2 - DIE BESSERE KLASSE

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𑁍 𑁍 𑁍

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MIT jedem verstreichenden Jahr entgleiten sie mir mehr. Ich hocke vor Benedikt, oder wie ihn seine Freunde nennen – Ben, der die gesamte Stunde auf seiner Armbeuge liegt. Ein Musterschüler ist er noch nie gewesen, aber dieses nicht vorhandene Arbeitsverhalten ist bedenklich. Ihn bedrückt etwas und egal wie vertraulich ich auf ihn einrede, er verschließt sich mir. »Hey, ist was vorgefallen? Zuhause? In der Schule?« Nichts. »Du weißt, wenn du darüber nicht sprechen möchtest, kannst du es jederzeit in den Kummerkasten werfen.«

In der Klasse steigt der Lautstärkepegel. Jemand lacht, wahrscheinlich über den Vorschlag. Im Studium klang die Methode so schmackhaft, immerhin haben wir sie selbst durchgeführt und ich habe dadurch meinen besten Freund kennengelernt. Damals kam es mir vor, als könne so etwas das Leben der Schüler verändern. Mittlerweile missbrauchen sie den Kummerkasten für Schimpfwörter.

Von hinten höre ich schmatzende Geräusche – ein imitierter Kuss. In der zehnten Klasse ist es angenehmer als in meiner eigenen. Ich bin nicht dafür geschaffen, um mit Teenagern mitten in ihrer Pubertät umzugehen. Kurz habe ich die Schüler aus dem Blick verloren, schon tanzen sie wortwörtlich über alle Bänke. Und nicht nur das. Nadja hat sich den Tafelstift geschnappt und mit knalligem Rot den folgenden Satz an die Tafel geschrieben: Frau Rodriguez und Herr Schwab hassen sich aus vollem Herzen. Das letzte Wort wurde nicht ausgeschrieben, sondern visuell verdeutlicht.

Schnellen Schrittes bewegte ich mich auf die Tafel zu, um diese Albernheit zu löschen. Obwohl ich mich ermahne, es zu unterlassen, huscht mein Blick wie automatisch zu Junis. Seine Miene ist versteinert, doch die Kapuze ist ins Gesicht gezogen. Es ist ihm peinlich, den Namen seines Vaters an der Tafel zu lesen. Ich wische mit der Faust über den Bildschirm, bis die Schrift verschwunden ist. Gelächter von allen Seiten, das mich klein werden lässt, obwohl das Gegenteil angebracht wäre. Die Klasse bändigen.

Allen Übels erspähe ich Julian am Fenster der Nachbarklasse. Seine 10a arbeitet, er lehnt lässig an der Scheibe, trinkt seinen Kaffee und grinst. Kein Freundliches, sondern eins, das aussagt: Na, hast du etwa wieder einmal deine Klasse nicht im Griff? Mein Körper spannt sich an. Ich nutze die Wut, um mit voller Inbrunst auf die Klangschale zu schlagen. Ein Reflex lässt mich kurzzeitig die Hand zum Schweigefuchs heben, bis ich dank Miriams Schmunzeln erkenne, dass ich im falschen Jahrgang bin. Meine Augen werden Schlitze, leider wirkt der böse Blick bei mir nicht, weshalb ich es schließlich doch anders versuche: »Ruhe!«

Keine Chance. Ich gebe mich geschlagen und sitze kapitulierend am Pult. In meinem Rücken hängen liebevoll gestaltete Plakate, doch was bringen sie, wenn niemand Lust auf Schiller und Goethe hat? Ich hole das Handy aus der Tasche, öffne das Chatfenster und schreibe Arian: HILFE!

Wie durch ein Wunder ebben die Stimmen ab, bis nur noch Miriam spricht: »Warum schauen Herrn Schwab und Sie sich immer so zornig durchs Fenster an?«

Weil er herzlos ist und sich nicht um seine Schüler kümmert. Natürlich spreche ich den ehrlichen Grund nicht laut aus, selbst wenn er es verdient hätte. Es gibt Grenzen. Eine alternative Antwort fällt mir nicht ein, deshalb schweige ich. Wer mir nicht zuhört, dem schulde ich keine Erwiderung.

NOT this time [ONC]Where stories live. Discover now