②⑧ Rescue

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Irgendwas - Yvonne Catterfeld Ft. Bengio

Müde saß ich ihn der Küche und umfasste die warme Teetasse vor mir. Der wohltuende Geruch von Waldfrüchten stieg mir warm in die Nase, als ich tief Luft holte. Ich wusste zwar nicht welche Uhrzeit wir hatten, aber es war eindeutig zu früh. Stundenlang lag ich noch wach im Bett, meine Freude, die ich im Wald hatte, war längst verschwunden. Ich hatte genug von Liams Stimmungsschwankungen, es nagte an mir, obwohl ich keinen wirklichen Grund dazu hatte. Für mich war es unverständlich, wie er auf der einen Seite sympathisch sein konnte und dann wieder der größte Vollidiot. Aber ich hatte zwischen all meinen wirren Gedanken in der vergangenen Nacht einen klaren fassen können; ich würde mich nicht mehr davon beeinflussen lassen. Es ging mich nichts an und sollte mir auch nicht derart nah gehen. Ich sollte mich lieber auf die sterbenden Wächter konzentrieren, immerhin hatten wir noch kein Gegenmittel gefunden.
Der Gedanke, dass ich sie einfach heilen könnte, formte sich Tag für Tag in meinem Kopf, doch meine Angst war zu groß. War der letzter Preis Daniels Hass auf mich gewesen? Oder sein Weggehen? Ich wusste es nicht und wollte es doch wissen. Immerhin waren seit der Heilung an Caitlyns Vater schon Monate vergangen, da war es doch nur naheliegend, dass dies die Bezahlung war. Wenn ich die Wächter heilen würde, was würde dann auf mich zu kommen? Wenn ich doch nur wüsste, was ich geben sollte, könnte ich es einfacher entscheiden. Aber so einfach wurde es mir nicht gemacht.
»Wie lange wusstest du von diesen Zeug, dass die Wächter nicht heilen lässt?«
Caitlyns Stimme erklang hinter mir, als sie mit leisen Schritten die Küche betrat. Es war nicht anklagenden gemeint, das wusste ich, doch sie war verletzt, was mein Herz schmerzhaft zusammenziehen ließ. Sie war mir wichtig, bedeutete mir sehr viel und zu wissen, dass sie wegen mir verletzt war, tat noch mehr weh, als Silber es je tun könnte.
»Cat ich wusste es noch nicht so lange, vielleicht ein paar Tage. Liam hatte mich zu ihnen gebracht, er hoffte, ich könnte ihnen helfen.«
»Und?« fragte sie und kam um mich herum. »Kannst du es?«
»Ich...« Es fiel mir schwer, eine Antwort darauf zu finden. Ich könnte es, aber wollte ich das auch? Ja, ich wollte ihnen helfen, jeden einzelnen von ihnen vor weiteren Schmerzen bewahren. Doch wie sollte ich das machen?
»Du?«, hakte Caitlyn nach, als ich nichts weiter sagte.
Ich wartete einige Sekunden, ehe ich ihr leise eine Antwort gab: »Weißt du noch, als ich sagte, ich könnte nichts heilen, ohne dass die Natur eine Gegenleistung verlangt? Wenn ich diese Wächter heile, kann ich dir nicht sagen, was gefordert wird. Aber es wird etwas gefordert, da alles im Gleichgewicht bleiben muss. Wenn ich jemanden so wie dich vor dem Tod bewahre, ist es schlimmer als wenn ich 'nur' eine von Silber verursachte Wunde heile. Und das Gift ist keine einfache Wunde.«
»Was könnte denn von dir eingefordert werden?«, fragte sie, nachdem meine Worte gesackt waren.
»Alles«, sagte ich und drehte die Tasse in meinen Händen. »Es sind ungefähr zwanzig verwundete Wächter und wenn ich alle von den Gift befreie, wird es keine Blümchen Forderung sein.«
»Aber du könntest sie retten!«
In diesen Moment erkannte ich die Ähnlichkeit zwischen ihr und Liam. Sie beide wollten ihre Sache durchziehen, koste es, was es wolle. In den meisten Situationen ist dies wahrscheinlich hilfreich, aber nicht hierbei. Es kam mir so vor, als begriffen sie nicht, wie heikel es war, meine Gabe zu verwenden.
»Du könntest sie alle retten Dakota. Du könntest die Väter von zwei Jährigen Kindern und frisch vermählte Männern retten. Ihnen ihre Zukunft wieder geben. Und dann willst du nichts tun, obwohl du die Macht dazu hättest?«
Ich liebte sie, doch wie konnte sie so etwas von mir verlangen. Ich wollte sie retten, ihnen ihr Leben zurück geben und sie nicht im Stich lassen. Aber es war zu gefährlich.
»Was kann so schlimm sein, wenn du dafür zwei dutzend Wölfe retten kannst.«
Ihre eindringliche Stimme krallte sich in meinem Kopf fest. Sie hatte recht. Sie konnte nur recht haben. Wieso sonst sollte ich heilen können, wenn nicht für solche Situationen.
»Du hast es in deinen Händen Dakota. Du kannst sie alle retten.« Sie fasste über den Tisch hinweg meine Hand. »Du musst sie retten Dakota.«
