Kapitel 1

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Stöhnend verdecke ich mein Gesicht mit meiner Decke, als meine Vorhänge aufgezogen werden und die Sonnenstrahlen direkt auf mein Bett scheinen. Jedoch reißt mir jemand ebenfalls meine Decke vom Leib.

Nichtmal mein Kissen darf ich behalten.

Sekunden später höre ich Vincent's Stimme. «Matteo! Du musst aufstehen.» sagt er und packt mich an den Armen, um mich hochzuziehen. Seufzend gebe ich nach. Wenn es eine Sache gibt, die ich überhaupt nicht vermisst habe, dann ist es genau das hier. Auch damals bei meinem Referendariat hatte er mich jeden Morgen auf brutalste Art und Weise geweckt. Ich bin nämlich ein totaler Langschläfer.

«Warum?» frage ich meinen besten Kumpel, nach dem ich mich aufsetze und über meine Augen streiche, damit ich mich an das grelle Licht gewöhnen kann.

«Du bist seit deiner Entlassung, die angemerkt vor drei Wochen war, nur in dieser beschissenen Wohnung. Die einzige frische Luft die du kriegst, ist die auf dem Balkon und ich weiß ganz genau das du nichtmal auf den Balkon gehen würdest, wenn du nicht rauchen würdest.» Er lehnt sich an meine Kommode, wo mein Fernseher drauf steht. Dabei wackelt dieser etwas, aber zum Glück passiert nichts.

Vincent hat schon recht. Die ersten paar Tage nach meiner Entlassung bin ich zwar draußen gewesen, aber ich habe die missbilligenden Blicke der Menschen in unserem Viertel nicht ausgehalten. Der Fall von damals hatte es natürlich in die Medien geschafft. Meine Familie hat mir des öfteren darüber erzählt, dass Emery und ich fast auf jeder Zeitung die Schlagzeile waren. Es ist nicht so leicht, wenn man als pädophil oder sonstiges beleidigt wird.

Um vor den Blicken und Beleidigungen zu flüchten bin ich in meiner Wohnung geblieben. Drei Wochen lang. Obwohl ich mir mittlerweile einen Job suchen müsste. Schließlich kann ich nicht mehr zurück zur Schule. Mein ganzes Studium ist für die Tonne. Damit kann ich nichts mehr anfangen.

«Außerdem verstehe ich nicht, wann du überhaupt angefangen hast zu rauchen?» fragt mich Vincent nach einer langen Pause. Ich stehe seufzend vom Bett auf, ziehe mir meine Jogginghose rüber und gehe durch meine wirren Haare. «Im Knast.» antworte ich schlicht. «Ich bin nicht stolz drauf.»

Er schüttelt den Kopf um vermutlich seine Gedanken wieder zu sammeln. Denn wenige Sekunden später wechselt er geschickt das Thema.

«Ich habe dir bei meinem Kumpel im Restaurant ein Vorstellungsgespräch organisiert. Bitte vermassele es nicht, Matteo. Es ist vielleicht deine einzige Chance.» Vincent zieht aus seiner Hosentasche ein kleinen Zettel raus den er mir danach in die Hand drückt. Es steht eine Adresse, Uhrzeit und ein Name drauf.

Ehrlich lächele ich ihn an. «Danke. Für welchen Posten sucht er Mitarbeiter?»

«Kellner. Ich habe ihm auch gesagt, dass du sehr gut kochst. Vermutlich wirst du aber erst als Kellner eingestellt.» Dankend nicke ich woraufhin Vincent mein Zimmer verlässt.

Mit einem Handtuch bewaffnet mache ich mich auf den Weg zum Badezimmer, um mich zu duschen. Das Vorstellungsgespräch ist schon in zwei Stunden und leider ist das Restaurant viel zu weit weg von meiner Wohnung.

Nach dem ich mich geduscht habe, putze ich meine Zähne und rasiere meinen unordentlichen Bart. Schnell bereue ich es, weil ich jetzt aussehe wie ein Kind, aber immerhin sieht es so viel gepflegter aus.

Viel Mühe gebe ich mir bei meinen Klamotten nicht. Ich ziehe mir eben das an, was bei einem Gespräch angemessen ist. Bevor ich die Wohnung verlasse esse ich noch eine Schüssel Cornflakes.

Sobald ich draußen stehe, hole ich mir aus der Packung eine Zigarette raus und zünde mir diese an. Früher war ich total dagegen. Jedoch habe ich schnell bemerkt das es die einzige Möglichkeit ist im Knast abzuschalten. Der ganze Stress ist mit jedem Zug verflogen und ich habe mich entspannt, erleichtert gefühlt. Es sollte keine Angewohnheit werden, aber leider bin ich nicht mehr davon losgekommen.

