②④ Poison

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Grow - Frances

Während die anderen mit ihrer Ausbildung beschäftigt waren, gab es für mich nichts richtiges zu tun. Ich versuchte mich in der Kinderbetreuung, aber das gelang mir eher schlecht. Mit den anderen zusammen eine Wächterausbildung machen kam für mich erst gar nicht in Frage. Lehren konnte ich ebenfalls nicht und mich um die Finanzen oder ähnliches kümmern war mir nur erschwert möglich.
Ich wollte nicht einfach nur herum sitzen, das Verlangen dazu, etwas zu machen, zu helfen, war zu groß. Doch wie auch schon so oft, konnte ich aufgrund meiner Blindheit nichts machen.
Es waren einige Tage vergangen, seit dem Daniel gegangen war. Caitlyn verriet mir, dass er sich regelmäßig bei Liam meldete, um ihm Bericht zu erstatten. Es beruhigte mich, zu hören, dass er noch lebte, auch wenn die Angst um ihn weiterhin meine Gedanken einnahm.
»Du machst dir zu viele Gedanken um ihn.«
Seine Stimme erschreckte mich, so sehr war ich in meinen Gedanken versunken. Ich schloss meine Augen und hörte ihn näher kommen.
»Um wen?«, fragte ich mit aufrichtiger Ahnungslosigkeit.
»Daniel. Du machst dir zu große Sorgen um ihn, ihm geht es gut und ich bezweifel, dass er sich erwischen lässt.«
Die Tatsache, dass er an meinen Bruder glaubte, ihn das zutraute, war mir schon klar gewesen, als Caitlyn ihn fragen durfte. Doch dass er der Meinung war, Daniel würde nichts zustoßen, war überraschend. Mir war es so erschienen, als ob es ihm egal sein, was mit ihm passierten, immerhin würde er so seine Schwester in Ruhe lassen. Doch anscheinend hatte ich mich geirrt.
»Woher willst du das wissen? In diesem Moment kann ihm alles mögliche passieren.«
Er war mir nun nur noch wenige Meter entfernt. Seine Aura, stark und doch wunderschön, erreichte und umgab mich.
»Komm mal mit«, wechselte er auf einmal das Thema. Überrumpelt vom plötzlichen Umschwung des Gespräches, ließ ich mich von ihm hochziehen und stolperte neben ihn her aus dem Haus raus. Als mich die frische Winterluft traf, konnte ich mich wieder sammeln.
»Warte mal«, sagte ich und blieb stehen. »Wohin gehen wir denn?«
»Das wirst du schon sehen.«
Er griff nach meinem Oberarm und wollte mich weiter führen, doch ich stemmte mich gegen seinen Griff. Langsam kroch die Kälte in meinen Körper und ein Zittern zog durch ihn hindurch.
»Du kannst mich nicht einfach mit dir herum zerren, ich bin doch kein Hund!« Sauer zog ich meine Augenbrauen zusammen.
»Naja, genau genommen ....« Ich konnte deutlich sein unterdrücktes Lachen hören und konnte mein ernsten Gesichtsausdruck nicht beibehalten. Leichte Röte stieg mir ins Gesicht, als ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
»Jetzt komm, es wird langsam doch kalt und glaub mir, es wird dich ablenken.«
Diesmal griff er zögerlich nach meiner mittlerweile kalten Hand und als ich diese noch zurück zog (zu sehr war ich von seiner Tat überrascht), umfasst er sie und zog mich vorsichtig hinter sich her.
»Liam, das ist doch-«
»Nein. Wart's ab.«
»Aber-«
»Nein.«
Frustriert brummte ich in mich hinein. Ich wurde aus ihm nicht schlau und fragte mich wirklich, wie es in seinem Kopf aussah. Es war verwirrend, wie er sich verhielt, dachte und was er sagte.
»Wo-«
Ich unterbrach mich selber, als sich in mir nach und nach ein komisches Gefühl ausbreitete. Wir kamen einem bestimmten Gebäude immer näher, doch ich merkte erst welches es war, als mich warme Luft umgab. Ich bekam mit, dass Liam etwas zu mir sagte, hörte es jedoch nicht. Meine volle Konzentration lag auf das, was sich in diesen Gebäude befand.

