9 - ANREISE BEI REGEN

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Julian Schwab

Julian Schwab

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𑁍 𑁍 𑁍

Einen Monat später

BEVOR ich mir die Ohrstöpsel in die Ohren schiebe, um mich mit dem Hörbuch abzulenken, das ich heute früh heruntergeladen habe – Undead killers – drehe ich mich nach hinten. Sie läuft durch die Reihen, um ihre Schüler – und wirklich nur ihre – durchzuzählen. Dabei haben wir das, bevor wir in den Bus eingestiegen sind, schon erledigt. Erwartet sie allen Ernstes, dass beim Einsteigen jemand von einem herbeiradelnden Fremden entführt wird?

Lisa und Albert, die beiden Fachlehrer, die mitfahren, unterhalten sich neben mir seelenruhig weiter. Ob sie dieses erneute Durchzählen auch notwendig finden? Nachdem sie fertig ist, bleibt ihr Blick bei einem der freien Plätze von ausgegrenzten Schülern hängen. Ich brauche mich gar nicht groß umzusehen, um zu wissen, dass Junis ebenfalls alleine sitzt. Zieht sie in Erwägung sich zu denen zu setzen, nur um nicht vorne mit mir vorliebzunehmen? Es soll mir egal sein, doch etwas in mir verkrampft sich bei dem Gedanken.

Schon damals blieb ich für mich und das hat sich scheinbar nicht mal heute geändert. Energisch drücke ich mir die Stöpsel in die Ohren, um es zu ignorieren. Sie hasst mich doch ohnehin, nur weil ich nicht so perfekt bin, wie sie es gern hätte. Selbst mein Buch hat sie nie für spannend genug empfunden, um es im Buchladen mal in die Hand zu nehmen. Manches ändert sich nie. Der Motor des Busses startet, der Regen plätschert gegen die Scheiben und ich starte das Hörbuch. Die Welt dort draußen verschwimmt hinter einer Schicht aus Wassertropfen.

Die Geschichte startet an einem Samstag – mit einer Mutter, die ihr Kind auf einen Spielplatz begleitet. Die Dialoge, die daraufhin einsetzen, nehme ich kaum wahr, weil meine Gedanken noch bei Yuna und ihr albernes Durchzählen hängen. Ob sie auch Kinder hat, mit denen sie so überbehütet umgeht? Ich erwische mich dabei, mir einzugestehen, dass sie eine hervorragende Mutter abgäbe. Dasselbe wird sie von mir sicher nicht denken. Ich habe in so vielen Punkten versagt. Der größte meiner Fehler ist, dass ich Junis nicht davor bewahrt habe, durch dieselbe Hölle zu gehen wie ich damals.

»Ich setz mich dann zu dir, okay?« Ich zucke zusammen. Yuna steht rechts von mir. Scheinbar will sie den ausgestoßenen Schülern doch keine Schulter zum Ausweinen anbieten. »Oder wärst du lieber mit deiner Musik allein?«, höhnt sie. Natürlich, weil sie mich darauf hinweist, dass ich so meiner Aufsichtspflicht nicht nachkomme. Ich seufze. Sechzehnjährigen ist zuzutrauen, dass man sie zumindest während der Busfahrt unbeaufsichtigt lassen kann. Wir sind hier nicht in der Grundschule.

Missmutig nehme ich die Kopfhörer dennoch heraus. Nicht wegen der Schüler und meiner Aufsichtspflicht, um Gottes Willen, aber vielleicht besteht die Chance, dass sie sich mit mir unterhält und ich sie erneut in den Wahnsinn treiben kann. »Aber natürlich.« Ich deute einladend auf den freien Platz.

NOT this time [ONC]Where stories live. Discover now