Im Knast habe ich viele Dinge getan, die ich normalerweise nicht tun würde. Zum Beispiel habe ich mir ein Tattoo stechen lassen. Es war zwar scheiße gefährlich, wegen den hygienischen Umständen, aber ich habe es riskiert. Es ist nur ein kleines Tattoo gewesen, deshalb ist glücklicherweise auch nichts passiert.

Über meinem Fußknöchel habe ich jetzt ein kleines E, welches permanent ist. Es kommt auf die Länge der Hose an, ob man es sieht oder nicht. Aber es fällt nicht so sehr auf.

Der Grund für dieses Tattoo ist simpel. Ich wollte einfach eine Erinnerung an sie haben. Damit ich mich jedesmal erinnern kann, dass sie da war und ich keine verrückte Einbildung hatte. Ich wollte Emery auf meinem Körper mit einem ganz einfachen E verewigen. Vermutlich werde ich es nachstehen, weil es verblasst ist.

Viel schneller als erwartet bin ich am Restaurant. Es ist ein schickes Restaurant, was ziemlich teuer wirkt. Der Kumpel von Vincent, Marc ist sein Name, wartet schon auf mich. Nach einer kurzen Begrüßung gehen wir in sein Büro und reden über das geschäftliche.

Er führt mich rum, stellt mir ab und zu einige Mitarbeiter vor und erklärt mir dabei die verschiedenen Abteilungen. Es ist ein recht großes Restaurant, aber man hat trotzdem alles im Überblick.

«Und, Matteo, könntest du dir vorstellen hier zu arbeiten?» fragt er mich nach der Führung. Er lädt mich ein, noch etwas mit ihm zu trinken. Wir sitzen an der Theke mit jeweils einem Bier in der Hand.

«Definitiv. Es ist ein wirklich sehr schickes Restaurant. Ich würde mich freuen hier zu arbeiten.» antworte ich höflich lächelnd und nehme einen Schluck vom Bier.

«Dann freut es mich dir schon direkt zu sagen, dass du eingestellt bist. Du kannst morgen um acht Uhr anfangen, wenn du magst. Morgens bieten wir nämlich ebenfalls Frühstück an.»

«Ja! Das wäre super. Ich danke dir vielmals.» Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Der nächste Supermarkt liegt fünfzehn Minuten von hier entfernt. Ich musste noch Brot und Milch für zuhause holen.

«Das hast du Vincent zu verdanken. Er hat viel gutes über dich erzählt.»

Ich lache. «Ich habe ihm echt viel zu verdanken.» murmele ich etwas leiser, sodass er es nicht wirklich mitkriegt. Außerdem stimmt es. Ohne Vincent wäre ich vermutlich verloren.

«Über dein Gehalt reden wir dann einfach morgen nach Feierabend. Ist das in Ordnung für dich?» Marc geht vom Barhocker runter und ich tue es ihm nickend nach. Ich erwarte um ehrlich zu sein nicht viel Geld. Wieviel verdient schon ein Kellner?

«Natürlich.» sage ich vor einem kurzen Händeschütteln zum Abschied. Nach dem Marc in sein Büro verschwindet, frage ich meine neue Kollegin wieviel ich denn für das Bier zahlen muss. Jedoch winkt sie lächelnd ab und behauptet, dass es aufs Haus ginge.

Mehr als fünf Pfund hatte ich sowieso nicht dabei. Ich bin echt pleite diesen Monat.

Irgendwie kommt es dazu das ich mich mit meiner neuen Arbeitskollegin unterhalte. Ich erfahre, dass sie Cassandra heißt und schon seit drei Jahren für Marc arbeitet. Sie ist ebenfalls mit Vincent befreundet ist. Gerade wo wir über ihn reden und lachen, ruft er mich doch tatsächlich an.

Da es jedoch viel zu unhöflich wäre, drücke ich ihn weg und schenke meine Aufmerksamkeit wieder dem Gespräch mit Cassandra. Sie ist mir jetzt schon super sympathisch. Zudem ist sie auch noch sehr hübsch. Sie könnte mit ihrem Aussehen jeden Mann um ihren Finger wickeln.

Als Vincent mich das zweite Mal anruft, verabschiede ich mich freundlich bei Cassandra und nehme erst draußen seinen Anruf entgegen.

«Ich hoffe für dich das es etwas wichtiges ist.» sage ich lachend und überquere die Straße, weil der Supermarkt in der Richtung liegt.

«Ich wollte dich nur daran erinnern das wir noch Spülmittel brauchen. Oh, und bring mir bitte eine Packung Chips mit.»

Er hätte mir auch eine Nachricht schreiben können.

Idiot.

A/N:

Ich hatte das Kapitel eigentlich schon gestern angekündigt, aber es war einfach viel zu viel los bei mir. Deshalb kommt es jetzt.

Ich hoffe es hat euch gefallen.

five years apart | ✓Where stories live. Discover now