06. das angebot

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06.
das angebot


»Warum sind wir immer noch hier?«

Meine Stimme strich leise durch das kleine Zimmer, ebenso sachte wie meine Finger über die weich gestrickte Decke, die ich mir über die Beine gezogen hatte. In kreisenden Bewegungen fuhr ich die komplizierten Verknüpfungen nach und versuchte mir ein Bild von ihnen zu machen. Wie sie innig zusammenhielten, sich verdrehten und verknoteten und doch so fließend ineinanderflossen.

            »Ich weiß es nicht«, antwortete Dan mir ebenso leise. Leichtfüßige Schritte kamen auf mich zu, ehe sich der gewohnte Geruch nach Regentropfen auf heimatlichen Laubblättern um mich flocht. Behutsam zog er einen Teil der schweren Decke weiter zur Seite und zupfte so lange an ihr herum, bis er zufrieden brummte und sich wieder aufrichtete. »Ich verstehe nicht ganz, was sie davon haben uns in einem Zimmer einzuschließen. Ich meine, ich bin ... dankbar dafür, aber was haben sie vor? Mikay ist nicht gerade bekannt für seine Gastfreundschaft. Und er hat sicher nichts gesagt? Nichts angedeutet?«

            Stumm schüttelte ich meinen Kopf.

Zeit ist ein fernes Konzept für uns geworden. Es könnten Tage vergangen sein oder nur Stunden – das geräumige Zimmer fühlte sich aber mit jeder weiteren Minute immer enger an. Schlaf hatte mich nur so weit unter sich begraben, dass Dan sich ausführlich durch seine bitteren Gefühle arbeiten konnte. Nach langem hin und her hatte ich mich dazu durchgerungen und aufgesetzt.

            Die Schuld an unserer Situation lag genauso schwer in meinem Magen wie die Gewissheit, dass Dan mit mehreren Verletzungen zurückgekommen war. Kleine, dunkle Flecken in seiner Aura hatten mich voller Sorge aufspringen lassen. Doch Dan hatte sich partout dagegen gewehrt, mich sie heilen zu lassen.

            Besser, wir behalten deine Gabe für uns.

Er hatte Recht ... natürlich hatte er recht, aber das hieß nicht, dass es mir gefiel. Es war wie ein nerviges Kribbeln unter meiner Haut. Ein Riss in meinem Herzen, dass immer größer wurde.

            »Es tut mir so leid«, flüsterte ich gen Boden. Feuerheiß traten mir abermals Tränen in die Augen. »Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Du warst nicht mehr da und er ... ich ...«

            Meine Finger krallten sich in den Stoff.

            »Nicht Kira.« Neben mir sank die Matratze ein. Dann schlossen sich seine warmen Finger um meine kalten. »Es ist nicht deine Schuld. Nichts von all dem hier. Wir werden hier wieder rauskommen, du wirst sehen. Es wird alles gut werden.«

            Immer wieder wiederholte er dieselben Worte.

            Alles wird gut.

            Alles wird gut.

            Alles wird gut.

Aber wie konnte es? Wir hätten uns besser informieren sollen. Hätten das Rudel aufsuchen müssen. Ihnen das Recht zuteil kommen lassen, uns weiterzuschicken. Uns von ihrem Land zu vertreiben. Aber wir sind so naiv gewesen. Hatten uns so sicher gefühlt.

            Nach allem, was geschehen ist, war es kaum verwunderlich, dass wir ausgerechnet ins Gebiet der  gestolpert waren. Das Glück hatte uns nun voll und ganz verlassen.

            »Schlaf noch ein wenig«, forderte Dan sanft, als die letzte Träne aus meinen Augen gerollt war. »Wir sollten es so lange wie möglich ausnutzen.«

            Schniefend nickte ich.

Mit seiner Hilfe vergrub ich mich unter den Massen von Decken und versuchte mich zur Ruhe zu zwingen.

Blind MateWhere stories live. Discover now