»Warum hast du mich her gebracht?« Die vorhin entstandene lockere Stimmung war hin. Meine Stimme klang monoton und dennoch war ich innerlich aufgewühlt.
»Ich dachte mir, dass würde dich beschäftigen. «
Seine Antwort rückte in den Hintergrund, als mich die Gefühle der verletzten Wölfe über rannten. Es waren so viele, jeder mit einer anderen Wunde und ich fragte mich, warum sie nicht heilten. Wie lange lagen sie schon hier?
Ich versuchte den Drang zu widerstehen, zu ihnen zu gehen und ihnen zu helfen. Doch wie von selbst bewegten sich meine Beine in eine Richtung, aus der der Großteil der Gefühle kamen.
Als ich den Raum betrat, schlug mir eine Welle des Schmerzes entgegen, woraufhin ich einen Schritt nach hinten taumelte.
»Was ist mit ihnen passiert?« Leise erklang meine Stimme in den Raum hinein. Das Zimmer war erfüllt von Schmerz, wobei das einzige Geräusch das qualvolle Stöhnen der verwundeten Wölfe war.
»Das sind alles Wächter. Sie sind meistens an den Grenzen eingesetzt. Einig von ihnen heilen, aber sehr langsam. Sie müssen aufpassen, dass sie sich nicht bewegen, sonst reißen die Wunden wieder auf.  Doch der Großteil derjenigen, die hier liegen, heilen nicht. Im Gegenteil, ihre Verletzungen werden von Tag zu Tag schlimmer. Unsere Ärzte haben versucht, den Grund herauszufinden, aber es ist alles verwirrend und unklar. Ihre Verletzungen schließen sich nicht. Es gibt ...«
Abermals rückte seine Stimme in den Hintergrund. Ich konnte es spüren. Etwas war in ihren Körpern, was sie von innen verwundete und den Blutkörperchen nicht erlaubte, die Wunden zu schließen. Ich trat näher an sie ran, näher an einen jungen Wächter heran, dessen Schmerzen am größten waren.
In mir breitete sich eine Ruhe aus, doch mit ihr kam auch das Verlangen, in zu heilen. In zu helfen, das machen, wofür ich laut Senior Reese bestimmt bin. Aber ich hielt mich zurück, verdrängte das Kribbeln aus meinen Händen und fasste vorsichtig nach seiner Hand.
»Wie heißt du?«, fragte ich leise. Ich wusste, er war bei Bewusstsein und auch, dass er mich hören konnte.
»Niklas«, presste er zwischen seinen Zähnen hindurch.
Mit gerunzelter Stirn tastete ich mich mental durch seinen Körper. Ihm wurden zwar Schmerzmittel injiziert, diese wirken bei und aber nicht. Unser Körper stößt sie ab, da er es normalerweise nicht brauch. Das Blut eines Wolfes ist außergewöhnlich und wertvoll, doch auch kompliziert zu verstehen.
»Niklas, ich bin Dakota«, sanft strich ich über seine Handoberfläche.
»Bist du eine Ärztin?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. War ich eine? Nein, ich war keine ausgebildete Heilerin, ich war nur ein Mädchen mit einer Gabe.
»Nein, aber ich werde versuchen, dir zu helfen.«
Ich sah, was seinen Körper verletzte. Ich sah, wie es sich in ihm ausbreitete und wusste, ich konnte ihn helfen, doch wie?
Das Risiko, das ich einging, wenn ich ihn heilte, konnte ich nicht eingehen. Ich hatte noch nicht einmal für meine letzten Heilungen zahlen müssen. Wenn ich ihm auf diese Weise half, wird alles nur schlimmer werden.
Vergessen war meine Sorge um meinen Bruder, Liams Anwesenheit rückte in einen weit entfernten Teil meines Bewusstseins. Fieberhaft versuchte ich das, was sich wie Gift in Niklas Körper ausbreitete, in seine Einzelteile zu zerlegen, damit ich wusste, wie man es bekämpfen müsste.

Blind MateWhere stories live. Discover now