①⑤ Should I

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Langsam fuhr ich durch meine Haare und versuchte sie so etwas zu ordnen, damit ich sie mir zu einen Zopf flechten kann.
Ich spürte seinen stechenden Blick schon die gesamte Zeit auf mir, doch traute mich nicht, etwas zu sagen. Sein Vater war schon seit langer Zeit gegangen und ich wollte ihn eigentlich folgen, aber alleine würde ich nicht in mein Zimmer finden und ihn wollte ich nicht fragen. Er hatte mir deutlich gemacht, was er über mich und Daniel dachte.
Die positiven Gefühle ihn gegenüber, die sich in mir ausgebreitet hatten, wurde abermals von der Angst überschattet.
Ich war abermals alleine mit ihn und wusste nicht, was ich tun sollte.
»Wie weit reichen deine Kräfte?«, durchschnitt auf einmal seine Stimme die Stille, wobei sie alles andere als angriffslustig klang. Eher neugierig, was mich überrascht, aber auch misstrauisch in meiner Bewegung inne halten ließ.
»Das weiß ich nicht«, gab ich zur Antwort und legte die letzte Strähne über einander.
Es gab für mich keinen Grund mehr, sie offen zu tragen. Sie wussten eh alle, wie meine Augen aussahen, also konnte ich mir die nervigen Strähnen auch wegstecken.
»Meinst du, du kannst Gliedmaßen wieder wachsen lassen?«
Nun hatte er meine volle Aufmerksamkeit.
»Gliedmaßen?«, fragte ich leicht ungläubig und rutschte auf dem Sofakissen umher.
»Sagte ich doch oder hast du auch etwas mit den Ohren?«
»Nein, es ist nur ... Ich dachte nicht, dass du das ernst meinst.«
Ich hatte mich dazu entschlossen die Höflichkeitsfloskeln  sein zu lassen und ihn, so wie er mich, zu duzen.
»Hab ich mich angehört, als würde ich es nicht ernst meinen?«
Er ging wieder in seine übliche Tonlage über.
»Nein«, murmelte ich und versuchte ihn ins Gesicht zu sehen, was mir wahrscheinlich mehr schlecht als recht gelang. »Aber ich bezweifel, dass ich das kann. Normale Wunden, wie die von Caitlyn, schon, die sind ja frisch und ... Da muss ja nur die Haut wieder zugehen und die inneren Blutungen aufhören. Aber Gliedmaßen ... « Ich ließ den Satz so stehen.
Mir war schleierhaft worauf er hinaus wollte. Ebenso schleierhaft war mir der Grund, warum er halbwegs normal mit mir redete. So, als würde er keinen Hass gegen mich hegen.
»Würdest du es wenigstens mal probieren?«, fragte er zögerlich.
Zögerlich?
Etwas überrascht von seiner Unsicherheit, runzelte ich meine Stirn. War das wirklich Liam Reese der vor mir saß? Ich bezweifelte es.
»Ich ... Nein.«
»Wie, nein?!«, fragte er überrascht.
»Nein. Ich kann es nicht ausprobieren. Es gibt nichts auszuprobieren. Ich denke nicht, dass es funktioniert und ich möchte nicht das Risiko eingehen, alles noch schlimmer zu machen. Abgesehen davon will ich mir gar nicht vorstellen, was ich für so etwas großes geben muss.«
»Das ist doch egal. Das kann ja wohl nichts allzu schlimmes sein. Es sterben ja keine Leute davon«, sagte er leicht angespannt. 
»Das kann schon sein«, sagte ich, war mir aber nicht sicher, ob er damit recht hatte. »Aber ich weiß auch nicht, was sonst passiert. Das kann niemand wissen. Mir ist noch nicht mal klar, was ich für Caitlyn geben muss.« Den letzten Teil murmelte ich zu mir selbst und leichte Angst machte sich in mir breit. Nach der Heilung von Daniel, war die Narbe an meinem Bein nach einem Tag erschienen und erstreckte sich über mein Knie bis zur Mitte des rechten Schienbeines. Caitlyns Wunden waren größer, tiefer und mir war nicht bewusst, wie knimpflich ich diesmal davon kommen würde.
»Es kann ja wohl nicht so schwerwiegend sein. Was ist schon dabei, einmal deine Kräfte auszuprobieren? Ich bitte dich ja nicht, jemanden zu verletzen. Du sollst es nur einmal ausprobieren
Ich hatte das Gefühl, dass er mich nicht verstand. Dass er mich absichtlich missverstand und nicht wahrhaben wollte, was ich sagte. Für wen setzte er sich so ein? Warum war es ihn so wichtig?
»Ich weiß nicht, wie weit meine Kräfte reichen«, versuchte ich nach einiger Zeit zu sagen. Der Gedanke, dass ich austesten konnte, wie weit meine Heilkraft reichte, reizte mich auf eine Art und Weise, die ich nicht beschreiben konnte. Mir war wohl wissend bewusst, dass jedes noch so kleines austesten dieser, ein Gleichgewicht der Natur erfordert und somit von mir etwas verlangt wurde, doch einmal schob sich dieser Gedanke in den Hintergrund.
Mir war ja nicht klar gewesen, was ich damit anrichten würde.
»Ja das habe ich schon verstanden!«, unterbrach er mich ungeduldig, wobei ich hörte, wie er Aufstand und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Du-«
»Aber«, unterbrach wiederum ich ihn. »Du hast meine volle Aufmerksamkeit.«
Er blieb stehen.
