16 - SCHWERE NORMALITÄT

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𑁍 𑁍 𑁍

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𑁍 𑁍 𑁍

DIE Woche ist zu schnell vergangen. Sie sollte alles verändern und jetzt, wo der alltägliche Trott sich wieder eingebürgert hat, habe ich nicht das Gefühl, etwas bewirkt zu haben. In der Klasse existiert nach wie vor eine gewisse Rangordnung. Die coolen Schüler halten sich nicht mit den Strebern auf. Ob es je einen Jahrgang geben wird, wo sich alle ebenbürtig sind und respektiert werden?

Wenigstens hat der Tag etwas Gutes. Ich vertrete eine zweite Klasse in Deutsch und brauche mich nicht, mit dem trockenen Geschichtsunterricht in der 10a auseinandersetzen. Die Aufgabe darf Julian unternehmen, zumindest in der ersten Stunde. Leider übernehme ich später, weil unsere Konrektorin die Schüler gerne mit einer Doppelstunde Zweiter Weltkrieg quält. In der Grundschule verstreicht die Zeit so viel schneller. Selbst, wenn wir heute nur stumpf die Abschreibregeln besprochen haben. Sie hängen mit ihrem Kopf noch nicht halb bei der Abschlussfeier.

Im Studienseminar wurde uns immer gepredigt, mit einer aufrechten Haltung in die Klasse zu gehen. Unsere Motivation überträgt sich auf die der Schüler. Aber ehrlich, wenn du es hundertmal hochmotiviert versucht hast, bringt es das hunderterste Mal auch nicht. Wann darf ich endlich zu meinen liebsten Klassenstufen heimkehren? Mit gekrümmten Rücken schlendere ich den Flur entlang. Die Tasche baumelt mir über die Schultern, ein Satz langweiliger Kopien in der Hand. Sicher wirke ich schon wie jede andere Oberschulgeschichtslehrerin.

Mein Hoch ist automatisch verflogen, als ich den Klassenraum betrete. Julian hat die Sachen, die ich ihm für die Vertretung herausgesucht habe, vollkommen ignoriert und stattdessen mit seiner Klasse Deutsch gemacht. An der Tafel steht ein Textauszug, den sie am Interpretieren sind. Kaum dass sie mich bemerken, beginnt in der hinteren Reihe das Getuschel. Ich ziehe die Unruhe wohl magisch an.

Ich lege meine Tasche bedächtig neben dem Pult ab, verschränke die Hände vor der Brust und warte, bis Julian seinen Fehler bemerkt. Der eindringliche Blick bleibt nicht unbemerkt. Er hält in der Erklärung inne und sagt: »Den Rest besprechen wir dann in der nächsten Deutschstunde.«

Den Fehler sieht er nicht ein. Wie die Ruhe selbst packt er seinen Lehrerkalender ein. Die Kaffeetasse bleibt an seinem Platz stehen. »Willst du mich verarschen?«, fahre ich ihn an.

Anders als mir gelingt es Julian weniger leicht, zum Alltag zurückzukehren. Statt sich wie üblich grinsend zu verteidigen, zuckt er zusammen. Da ein paar Schüler uns aufmerksam mustern, senke ich meine Stimme. »Was glaubst du, wofür ich mir die Mühe mache und extra Aufgaben raussuche? Deine Klasse ist grottenschlecht in Geschichte. Ist nicht so, als könnten wir die Stunden beliebig verplempern.«

Er bleibt reglos auf der Stelle stehen. Fast gehe ich davon aus, dass er den Schwanz einzieht, obwohl er das für gewöhnlich nie in Erwägung zieht. Doch dann sammelt er sich und findet seine übliche Abwehrhaltung wieder. »Tja, ich bin nun mal kein Geschichtslehrer.«

NOT this time [ONC]Where stories live. Discover now