*Update* Zwischenkapitel 2

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Die Hochzeitsparty ging bis in die frühen Morgenstunden, wobei Yannick und Fiona sich um kurz nach zwei Uhr auf ihr Zimmer zurückzogen, was zur Folge hatte, dass viele ihrem Beispiel folgten und ich schließlich mit der Band alleine war. Meine Gefühle waren von den Geschehnissen der letzten Stunden noch zu sehr aufgewühlt, als dass ich einfach hätte einschlafen können.

Doch als auch die Musiker um vier Uhr morgens anfingen, ihre Sachen zusammen zu packen, schlich sich das Sandmännchen dann doch an mich heran.

Ich schlüpfte aus den Highheels, überquerte die Tanzfläche und trat hinaus in die Morgenluft. Als ich tief einatmete, sah ich auf den hellen Schimmer am Horizont, der den Sonnenaufgang ankündigte.

Doch als ich in Richtung des Sees blickte, machte ich zwei Gestalten aus. Eine von ihnen war groß, breit und definitv männlich und die anderen kleiner und kurviger. Leider blendete die Sonne und machte es mir schwer zu sagen, wer es sein könnte. Doch wieder breitete sich diese seltsame Wärme in mir aus und meine Fingerkuppen begannen zu kribbeln. Nur für einen Sekundenbruchteil hatte ich das Gefühl, dass der Mann in meine Richtung blickte. Gerade als ich entschloss rein zufällig an den Beiden vorbei zu gehen, ertönte hinter mir eine Stimme.

„Wunderschön nicht wahr?"

Ich drehte mich um, wobei ich nicht verhindern konnte, dass ich anfing zu grinsen. Denn vor mir stand ein junger Mann in einem weißen Hemd, das in einer schwarzen Anzugshose steckte. Die Ärmel waren bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, die rote Krawatte gelockert und der oberste Knopf stand offen.

„Hallo Richard!", begrüßte ich den besten Freund meines Bruders, der mein Lächeln kurz erwiderte, bevor er mich musterte.

„Du siehst gut aus, Nim! Es ist immer wieder faszinierend, was Kleider aus Leuten machen können", neckte er mich. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich versuche das jetzt mal nicht negativ aufzufassen und bedanke mich bei dir. Du dagegen siehst echt richtig fertig aus!"

Richard fuhr sich einmal durch seine braunen Haare, die er dabei leicht verwuschelte und ein kurzes Kribbeln durch meinen Körper huschen ließ.

„Ich habe sieben Tage Seminar und einen knapp fünfstündigen Flug hinter mir. Wundert es dich da, dass ich so aussehe, wie ich aussehe?"

„Ja, du hättest schließlich im Flieger schlafen können", kam die ehrliche Antwort aus meinem Mund, bevor ich etwas dagegen tun konnte. Sofort biss ich mir auf die Zunge.

„Es tut mir leid, Richard!"

Er sah mich einen Augenblick aus seinen graublauen Augen an, bevor er mir auf einmal seine Hand entgegenstreckte.

„Was?", wollte ich von ihm wissen, doch Richard verdrehte nur die Augen. Er kam auf mich zu und griff nun seinerseits einfach nach meiner Hand. Während ich hinter ihm her zurück in den Tanzsaal taumelte, blickte ich noch einmal zum See zurück. Doch sowohl die zwei Gestalten, als auch das Kribbeln meiner Fingerkuppen war verschwunden.

Als ich meinen Blick wieder nach vorne zu Richard richtete, schoss mir die Röte ins Gesicht und die gewohnte Nervosität übernahm meinen Körper. Denn seit kurzer Zeit machten sich da seltsame Gefühle für Richard in mir breit. Gefühle, die ich eigentlich seit ein paar Jahren tief in mir vergraben hatte.

„Warte kurz", wies Richard mich schließlich an, als wir in der Mitte der Tanzfläche standen. Ich hatte keine Möglichkeit zu fragen, was genau er vorhatte, denn er lief schon zu der Band, die in den letzten Zügen war, ihre Instrumente zusammen zu packen. Doch nach ein paar Sätzen mit ihm lächelte der Bandleader und gab seinen Kollegen ein Zeichen, dass sie wieder auspacken sollten. Mit einem breiten Grinsen kam Richard zu mir zurück.

