente die wir miteinander hatten, die Worte die wir sagten, waren so präsent in meinen Kopf.

Wäre da nicht dieser Mann, der jetzt ebenfalls den Garten betritt, mir den Atem verschlägt

"Das war nicht ihre Richtung oder?"

„Ich lag die ganze Nacht wach, Alexander."

"Ich habe höllische Angst euch zu wollen. Aber hier stehe ich und will euch trotzdem."

"Wenn ein Mensch deine Seele berührt hat, wird ihn dein verstand nicht mehr löschen können."

"Zu lieben ist doch viel zu riskant."

"Mein zu Hause ist kein Ort, das seid ihr."

"Da ist ein Klavier, welches die Töne wie eine Sprache spricht. Begleitet von einem Cello, welches die Saiten selbst zum tanzen bringt. Sie spielen im Einklang zu dem Abendglanz, der durch ein schimmern alles magisch wirken lässt."

"Alexander."

"..Ich habe lieber ein halbes Leben mit euch, als ein ganzes allein."

"Wir haben schon längst mindestens drei Gesetze gebrochen aber halten uns noch immer an die höfliche Anrede."

"Magnus? Ich habe mich in dich verliebt."

"Ich brauche dich."

Nur in seinem Traum, da brannte noch Licht.

Magnus war, ist und bleibt meine Hoffnung. Ich flüsterte ein kleines "Ich liebe dich." Ich konnte es ihm niemals persönlich sagen. Dafür blieben andere Erinnerungen die, die Wörter auf eine andere Weise herüber brachten.

Ich hörte ein klicken. Jetzt war es also so weit. Das letzte was ich hörte war der Schuss...

C'est lui que mon cœur a choisi [französisch] - Er ist derjenige, den mein Herz gewählt hat

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