12 - MEIN RÜCKZUGSORT

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Julian Schwab

Julian Schwab

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𑁍 𑁍 𑁍

»ABER danke, dass du es zu etwas Schwerem machst.« Ihre Silhouette hat den Horizont längst verlassen und dennoch lassen mich die Worte nicht los. Ich suche nach dem Grund, warum sie immer sofort angegriffen ist. Selbst dann, wenn ich Mitgefühl zeige. Ich checke meine Haltung. Habe ich zu laut geatmet, dass sie das Gefühl hat, sich mir nicht anvertrauen zu können? Einerseits wünsche ich, die Wut ihr gegenüber in die Nacht zu schreien, andererseits drängt sich immer wieder das Bedürfnis dazwischen, sie zu finden. Am liebsten würde ich sie in den Arm nehmen. Die seltsame Reaktion ist vielleicht auf ihre Vergangenheit zurückzuführen. Sie traut niemandem mehr. Das verstehe ich. Der Anfang von den wenigen meiner Beziehungen verlief stets gleich ab. Ich stelle infrage, ob diejenige ernsthaft Interesse hat oder sie mich nur veralbert. Armselig.

Je länger ich darüber nachdenke, desto eher denke ich mir, wirklich nicht angemessen reagiert zu haben. Eigentlich habe ich so viel zu erzählen, aber in dem Moment haben meine Lippen zugeschnürt aneinandergeklebt. Das Problem kenne ich aus Schulzeiten und scheinbar sucht es mich wieder heim. Es ist nichts dabei, ihr zu offenbaren, durch dieselbe Hölle wie sie gegangen zu sein. In dem Augenblick hat es sich aber falsch angefühlt. Es kommt mir vor, als würde ein Same ihre Probleme irgendwie entwerten. Ich lenke von ihr ab, um selbst Aufmerksamkeit zu bekommen.

Ein Satz ... einfach zu wenig, Julian, für so ein Geständnis. In einem Roman hätte ich dem Protagonisten bei solch einer Offenbarung tausend Gedanken in den Kopf gelegt. Leider hat sie keinen Zugriff auf diese – und ich nicht auf ihre. Warum hat sie so überreagiert? Ich muss den Grund erfahren. Meinem Leben wird es nicht an Kommunikation fehlen. Nicht wie in all den grottigen Büchern mit Misscommunication-Trope.

Motiviert von dem Gedanken erhebe ich mich aus dem Sand. Erst im Stehen stellt sich mir eine Frage: Wie soll ein einsamer, verschlossener Niemand wie ich den Mut aufbringen, um einer Arbeitskollegin seine Lebensgeschichte aufzutischen? Bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr habe ich nicht mal Mama und Papa erzählt, dass ich schon das ganze Leben schreibe. Es ist leichter, nicht über mich zu sprechen. Mitleid brauche ich ohnehin nicht.

Zweifel überrollen mich erneut. Es ändert jedoch nichts an meiner Entscheidung, die ich längst getroffen habe. Nach Yunas Offenbarung denke ich nicht, dass es zwischen uns so weitergehen kann. Ab und zu war es lustig, sie auf die Palme zu bringen, und hat meinen Tag etwas erheitert. Der Spaß hört aber auf, wenn sie sich davon unter Umständen angegriffen fühlt. Das darf ich nicht riskieren, folglich hilft nur eins – sich auszusprechen.

Ich jogge zurück zur Jugendherberge, überlege, ob sie wohl schon auf ihrem Zimmer ist. Die Auswertung der Rallye findet erst morgenfrüh statt. Die Frage erübrigt sich, als ich sie hektisch die Tür aufreißen sehe. Automatisch weiche ich zwei Schritte zurück. Keine Ahnung, aufgrund der jüngsten Ereignisse nehme ich an, sie rennt mich aufgebracht um.

NOT this time [ONC]Where stories live. Discover now