5 - UNSICHTBARER FEIND

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ZUERST kontrolliere ich die Toiletten. Ob eine von denen belegt ist. Panik breitet sich in mir aus, denn keine einzige ist besetzt. Wohin mag er geflüchtet sein? Hilflos eile ich im zügigen Gehtempo den Schulflur entlang. Am liebsten würde ich rennen, allerdings ist das hier untersagt. Falls mich ein Schüler erwischt, bin ich geliefert. Mein pessimistisches Gehirn malt sich aus, Junis sei träumend auf die Straße gerannt. Scheiße, dann kann ich Julian doch nie mehr ansehen, wenn er wirklich von einem Auto angefahren wird. Mein Pulsschlag schießt in die Höhe. Dabei kontrolliere ich jeden Winkel.

Zum Glück erwische ich ihn an einem der Tische im Gang. Er hat den Kopf auf seine Armbeuge gelegt. Kurz beobachte ich ihn, lausche, um auszumachen, ob kleine Schluchzer zu hören sind. Fehlanzeige. Was ist, wenn gar nicht Junis das Opfer ist, sondern sein bester Freund Ben? Der Kommentar hat er möglicherweise für ihn abgelassen. Das macht die Sache nicht weniger dramatisch, aber dann halte ich mich im Moment beim falschen Schüler auf.

»Junis? Alles okay?«, frage ich. Er zuckt zusammen und hebt den Kopf. »Du musst zurück in den Unterricht.« Kaum habe ich den Satz ausgesprochen, bereue ich es, in diesem Moment mehr Lehrerin und weniger einfühlsam zu sein.

Er brummt und bewegt sich nicht vom Fleck. Klar, dass meine Aufforderung die Sache verkompliziert hat. Ich setze mich neben ihn an den Tisch. Blöde Idee. Er spannt sich an und weicht von mir. Automatisch rücke ich einen Platz zurück, um Abstand zwischen uns zu bringen.

Es ist an mir, den nächsten Schritt zu wagen. Er verschließt sich komplett. »Hör zu, wenn es dir in der Klasse nicht gut geht, dann kannst du immer zu mir kommen. Ich versuche, zu helfen.«

Der Klang wird durch seinen Pullover gedämpft, aber ich bilde mir ein, ihn schnauben zu hören. Ihm ist nicht bewusst, wie ähnlich wir uns sind. Dass ich seinen Schmerz nachempfinde und er eben nicht alleine damit ist. So gerne würde ich ihm genau das sagen, habe aber Angst, eine Linie zu überschreiten – zu viel Persönliches preiszugeben. Daher murmele ich lediglich: »Ich kann verstehen, wie du dich jetzt fühlen musst.«

»Sie wissen gar nichts«, zischt er, nachdem er kurz den Kopf gehoben hat. Genauso schnell hat er sich wieder zurückgezogen. Am liebsten hätte ich erwidert: »Oh doch, ich weiß leider eine ganze Menge.« Nur was würde es bringen? Wer glaubt als Schüler schon, dass Lehrer mal Abbilder ihrer Selbst waren, die sich mit ähnlichen Problemen rumgeschlagen haben?

Also verlasse ich Junis wieder, zumindest in diesem Moment und nehme mir vor, künftig ein Auge auf ihn zu haben.

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Obwohl ich heute keine Pausenaufsicht habe, schleiche ich mich auf den Schulhof. Ben ist krankgemeldet, daher rechne ich damit, Junis alleine anzutreffen. Im schlimmsten Fall sogar Zeuge davon zu werden, wie seine Mitschüler ihn fertigmachen. Ich suche jeden Winkel ab, doch er scheint wie vom Erdboden verschluckt. Kein gutes Zeichen.

NOT this time [ONC]Where stories live. Discover now