Glasklar konnte ich ihre Verzweiflung und Hoffnung spüren.
»Ich habe gestern mit ihm geredet«, wechselte sie plötzlich das Thema und ließ meine Hand los. Auf meinen fragenden Gesichtsausdruck hin fügte sie hinzu: »Daniel. Ich konnte gestern mit ihm reden.«
Mein Herz setzte aus.
»Geht es ihm gut? Was macht er? Hat er etwas herausgefunden? Kommt er bald wieder?«
»Keine Sorge Kota, es geht ihm gut. Er war mit ein paar Rogues dabei die Umgebung auszukundschaften, als er sich bei Liam meldete. Ich war mit ihm unterwegs, also konnte ich auch mit ihm reden. Es ging nicht lange, da die Rogues sonst bemerkt hätten, dass etwas nicht mit ihm stimmt, aber er konnte uns einiges sagen.«
Sie hielt inne, wobei ich ihren Blick durchgehend auf meiner Haut spüren konnte.
»Sie haben zwar noch nicht so viel Vertrauen zu ihn, dass sie ihm verraten, was sie Vorhaben, aber er kann ein und eins zusammen zählen. Sie haben es auf unser Territorium abgesehen und suchen nach möglichen Schwächen, durch die sie kommen können. Daniel konnte noch nicht heraus finden, warum sie dies tun, aber er bleibt dran.«
Es ging ihm gut. Es war, als würde ein Stein von meinem Herzen fallen. Er sollte wieder zurück kommen, damit wir reden können. Ich will das zwischen uns klären.
»Und deswegen musst du die Wächter von dem Gift befreien Dakota«, kam sie wieder auf ihr eigentliches Thema zurück. »Wir brauchen sie. Wenn es zu einem Kampf kommt, brauchen wir jeden Wächter den wir haben.«
Sie stand auf und ging zur Tür.
»Morgen ist Weihnachten. Schenk den Familien doch einen gesunden Vater, mehr wünschen sie sich nicht.«
Damit ließ sie mich mit meinen Gedanken alleine.
Während ich meinen nun relativ kalten Tee trank, versuchte ich eine Entscheidung zu fällen. Eine Entscheidung, mit der ich zufrieden war,mit der ich leben konnte. Wenn ich sie heilte, vollbrachte ich eine gute Tat. Wenn ich sie jedoch nicht heilte, verhinderte ich auch das Risiko, dass etwas schlimmes passierte.
Ich stand auf und ging aus dem Haus raus. Ob mein Entschluss der richtige war, wusste ich nicht, aber was sollte ich machen. Ich könnte nicht damit leben, wenn ich nichts täte.
Die kurze eisige Kälte, die mich im Freien erwartete, ließ mich schneller gehen. Es war schwer, genau zu wissen, wo ich hin musste, doch ich hielt mich an den Geruch von Desinfektionsmittel und Blut, der nur vom Heilerhaus ausging.
Als ich die große Eingangshalle betrat, konnte ich die Blicke der Ärzte und Arzthelfern auf mir spüren. Doch auf meinen Weg in den Saal mit den Wächtern konnte mich nichts ablenken.
Ich war mir nicht vollends sicher über das, was ich machen wollte. Mein Kopf versuchte weiterhin Argumente, die für und gegen das Vorhaben sprachen, zu finden. Aber mein Herz brachte sie zum Schweigen, da es genau wusste, was das Richtige war.
Am Bett von Niklas blieb ich stehen.
»Dakota«, flüsterte er geschwächt. »Es ist schön, dich zu sehen. Was machst du hier?«
»Ich möchte etwas ausprobieren Niklas. Darf ich?«, fragte ich und griff zögernd nach seiner Hand.
Auch wenn ich schon viel Zeit bei ihm verbracht habe, war es heute etwas anderes. Heute ging es nicht darum, ein Gegenmittel zu finden. Heute hatte ich eins.
»Natürlich«, sagte er, wobei ich mir vorstellen konnte, dass sich seine halb geöffneten Augen wieder schlossen.
Ich konzentrierte mich und sah, dass das schwarze Gift sich bis zu seinem Herzen durch gekämpft hatte. Schockiert fühlte ich, wie sein Herz nur noch schwach schlug.
»Nein«, flüsterte ich und zog meine Stirn kraus. Wärme ging von meinen Händen aus, als ich, bei seinem Herzen angefangen, seinen Körper von dem Teer ähnlichem Zeug zu befreien. Zu Anfang ging es nur schleppend von Statten, doch dann zog es sich zurück. Niklas fing an zu husten, wobei es sich so anhörte, als würde Flüssigkeit aus seinen Mund kommen.
Die Türen wurden aufgerissen, hektische Schritte kamen auf uns zu.
»Was zum-«
Niklas hustete wieder, diesmal heftiger, doch ich konnte das letzte bisschen Gift verfolgen, bis es aus ihm heraus war.
Dann ließ ich seine Hand los und stolperte nach hinten. Alles drehte sich und mir wurde klar, dass ich nichts mehr ändern konnte. Doch das wollte ich auch nicht.
Ich würde alles in Kauf nehmen, was auch immer auf mich in der Zukunft erwartete.

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Merry Christmas ⛄❄🎅

Blind MateWhere stories live. Discover now