11 - TRÄNEN BEI NACHT

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𑁍 𑁍 𑁍

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𑁍 𑁍 𑁍

VON ihm in den Arm genommen zu werden und die beschwichtigende Worte zu hören, dass es ihm leidtun und es in der Vergangenheit liegt, damit habe ich nicht gerechnet. Keine Ahnung, welche Reaktion ich erwarte. Irgendeine hätte ich aber schon gerne bekommen. Es reicht ja, wenn er kurz traurig die Miene verzieht – wenigstens einen Funken Mitleid zeigt. Doch er sitzt vor mir wie erstarrt.

»Julian? Hast du mir überhaupt zugehört?«

»Ähm«, stammelt er. »Klar, ja. Das muss ... schwer sein, darüber offen zu reden.«

Was heißt das schon wieder? Verwirrt mustere ich ihn. Soll Mobbing seiner Meinung nach etwas sein, für das man sich schämt, über das niemand sprechen darf? Weil es ja einen Grund gegeben hat, warum einem das widerfahren ist?

Nur weil ich jetzt eine Klasse leite, so viele Schüler zu mir aufblicken, vorgebe, dass alles perfekt läuft, kann ich nicht mit Leichtigkeit über meine weniger glamouröse Vergangenheit sprechen? Es ist nicht nur mein Recht, sondern meine Pflicht die Botschaft laut in die Welt zu tragen: Eines Tages wirst du dich wie die anderen fühlen. Verstehen, dass jeder leidet, aber irgendwann wieder aufsteht. Und genau das habe ich in diesem Moment vor. Mein Ego ist zu stolz, um zuzulassen, dass mein Schicksal etwas Komisches ist. Es ist mehr. Leiden, Mitleid – meinetwegen. Jedenfalls muss ich mir nicht nur einen mickrigen Satz von Julian an den Kopf werfen lassen.

»Eigentlich nicht. Aber danke, dass du es zu etwas Schwerem machst.« Wortlos lasse ich ihn zurück im Sand. Steuere schnellen Schrittes den Rückweg zur Jugendherberge an. Ich beiße mir auf die Unterlippe, damit sie nicht zu beben anfängt. Er hat nicht mal falsch gehandelt – mich ausgelacht oder dergleichen. Trotzdem ... war es naiv anzunehmen, meine Ehrlichkeit würde den Abstand zwischen uns verringern? Dass er mir endlich mitteilt, was so schlimm daran ist, etwas gegen Mobbing zu unternehmen? Sich wenigstens für seine Faulheit zu entschuldigen! Damit wir ... es begraben und von vorne anfangen. Warum habe ich für eine Millisekunde angenommen, unsere Differenzen seien nicht länger vorhanden? Ich schlage mir vor die Stirn, damit der Kloß in meinem Hals nicht weiter anschwillt.

Kein Problem.

Alles kein Problem.

Dann bin ich halt für ihn ein sonderbarer Mensch.

Nichts Neues.

Kenn ich.

Bei der Jugendherberge springt gerade das Licht an. Aus der Ferne sehe ich ein paar Schüler herumflitzen, allerdings sind sie zu weit weg, um zu sagen, ob sie aus meiner Klasse stammen. Der eine von ihnen fuchtelt sogar wild mit den Armen. Ich lege einen Zahn zu, um die Lage zu checken. Die Situation dort hinten kommt mir seltsam vor.

Ich erreiche das Grundstück und bin mutterseelenallein. Unwahrscheinlich, dass sie mit der Rallye schon fertig sind. Und selbst wenn, würden sie dann nicht den hinteren Teil mit den Fußballtoren zum Spielen nutzen, bis wir sie ins Bett schicken? Oder haben Lisa und Albert diesen Dienst erfüllt? Schnell krame ich den Schlüssel aus meiner Hosentasche. Drinnen wird irgendjemand sein. Unsere beiden Begleiter haben bestimmt erst das zweite Bier intus. Sie werden nicht ohne uns das Bett aufsuchen.

NOT this time [ONC]Where stories live. Discover now