Das Duell

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Am nächsten Tag streifte Melanie allein durch den Wald. Ihre Mutter war nicht Zuhause und ihr Vater mit ihrem Bruder irgendwo im Wald. Melanie jagte lustlos einem kleinen Hasen nach, ohne zu merken, dass sie sich dem Trainingsplatz näherte. Plötzlich hörte sie Stimmen. Da sie in Wolfsgestalt war, konnte sie sich unbemerkt anschleichen und fand schnell ein sicheres Versteck, von dem sie alles gut sehen konnte. Normalerweise gibt es so weit im Wald nur menschliche Jäger. Falls sie Melanie entdecken würden, würden sie garantiert schießen, da war sie sich sicher. Wölfe waren hier nicht sehr beliebt. Dann merkte sie, dass ihr eine der Stimmen bekannt vorkam, als plötzlich ihr Bruder in ihr Sichtfeld kam. Ihm gegenüber stand ein Werwolf, den Melanie zunächst für ihren Vater hielt, sah ihren Irrtum allerdings recht schnell ein. Der Werwolf vor ihrem Bruder gehörte nicht zu ihrem Rudel. Er war größer und augenscheinlich älter als Meliorn, hatte dunkles Fell, mit mehreren kahlen Stellen. Dein Körper war. An den kahlen Stellen konnte Melanie vereinzelt Narben erkennen, die von vielen, brutalen Duellen stammen mussten. Die beiden waren angespannt. Melanie hatte zwar noch nie ein Duell gesehen, doch sie zweifelte nicht daran, dass es dazu kommen würde, wenn niemand eingriff. 

Bei einem Duell endet der Kampf in der Regel mit dem Tod eines Duellanten. In einzelnen Fällen ergriff einer der beiden auch die Flucht oder andere Einflüsse störten das Duell. In ein Duell durfte sich niemand einmischen, egal wer die Duellanten waren oder weswegen sie sich duellierten. Es war eines der wenigen Rechte, dass ihnen nicht vorbehalten war, nur weil sie noch nicht volljährig waren. Melanie verstand nicht, wieso ihr Bruder anscheinend die Herausforderung des fremden Werwolfes, der sehr viel stärker als er selbst schien, annahm. Sie konnte nicht länger darüber grübeln, da der Fremde unerwartet angriff. Melanie sah mit Schrecken, das ihr Bruder nicht schnell genug ausweichen konnte, obwohl er den Angriff doch erwartet haben musste. Der Fremde riss ihm die Schulter auf. Dafür erntete er von Bruder einen Biss am Hals, als hätte dieser versucht die Halsschlagader zu erreichen. Mit Enttäuschung nahm Melanie wahr, dass der Biss ihres Bruders in den Hals des Fremden kaum Wirkung zeigte, während er selbst durch seine Schulter schon nach dem ersten Treffer geschwächt war. 

Kurze Zeit später griff der Fremde erneut an. Meliorn konnte dem Angriff gegen seine Kehle knapp entgehen und versuchte nun von hinten an den Fremden ran zu kommen, der jedoch sorgfältig darauf achtete, Meliorn nicht den Rücken zu zu kehren. Knurrend umkreisten sich die beiden Gegner. Plötzlich sprang von der Seite auf den Gegner zu, der offenbar nicht mit dem Angriff gerechnet hatte. Obwohl Meliorns Angriff punktgenau gesetzt war, konnte der Fremde ihm wie durch ein Wunder vollständig entgehen. Wutentbrannt über den unvorhergesehenen Angriff stürzte sich der Fremde nun auf ihn, der bei den schnellen Angriffen nur immer weiter zurückweichen konnte. Der Fremde war ein erfahrener Kämpfer und griff zu Mitteln, die sie nicht einmal ausprobieren durften. Fließend wechselte er zwischen wölfischer und menschlicher Form. Bisse, Halbkreistritte oder Handkantenschläge, alles wirkte wie ein einziger gefährlicher Tanz. Meliorn hatte dem nichts entgegenzusetzen. Anzugreifen war für ihn schier unmöglich, da er die Angriffe teilweise kaum abwehren konnte. Nicht ahnend, dass ihr Vater den Kampf ebenfalls beobachtete, beschloss sie selbst einzugreifen und damit gegen eine der wichtigsten Regeln zu verstoßen. Doch das war Melanie egal, wenn sie ihren Bruder dadurch das Leben retten konnte.

Niemand darf sich in ein Duell zwischen zwei Werwölfen einmischen. Der Fremde war vollkommen auf Meliorn fokussiert, so dass Melanie sich problemlos von hinten anschleichen konnte. Zumindest erschien es ihr so. Ihr Vater hielt sie nicht zurück, sondern beobachtete unentdeckt die Szene, die sich vor im abspielte. Schließlich sprang Melanie ab, gerade dann, als der Fremde nach vorne sprang. Hätte dieser sich nur etwas später bewegt, so hätte Melanie ihn wahrscheinlich tödlich treffen können. So verfehlte sie die verwundbare Stelle am Hals und traf den Fremden zwischen den Schulterblättern. Der hatte eben erst ihren mit ausgestreckten Krallen nach ihrem Bruder geschlagen. Als Melanie auf ihn sprang, ließ er zwar von ihm ab, doch er hatte Meliorns Pulsader nur um Haaresbreite verfehlt. Er wollte sich auf den Rücken rollen, so dass er Melanie zwang abzuspringen. Er war schnell und stand bereits wieder sicher, noch bevor Melanie auf dem Boden aufkam. Ihrem nächsten Angriff konnte er mit Leichtigkeit entgehen. Als er sich ihr zuwandte, sprang Meliorn wieder auf ihn zu und wieder verfehlte er ihn. Abwechselnd griffen die Zwillinge nun den Fremden an. Schließlich schien etwas die Aufmerksamkeit des Fremden zu wecken. Er sah sich kurz um, bevor er floh. Melanie war verwundert über dieses verhalten, doch nicht so naiv anzunehmen, dass er ihretwegen geflohen war. Aufmerksam beobachtete sie die Umgebung. Mit ihrem Bruder sprach sie nicht, sie konnten sich über Blickkontakt verständigen. 

Nachdem der Kampf beendet war, kam ihr Vater auf die Zwillinge zu. Melanie verkrampfte sich, bevor sie ihn erkannte. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass er alles gesehen haben musste. Unsicher stolperte sie zurück, doch ihr Vater kam entgegen ihrer Erwartung nicht näher. Er befahl ihr lediglich, ihren Bruder zurück zu begleiten, nach Möglichkeit Begegnungen mit weiteren Wölfen zu vermeiden und ihrer Mutter Bescheid zugeben, dass sie sich keine Sorgen machen müsse. Meliorn verschwand ohne ein weiteres Wort. Melanie starrte ihren Vater einen Moment verwirrt an, beeilte sich dann aber ihren Bruder einzuholen, bevor er es sich anders überlegen konnte. Nach einer Stunde erreichten sie den Stammplatz ihres Rudels. Ihre Mutter war zum Glück noch nicht zurück. Eine knappe Viertelstunde nach ihnen traf sie ein. Kurz fasste Melanie zusammen, was geschehen war. Melanies Mutter kümmerte sich um ihren Bruder, und trug Melanie auf, in der Schule Bescheid zu sagen, dass ihr Bruder sich verletzt habe und in der Woche die Schule nicht besuchen könne. Erst am Nachmittag des nächsten Tages sollte sie erfahren, wer der mysteriöse Angreifer war.

MelanieWhere stories live. Discover now