3 | Entscheidung

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01.10.17

Und schon wieder eine Abfuhr.
Aurora seufzte erschöpft. Erst jetzt, als sie wieder klar nachdenken konnte, nahm die Müdigkeit von ihr Besitz, genauso wie der Hunger.
Blöderweise lagen die ganzen Vorräte noch allesamt einsam in ihrem kleinen Fischerboot und nichts wäre dümmer, als jetzt loszuziehen und sie zu holen. Zumal sie sich sowieso nur verlaufen würde.
Aurora schenkte nun ihrer Umgebung mehr Aufmerksamkeit.
Außer Dreck und Sträuchern, war nichts zu sehen.
Sie stand unter dem größten Baum, den es auf dieser Insel gab, in Büchern nannte man ihn Mangrovenbaum. Er ist die Energiequelle der Magie schlechthin. Die Wurzeln ragten mehrere Meter hoch aus dem Boden heraus und man konnte sich locker darunter verstecken, sogar einen Unterschlupf herrichten, wie die Wächterin es tat. Jedoch war keine Spur mehr von ihr zu sehen und die "Höhle" in die sie verschwand, war klein und dunkel. Keine Anzeichen von Leben.
Wieder seufzte sie.
Es sei denn... Aurora bewegte sich vorsichtig auf den Eingang zu und streckte ihre Hand aus, bis sie auf warmen Widerstand traf.
Magie!
Die Wächterin versteckte sich vor ihr hinter dieser Magiewand.

»Feigling.«
Wieder sah sie sich um, auf der Suche nach einem teilweise bequemen Schlafplatz, denn es fing langsam an zu dämmern. Die Wurzel mit der großen Einkerbung war ihr am liebsten.
Sie kletterte also auf das nasse, rutschige Holz und machte es sich bequem. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie eine teilweise bequeme Position gefunden hatte, einschlief und von ihr nur noch regelmäßige Atemzüge zu hören waren.

***

Leise starrte Nyssa Aurora mit ihren schwarzen Augen an und studierte sorgfältig das friedliche Gesicht und all die Bewegungen, die Aurora schlafend tat.
Wurde auch mal Zeit, dass dieses freche Balg die Klappe hielt. So ruhig wie sie nun war, konnte man sich gar nicht vorstellen, wie nervtötend dieses kleine Mädchen doch war.
Nyssa entdeckte eine kleine braune Raupe, die den Arm des Mädchens hochkroch, nahm sie behutsam runter und setzte es auf ein grünes Blatt, von dem es sich vollfressen konnte.
Niemand konnte ihr sagen, ob diese Rotzgöre nicht noch im Schlaf irgendwelche Tierchen tötete.
Die Wörter des Mädchens drangen wieder in ihren Kopf.

»Ihre Machtgier ist unersättlich und du bist die beste Beute die ein Mensch machen kann.«

Mit diesen Worten behielt dieses Naivchen leider Recht. Genau wie mit der Tatsache, dass sie ihre Insel nicht vollständig schützen konnte, wenn man sie angriff. Die Bautechnik der Menschen war ausgereifter als vor 300 Jahren und auch ihre Magiebegabung entwickelte sich in den letzten Jahrhunderten stark.
Sie konnte nicht alles schützen, doch das musste sie, egal wie!

Zitternd streckte sie ihre Hand aus und strich sanft über die verdreckte Haut des Mädchens.
War sie wirklich schon bereit, diese Insel zu verlassen? Konnte sie wieder die Gesellschaft ertragen?
Half sie dem Mädchen oder nur sich selbst? Sie war bloß Wächterin dieser Insel, nicht der Welt.
Trotzdem würde sie alles tun, um ihre Heimat zu schützen. Solche Opfer, wie noch mehr Menschen ertragen zu müssen, waren wohl nötig.

Sie hasste Menschen, sowie ihre Entscheidung dem Mädchen zu folgen.
Das Mädchen hasste sie dafür aber noch mehr.

Ihr Herz pochte wie verrückt und ihr Blut raste in ihren Adern heiß umher. Aufregung durchspülte ihren Körper. Negative Aufregung.

Mittels Magie erwärmte sie das Wasser dieses Teiches und wusch sich all den Dreck von der nackten Haut und aus den Haaren. Ihre wilden Haare fühlten sich schon gleich viel besser und leichter an.
Mit prickelnden, warmen Fingern fuhr sie sich durch ihre noch feuchten Haare, bis sie vollständig getrocknet waren und steckte sie mit einigen Spangen hoch, die sie bereit am Rand liegen lassen hat.
Dann stieg auch sie aus dem angenehmen Wasser, ein kühler Luftzug umfuhr ihre Haut und sie zwängte sich in ihre Kleidung, bestehend aus einer kurzen, engen Stoffhose und einem genauso kurzem Oberteil, welches nur ein bisschen mehr als ihre Brüste verdeckte.
Je freier ihre Haut lag, desto besser fühlte sie sich mit der Natur und der Magie verbunden.
Mit leichtfüßigen Schritten erreichte sie ihren Unterschlupf. Das Mädchen lag noch genauso da wie vorher.
Gut so, noch länger Ruhe.
Nyssa wollte die Stille noch so gut genießen wie sie konnte, bevor dieses Balg aufwachte.

