den Wind spüren

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Heute

"Gismo! Hör zu träumen auf!", lachte Ivan und rüttelte ihn aus seinen Gedanken.
Der Wind war frisch und wirbelte die Blätter auf, die wie ein rot-gelbfarbenes Konfetti durch die Luft wirbelte.

"Ivan!", seufzte Roxanne. "Es heißt: Hör auf zu träumen. Außerdem brauchst du das "R" nicht immer so betonen!"

Gismo blickte zu seinem russischen Freund. "Keine Bange, das kriegen wir auch noch hin!", er grinste und machte einen symbolischen Toast mit seinem Becher.

"Leute, die ständig Andere wegen ihrer Sprache kritisieren sind mit ihrem eigenen Leben unzufrieden.", bemerkte Tristan und pustete den Rauch seiner Zigarette aus.

"Hals Maul, Tristan!", fauchte Roxanne deutlich aufgebracht. Ihre Augen funkelten ihn wütend an, aber Tristan warf ihr nur einen sarkastischen Luftkuss zu und Gismo befürchtete, dass Roxanne ihrem On-Off-Lover nun an die Kehle gehen würde.
Stattdessen drehte sie sich von ihm weg und widmete sich wieder ihrem Marshmallow-Spieß.

Alles wie immer.

Gismo liebte den Herbst. Er war voller Farben und Gismo verspürte wieder die Sehnsucht weit fort zu gehen. Gerade hier, auf der Lichtung zwischen Dickicht und dem verwunschenen Wald erfasste ihn die Melancholie immer öfter. Wenn der Wind neckisch mit seinem Haar spielte, wenn Ivan lächelte, trotz des Vogels in seinem Kopf. Wenn Roxanne tatsächlich etwas aß und selbst Tristan entspannt da saß, wusste Gismo, dass alles gut war oder werden würde.

Natürlich.

Sie alle waren unbedeutend in den Augen der großen, weiten Welt. Doch genau in Momenten wie diesen fühlte Gismo den Herzschlag der Ferne. Laut und klar, wie der Bass, der ihn bis dahin immer beschützt hatte.

Gismo ließ sich ins weiche Moos fallen und beobachtete die Wolken, die über den Himmel zogen.

Sie alle hatten andere Gesichter. Geschichten oder Sorgen, die ihre Herzen quälten.
Ach, wenn sie doch alle Wolken wären.
Dann könnten sie frei und unbeschwert über die wunderbare Welt schweben, nicht wahr?

Vielleicht.

Gismo griff nach seinem Banjo und begann die Melodie des Windes zu spielen, während Ivan verträumt die Augen schloss, Roxanne sich wieder an Tristans Schulter lehnte und die Blätter durch die Luft tanzten.


Die Hymne der AussteigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt