Kapitel 33

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Kurze Zeit später saß ich tatsächlich in einem Kreidekreis im Flur und zündete die letzte Kerze an.

„Vergiss nicht, deiner Magie immer zu vertrauen. Ganz egal, was du gleich sehen wirst“, meinte Maybell und ich nickte. Yannick stand hinter ihr und beobachtete die Geschehnisse genau. In seinem Gesicht konnte ich lesen, dass ihm die ganze Situation nicht geheuer war. Deshalb schenkte ich ihm ein aufmunterndes Lächeln, was allerdings nur noch mehr Falten auf seine Stirn brachte.

„Nim, du solltest anfangen“, meinte Maybell. Kurz nickte ich Yannick zu, bevor ich die Augen schloss. Ich atmete ruhig und gleichmäßig, während mein Puls sich verlangsamte. Als ich spürte, wie mein Körper anfing zu kribbeln und mein linker Arm warm wurde, öffnete ich die Augen.

„Schatten der Vergangenheit, zeig mir hier und jetzt was mir verschlossen scheint.“

Mit der linken Hand berührte ich das Blut auf dem Boden und sofort flammten die Kerzen auf.

Um mich herum begann sich alles zu drehen, weshalb ich meine Augen schloss und sie erst wieder öffnete, als das Brennen in meinem Tattoo verschwand.

Ich saß immer noch auf dem Boden, nur war alles um mich herum in Ordnung. Keine Blutlache am Boden und auch keine zerbrochenen Bilder oder Spiegel. Ein Blick auf die Uhr über dem Türrahmen zum Wohnzimmer verriet mir, dass 12 Tage seit meinem Gang in den Raum der Zeit vergangen waren. Also war die Sache erst zwei Tage her.

Langsam stand ich auf, als es plötzlich an der Tür klingelte.

„Nim, bist du da? Ich bin´s Richard! Mach doch bitte die Tür auf. Es tut mir leid, ich hätte nicht so überreagieren dürfen!“, hörte ich Richard sagen und stellte mich an die Tür. Doch in diesem Moment drehte sich ein Schlüssel im Schloss und sie ging auf.

Richard kam ins Haus und stand jetzt direkt vor mir. Dann trat er einfach durch mich hindurch und blickte kurz ins Wohnzimmer. Mich durchfuhr dabei ein kurzer Schauer, doch dann folgte ich ihm. „Nim, bist du da?“, „Ja, ich stehe direkt hinter dir“, flüsterte ich, bevor die Tränen über meine Wangen liefen. Die letzten zwei Wochen hatte ich vollkommen vergessen, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Schmetterlinge flogen in meinem Bauch und ich hob meine Hand. Doch kurz vor seinem Gesicht zögerte ich, denn er zog ein Kuvert aus seiner Jackentasche.

„Es tut mir leid“, hörte ich ihn sagen, während er in den Gang zurück ging und es auf die Kommode stellte. Danach legte er die Rosen daneben und betrachtete ein Bild, das mich auf der Abschlussfeier zeigte. Mit einem traurigen Lächeln strich er darüber. „Ich hoffe, du verstehst es...“

„Na sieh mal einer an! Wenn das nicht unser Herr Dr. ist“, durchbrach eine mir allzu bekannte Stimme die Stille. Am Türrahmen lehnte Dimitri und blickte finster zu Richard. Dieser schüttelte nur den Kopf.

„Hat dir die Sache auf dem Friedhof nicht gereicht, Dimitri?“, wollte er wissen, während er sich in die Mitte des Ganges stellte.

Was? Richard und Dimitri kannten sich? War ich im falschen Film?

Dimitri zog amyssiert einen Mundwinkel nach oben und betrat das Haus. „Böser Fehler, mein Lieber! Daran hättest du mich nicht erinnern sollen." Dimitri ließ seine Finger bedrohlich knacken, was mich aus meiner Schockstarre befreite. Gut, die Beiden kannten sich also. Dimitri war ein Jäger des Ordens der sieben Drachen und Richard hatte es nicht gut aufgefasst, als er erfahren hatte das ich eine Hexe bin. Langsam setzte sich in meinem Kopf ein Puzzle zusammen und ich starrte entsetzt zu Richard.

War er am Ende vielleicht auch ein Mitglied des Ordens? War er etwa auch auf der Jagd nach mir? Hatte ich mich in einen verdammten Hexenjäger verliebt?

Ich sah zu ihm und beobachtete jeden seiner Schritte. Gerade legte er seinen Kopf abwechselnd nach rechts und links, wobei seine Halswirbel knacksten. Danach lockerte er seine Arme und stellte sich in Kampfposition vor Dimitri bereit.

„Komm doch her, wenn du dich traust!“, wie er da so stand und wild entschlossen in die Augen von Dimitri blickte, ließ ihn das für eine Sekunde viel zu gut aussehen. Wie sich seine Muskeln unter seinem Hemd anspannten, da er die Jacke ausgezogen hatte. Wie männlich und maskulin er doch sein konnte. Sofort biss ich mir leicht auf die Unterlippe, verscheuchte den Gedanken an seinen nassen Oberkörper von damals aber schnell. Denn Dimitri ging auf ihn los. Warum ging ein Jäger auf einen anderen, 'Vielleicht-Jäger' los?

Da ich von den Beiden in den nächsten Minuten bestimmt keine richtige Antwort bekommen würde, widmete ich die Aufmerksamkeit meinem Fast-Freund-vielleicht-Hexenjäger-oder-was-auch-immer. Richard wich gerade geschickt dem Angriff von Dimitri aus und landete seinerseits einen Volltreffer im Gesicht. Was den Jäger gegen die Kommode prallen ließ und das Kuvert von meinem FFvHowai dahinter fiel.

Aus Dimitris Nase flossen gefühlte 200ml Blut, was ihn noch düsterer aussehen ließ. Er spuckte etwas davon auf den Boden und fasste sich kurz ins Gesicht.

„Nicht schlecht...“, „Vielen Dank!“, gespielt verbeugte sich Richard vor ihm. Doch da traf ihn etwas an der Schulter und er wurde für einen Moment unaufmerksam. Was der Jäger nutzte und ihn gegen die Wand drückte. Dabei gingen die Bilder zu Bruch. Danach hob Dimitri ihn hoch und warf ihn gegen den Spiegel oberhalb der Kommode. Dieser zerbrach in tausend Stücke. Eine Glasscheibe bohrte sich in Richards Rücken. Was diesen kurz aufheulen ließ. „Hör auf! Hör auf!“, schrie ich und zog an Dimitris Arm, doch er merkte es überhaupt nicht. Sichtlich benommen taumelte Richard ins Wohnzimmer und warf dabei die Lampe am Eingang um. „Hast du etwa schon genug?“, meinte Dimitri und folgte Richard. Er trat ihm mit seinem Fuß genau an die Stelle, in der die Glasscheibe steckte. Während Richard nach vorne taumelte und auf den Couchtisch fiel, lachte Dimitri diabolisch. „Es wird mir so einen Spaß machen, dich leiden zu sehen."

Ich musste hilflos mitansehen, wie Dimitri Richard an seinen Haaren packte und ihn gegen die Vitrine im Wohnzimmer schubste. Doch Richard schaffte es irgendwie sich zur Seite zu drehen. Sein Überlebensinstinkt hatte sich anscheinend eingeschalten, denn er stürzte auf Dimitri zu und brachte ihn zu Fall. Wobei er die Couch umstieß. Doch der Erfolg war nur für kurze Zeit, da Dimitri nicht wirklich zu Schaden gekommen war. Während der Jäger aufstand, zog sich Richard die Glasscherbe aus dem Rücken. Dabei schrie er kurz auf und ließ sie fallen. Blut trat aus der Wunde und nach kürzester Zeit lag er in einer kleinen Lache. Mit Tränen kniete ich mich neben ihn und strich ihm über die Wange. „Es wird alles gut! Es wird alles gut...“, murmelte ich, doch er sah schlecht aus. Denn nicht nur die Wunde an seinem Rücken blutete stark. Auch aus der Wunde an seinem Bauch trat Blut.

„Du dummer, kleiner Wolf!“, meinte der Jäger und packte Richard erneut an den Haaren. Er hielt ihn vor sein Gesicht.

„Du hättest mich vorhin ausreden lassen sollen. Das war nämlich nicht schlecht, aber eben nicht gut genug.“

Als er Richard an dessen Füßen aus dem Haus zog, begannen sich die Wände zu drehen und plötzlich saß ich wieder auf dem Boden und schnappte nach Luft.

Nachtwandler I - HexentanzWhere stories live. Discover now