18 - EIN EINGEFRORENES JAHR

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KURZ nach Junis Tod hat Julian seinen Job gekündigt. Er hat uns mit dem Grund verlassen, sich künftig auf das Schreiben von Romanen konzentrieren zu wollen. Ob er tatsächlich schreibt, weiß niemand so genau. Anfangs habe ich ihn öfter beim Joggen getroffen. Den Blick, den ich ihm zu warf, hat er ignoriert. Er lässt sich nicht bemitleiden und ich schaue zu, wie er mit einer fremden Frau über Banales lacht. Die Fünfte in dieser Woche? Ich habe akzeptiert, dass das zwischen uns vorbei ist. Im Gegensatz dazu fehlt Julian jegliche Akzeptanz, da er den Tod seines Sohns eher verdrängt. Hätte ich nicht eine andere Seite von ihm kennengelernt, käme er mir herzlos vor. In Wahrheit schmerzt der Verlust zu intensiv, um es wahrzuhaben.

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Vier Monate später

Er taucht bei uns in der Schule auf, weil er seinen Job wiederhaben möchte. Noch nie habe ich ihn so aus der Haut fahren gehört, wie an dem Tag in Reginas Büro, wo sie ihn abwimmelt, dass das höchstens zum nächsten Schuljahr möglich wäre. »Verarschen kann ich mich alleine! In unseren Klassen sind Schüler, wo es nicht schadet, wenn man Lehrer doppelt steckt.«

Er schlägt auf die Tischunterlage und mir wird bewusst, warum ich ihn schon länger nicht mehr gesehen habe. In seinem Gesicht zeichnen sich tiefe Augenringe ab. Seine Haare liegen so chaotisch, als haben sie Wochen keine Bürste gesichtet. Das Hemd ist schief zugeknöpft. »Julian, du weißt, dass ich das nicht entscheiden kann.«

Sie wird beim Kultusministerium ein Wort für ihn einlegen können. Ob sie das nicht macht, weil sie es für unklug hält, ihn in seinem Zustand unterrichten zu lassen? Sein Kopf hebt sich und als er geradewegs in meine Richtung schaut, entgleiten ihm die Gesichtszüge. Er stürmt aus dem Büro der Rektorin, als habe ich ihn beleidigt.

Regina seufzt auf. »Von seinem Nachbarn weiß ich, dass er in letzter Zeit kaum das Haus verlässt. Es schmerzt mir in der Seele, aber wir bekommen momentan keine Stellen ausgeschrieben, selbst wenn wir welche brauchen.« Ich lasse ihre Rechtfertigung links liegen und folge stattdessen Julian. Habe ich etwas getan, was ihn verärgert hat?

Obwohl ich das Gefühl habe, um mein Leben zu rennen – oder wie Julians Protagonist sagen würde – schneller als die Polizei erlaubt, schaffe ich es erst am Haupteingang, ihn abzupassen. Erschrocken stelle ich fest, dass seine Augen von Tränen vollkommen verquollen sind. Eigentlich, nach dem, was ihm widerfahren ist, die normalste Reaktion der Welt. Da ich ihn zuvor jedoch nie weinengesehen habe, trifft es mich unvorbereitet.

»Julian«, hauche ich seinen Namen. Leider fällt mir nicht mehr ein, aber es reicht, damit er gequält sein Gesicht verzieht.

»Nicht«, er schüttelt meinen Arm ab, weil ich unterbewusst nach ihm gegriffen habe. Was habe ich mir dabei gedacht? Schnell setze ich ein paar Schritte zurück. Sofort macht sich wieder das vertraute schlechte Gewissen in mir breit. Junis hat das Gefühl gehabt, ich raube ihm Zeit mit seinem Vater. Es ist unerträglich, sich vorzuwerfen, dass jetzt alles anders wäre, hätten wir uns nie angenähert.

NOT this time [ONC]Where stories live. Discover now