Hastig packte die Frau in ihren Beutel alles nötige, das hieß nützliche Kräuter, ein Dolch, eine Ledertrinkflasche und Essensvorräte.
Dann fiel ihr Blick auf das Schwert, welches an der Wand hing.
Langsam trat sie dorthin und nahm es vorsichtig aus der Halterung, strich sanft über das scharfe Metall, welches auch nach Jahrhunderten, nicht einen Flecken Rost aufwieß.
Mithilfe eines Gürtels, befestigte sie es an ihrer Hüfte und wusste nicht so Recht, ob sie das Gefühl genießen oder verabscheuen sollte.
Kämpfe waren ein Teil ihrer langen Vergangenheit, genauso wie das Schwert.

Beiläufig behandelte sie die entzündete Pfote des Wolpertingers mit Magie umd setzte ihn frei.
Eigentlich wollte sie keine Magie bei Verletzungen einsetzen. Wunden waren immernoch ein Teil der Natur und Magie sollte sich nicht dazwischen drängen. Sie sollte neben ihr existieren und mit der Natur funktionieren.

Sie schüttelte das mulmige Gefühl ab. In der einen Hand der Beutel und in der anderen ein Paar Stiefel, jetzt schon wissend, dass sie diese Schuhe hassen würde. Sie wird diese ganze Reise hassen.

Grob packte Nyssa das Mädchen auf ihren Rücken um es zu dem mickrigen Boot zu schleppen. Noch war sie nicht bereit dazu, das Gequassel zu hören.

Das Boot kam ihr nun noch kleiner vor, immerhin war es bloß ein kleines Fischerboot.

Nyssa seufzte genervt.
Das wurde ja immer besser.
Sie schmiss ihre Sachen achtlos hinein und hiefte das Mädchen in die kleine Nussschale schob es an und sprang dann selbst hinein.

***

Unerträgliche Hitze prallte auf ihr Gesicht und sie schwitzte. Langsam richtete sie sich auf und verließ die unbequeme Position, in der sie geschlafen hatte, um sich zu ordentlich zu strecken.
Erst dann realisierte sie, dass sie in ihrem geklauten Fischerboot saß und schreckte hoch.
Die Wächterin konnte sie unmöglich einfach auf das Meer getrieben haben.

Panisch drehte sie ihren Kopf, beruhigte sich aber ruckartig, als sie den schlafenden Körper der anderen Frau erkannte, wie ihre Hand im Wasser hing und eine leuchtende Spur hinterließ.

Sie musste schon länger vor sich hintreiben, denn die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt und die Insel war nicht mehr zu sehen.

Aurora registrierte erst etwas später, dass sie eigentlich fuhren und nicht nur vor sich hin trieben, das musste bedeuten, dass die Wächterin sie mittels Magie antrieb, was das leuchtende Wasser erklärte.

»Schläfst du?« Vorsichtig stupste sie den ruhigen Körper mit ihrem Fuß an, bereute es aber ab dem Moment, in dem ein fester Griff ihr Fußgelenk packte und sie ins Wasser schleuderte.
Prustend tauchte sie auf und starrte die Wächterin funkelnd an.
,,Was sollte das?", fauchte sie und schwamm auf das Boot zu, zog sich rein und blieb liegen.

,,Ich wollte dir zeigen, wie sehr ich dich hasse." Das spöttische Grinsen konnte sie schon beinahe heraus hören.
,,Und trotzdem bist du hier."
,,Nicht für dich, sondern für mich und die Insel."

Aurora schwieg, doch das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwand nicht.
Sie hatte es geschafft. Bevor sie allerdings noch länger darüber triumphieren konnte, landete sie erneut im Wasser.

,,Was zur? Warum?!"
,,Du stinkst und dein Lächeln nervt."
,,Arrogante Schlange", schnaubte sie, woraufhin sie zum dritten Mal im Wasser landete.
,,Hab Respekt!"
Aurora quittierte dies bloß mit einem verächtlichen Ausdruck und wandte sich ab.
Wenn das so weiterging, würde die Reise die Hölle werden.
Wie sollte es sein, wenn Enya wieder da war? Sie war ungefähr dreifach so frech und vorlaut wie sie selbst.
Sie fixierte die Wächterin die ganze Zeit mit zusammengekniffenen Augen, versuchte die Faszination für die Magie zu verdrängen. Doch die Frau blieb still, sah sie nicht an, lehnte immernoch aus dem Boot und trieb es an.
Wofür Aurora ihr heimlich dankbar war, nochmal eine Ewigkeit zu rudern, hätte sie vermutlich nicht geschafft.
»Schau nicht so. Du nervst«, murrte die Wächterin und unterdrückte sich ein Gähnen.
Der dauerhafte Verbrauch ihrer Magie ohne direkte Quelle, zerrte wohl auch an ihrer Kraft. Es war ungewohnt.
»Kümmer dich nicht um mich und schlaf lieber«, grinste Aurora.
»Guck weg«, zischte Nyssa.
Aurora unterdrückte ihr Lachen, ein weiteres Bad im Meer, wollte sie vermeiden.

»Da! Wir sind gleich da!«, rief Aurora euphorisch und erschreckte Nyssa somit, die sie feindselig anstarrte.
Sie brach die Verbindung mit dem Wasser ab und fokussierte sich auf das Festland, welches tatsächlich bereits in Sichtweite war. Wieder beschlich sie ein mulmiges und unruhiges Gefühl, was sich diesmal nicht so leicht abschütteln ließ.

Sie wollte nichts lieber, als wieder in ihrem Sumpf zu sein und in beruhigenden Teichen zu baden oder irgendwelche Bücher zu lesen.

The Ruler of Magic [abbgebrochen/alte Version]Where stories live. Discover now