„Was genau hast du vor?", wollte ich von ihm wissen, während ich zurück in meine Schuhe schlüpfte.

„Es wäre eine wirkliche Verschwendung, wenn du heute nicht noch einmal in diesem Kleid tanzen würdest. Außerdem schuldest du mir irgendwie einen Tanz."

„Wie kommst du denn darauf?"

„Naja, wenn ich da gewesen wäre, wäre ich Yannicks Trauzeuge gewesen. Was mich automatisch einen Stempel auf deine Tanzkarte setzen lässt."

Ich verdrehte die Augen.

„Du verwechselst da etwas. Das gilt nur bei der ersten Trauzeugin der Braut und des ersten Trauzeugen des Bräutigams. Und...", doch weiter kam ich nicht, denn er griff erneut nach mir, zog mich an sich und legte seine Hand auf meinen Rücken. Wobei unsere Gesichter nicht weit voneinander entfernt waren. Allerdings musste ich etwas zu ihm aufblicken, da ich trotz der Highheels immer noch ein Stück kleiner war als er. Wir sahen uns in die Augen und mein Körper schien überhaupt nicht mehr zu kribbeln aufhören zu wollen. Dass mir dann auch noch ein Hauch seines Aftershaves, das mich an einen Spaziergang im Wald erinnerte, in die Nase stieg, war genauso wenig hilfreich, wie die plötzlich einsetzende Musik.

Richard und Yannick hatten sich vor knapp sechs Jahren während ihrem Medizinstudium kennen gelernt und waren schnell die dicksten Freunde geworden. Ich selbst hatte Richard kennen gelernt, als ich 14 Jahre alt war. Damals hatte mein Bruder eine Party in unserem Haus veranstaltet. Es war ein eher peinliches erstes Aufeinandertreffen gewesen, denn ich war in meinem Einhornpyjama in der Küche aufgetaucht um mir ein Glas Wasser zu holen. Dort hatte sich Richard mit einer Handvoll Studenten versammelt und waren bereits etwas angetrunken gewesen. Während die anderen mich nur kurz angesehen und dann lachend verschwunden waren, war er zurückgeblieben. Er hatte sich mir vorgestellt und sich kurz mit mir unterhalten. An diesem Tag hatte meine jugendliche Schwärmerei für ihn begonnen und ganze zwei Jahre angehalten. Bis ich Emil, meinen ersten richtigen Freund kennengelernt hatte. In dieser Zeit hatte ich Richard immer seltener zu Gesicht bekommen und die Gefühle waren langsam aber sicher verschwunden. Oder anders ausgedrückt, sie hatten sich in den Tiefen meines Herzens versteckt. Bis vor sechs Monaten, als Yannick und Fiona uns zu einem spontanen Essen eingeladen hatten, bei dem sie uns verkündet hatten, dass sie heiraten würden.

Seit diesem Augenblick wurden wir Beide immer wieder dazu gezwungen, mehr Zeit miteinander zu verbringen und aufs Neue kam das Kribbeln zurück. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon seit drei Monaten von Emil getrennt gewesen, da er mich mit meiner damals besten Freundin Melanie betrogen hatte. Doch in dieser kurzen Zeit waren wir uns noch nie so nah gewesen, wie in diesem Augenblick.

„Was machst du hier?", flüsterte ich schließlich und Richard lächelte.

„Ich tanze mit dir!"

„Das meine ich nicht! Wieso tauchst du genau jetzt auf? Stunden nach der Hochzeit."

Er zuckte kurz mit den Schultern.

„Das war eine eher spontane Entscheidung, als ich am Flughafen stand. Ich wollte Yannick überraschen und...", er zog mich ein Stück näher an sich heran und flüsterte mir die folgenden Worte ins Ohr. „... vielleicht wollte ich dich auch in diesem Kleid sehen!"


Nachtwandler I - HexentanzWhere stories live. Discover now