Schwieg.
Holte Luft und sprach: »Mein Vater verlor vor acht Jahren seinen rechten Arm. Er wurde während eines Laufes von Rogues unvorbereitet angegriffen und hatte keine Chance gegen sie. Als man ihn fand, hatten sie ihn den Arm ausgerissen und sich selbst über lassen.«
Ich war schockiert. Er erzählte mir das mit seiner gewohnten Monotonie, doch ich spürte, dass es unter seiner Haut brodelte. Jetzt verstand ich seinen Hass gegen meinen Bruder und mich. Ich verstand, warum er uns nicht hier haben wollte. Ich verstand es, aber irgendwie machte es mich auch wütend, dass er annahm, wir wären wie sie.
Rogues waren Wölfe, die sich von ihren Rudel abgesondert haben. Sie waren immer Einzelgänger, kamen nicht in Gruppen zurecht, da sie sich nicht unterordnen konnten. Sie blieben die meiste Zeit in ihrer Wolfsgestalt, weswegen ihre animalische Seite ausgeprägter war als bei uns, die sich eher in ihrer Menschengestalt bewegten. Rogues waren gefährlich, nicht einzuschätzen.
Und Daniel und ich waren zwangsweise Rogues. Aber wir würden niemals so sein, wie die Ausgestoßenen. Diejenigen, die sich von ihrem Rudel abgewandt haben.
Wir Wölfe hielten zwar schneller, als andere Lebewesen, wurden zwar auch nie krank, doch selbst Körperteile wuchsen bei uns nicht nach.
»Und ich soll sein Arm wieder wachsen lassen«, stellte ich fest.
»Ja.«
»Aber wenn ich es doch nicht kann, haben wir ihn nur falsche Hoffnungen gemacht. Das scheint mir nicht gerecht.«
»Also findest du, es erst gar nicht zu versuchen, sei besser, als ihn 'falsche Hoffnungen' zu machen.«
Mir wurde klar, dass ich mir meinen Mund fusselig reden konnte und er würde immer fester von seiner Meinung überzeugt sein.
Also lenkte ich ein.
Letztendlich saßen wir wieder wie vor wenigen Stunden in den Raum mit den Sofas. Es hatte länger gedauert, als gedacht, Senior Reese von Liams Idee zu überzeugen, doch auch der Rudelarzt unterstützte Liam dabei, bis das alte Rudeloberhaupt zustimmte.
In all der Zeit wurde ich nicht mehr angesprochen. Ich wurde von ihnen ignoriert und fühlte mich nicht wohl dabei.
Die Angst, schlussendlich viel mehr von der Natur genommen zu bekommen, wurde immer größer und ich bereute es, zugestimmt zu haben. Ich wünschte, sie hätten nie von meinem Fluch erfahren.
»Und du meinst, du kannst ihn wieder wachsen lassen?«
Er ist mir bis dato nicht wie jemand vorgekommen, der eine Einschränkung ertragen muss. Er schien so stark, strahlte eine Autorität aus, die einen nicht den Eindruck gab, dass er nicht vollkommen ist.
»Sie ist sich sicher«, antwortete Liam an meiner Stelle. Als ich dies hörte, verzog ich leicht mein Gesicht und wollte ihn eigentlich widersprechen. Aber ich sah, wie der Mann vor mir vor Glück strahlte. Seine Hoffnung und Freude drückten meine Brust zusammen und ließ mich für einen Moment alles um mich herum vergessen.
Doch ich riss mich zusammen. Ich konnte es nicht mehr andern. Der Gedanke, dass er seinen Arm wider bekommen könnte, hatte sich in seinen Kopf festgekrallt, sodass ich ihn unmöglich die Vorstellung zerstören konnte.
»Geben Sie mir bitte ihre Hand, Sir«, sagte ich leise und hob meine zitternde Hand, damit er seine in meine legen konnte. Alle Blicke im Raum waren auf mich gerichtet, als Senior Reese meiner Aufforderung nachkam und ich tief einatmend meine Augen schloss.
Beim Ausatmen merkte ich, dass mein Körper wie ferngesteuert anfing in seinem Körper nach einer Verletzung zu suchen. Und dann spürte ich es.
Die Wärme in meinen Händen wurde zu einer Hitze, die sich in seine Hände bis hin zur rechten Schulter ausbreitete.
Je mehr ich mich auf ihn konzentrierte, desto weiter verschwand mein Gefühl für mich selber. Ich spürte seinen Körper, seine Gefühle, sein Armstumpf, doch ich selber verschwomm immer  mehr.
Doch so sehr Kraft ich auch Aufwand, es passierte nichts. Seine Hoffnung wurde zu Enttäuschung, was mich dazu brachte, meine letzte verbliebene Kraft zu sammeln und sie in seinen Körper weiter zu leiten.
Dann sah ich es. Ich spürte es.
Und für einen kurzen Moment verspürte er Schmerz, den er versuchte zu unterdrücken, doch er war zu groß. Voller Qual schrie er auf, doch wie als hätte man ihn Morphium gespritzt, wurde seine rechter Oberkörper taub und er spürte nichts mehr.
Wage nahm ich war, dass jemand versuchte die Verbindung von Senior Reese und mir zu unterbrechen, doch es gelang ihm nicht.
Während ich immer schwächer wurde, wurde mir bewusst, dass ich es konnte. Ich konnte auch Körperteile nachwachsen lassen.
Doch der Preis war mir im Nachhinein zu hoch.

Blind MateNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