Kapitel 25

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Meine einzigen Verwandten, die ich jemals zu Gesicht bekommen hatte, waren die Eltern von Mama. Einmal auf der Beerdigung und dann vor Gericht, als es darum ging, ob wir bei ihnen aufwachsen konnen.

Naja, nur so viel: die nächsten fünf Jahre lebte ich ohne meinen Bruder in einer Pflegefamilie. Sie waren nett und kümmerten sich gut um mich, doch ich war nicht glücklich. Erst hatte man mir meine Eltern genommen und jetzt auch noch meinen Bruder?

An meinem elften Geburtstag bekam Yannick endlich das Sorgerecht für mich und holte mich zu sich. Wenn ich jetzt so darüber nachdachte, waren wir seitdem unzertrennlich gewesen.

Yannick opferte sich fast für mich auf, damit es mir gut ging. Er nahm zwei Jobs an um uns und sein Studium finanzieren zu können. Und trotzdem fand er noch die Zeit, mit mir Hausaufgaben zu machen und zu den Schulveranstaltungen zu gehen. Etwas Nasses, das auf meine Hand tropfte, riss mich aus meinen Gedanken und erst jetzt merkte ich, dass ich weinte.

Doch jeder Träne, die ich versuchte abzuwischen, folgte eine Neue. "Nim, ich weiß nicht einmal ansatzweise was gerade alles in der Vorgehen muss. Aber wichtig ist, dass du den Glauben an die Magie nicht verlierst", meinte Maybell mit sanfter Stimme, bevor sie mir ein Taschentuch reichte.

"Geht es dir wirklich nur darum? Das ich so schnell wie möglich lerne meine Magie zu beherrschen? Mach dir darüber keine Sorgen, ich habe meine Eltern an einen Rudel Wölfe verloren und Yannick hat wegen mir auf seine Magie verzichtet", fasste ich kurz zusammen. "Ich bin es ihnen schuldig, meine Magie zu beherrschen!"

Kurz hielt ich dem Blick von Maybell stand, bevor sich ein Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete. "Sehr schön! Genau diese Entschlossenheit wird dir eine sehr gute Hilfe sein."

"Wir werden sehen. Aber sag mal, wird es für meine Mitmenschen nicht seltsam sein, wenn ich in zwei Wochen wie eine 21-Jährige aussehe?"

Doch bevor Maybell zu einer Antwort ansetzen konnte, riss uns ein Klopfen an der Tür aus dem Gespräch. "Erwartest du Besuch, Nim?", fragte Maélys, deren Blick plötzlich angespannt wirkte.

"Mmmh... lass mich mal überlegen. Ja, natürlich habe ich Freundinnen zum Tee eingeladen um ihnen zu erzählen, dass ich eine Hexe bin", witzelte ich, bevor ich sie ernst ansah. "Maélys, ich habe keine Ahnung wer da vor der Tür steht... Vielleicht ist es Richard, aber der ist wirklich der letzte Mensch, den ich jetzt sehen will. Könnt ihr nicht mit eurer Magie erfühlen, wer da ist?"

"Schon gut, schon gut! Ich geh ja", genervt stand ich auf und ging an den Beiden vorbei. In meiner Vorstellung sah ich Richard wie in diesen klischeehaften Hollywood-Lovestroys mit einem riesigen Strauß Rosen vor der Tür stehen. Damit ich ihm allerdings verzeihte, musste das schon eine komplette Lastwagenladung an Rosen sein. Doch als ich die Tür öffnete, sah ich weder Blumen noch Richard.

Jedoch stand, der Statur nach zu urteilen, ein Mann vor mir. Er trug einen schwarzen Umhang, dessen Kapuze das halbe Gesicht verdunkelte. Der Rest wurde von einer goldschimmernden Maske verdeckt. Ein Stück hinter ihm stand Dimtri, der mich angrinste als sei ich der Hauptgewinn eines Gewinnspieles. "Sie müssen sich an der Tür geirrt haben. Die Party findet zwei Häuser weiter bei den den Grünsteins statt", noch während ich das sagte, warf ich die Tür zu und stürmte ins Wohnzimmer.

"Maybell! Maélys! Wir haben ein Problem!", rief ich ihnen zu, als ich bei ihnen angekommen war. "Vor der Tür steht ein komischer Kapuzentyp in Begleitung von Dimitri."

Für eine Sekunde schien jeder im Raum die Luft anzuhalten, bis die Beiden plötzlich in Bewegung kamen.

"Alles klar! Maélys, du stellst sicher, dass sie nicht ins Haus kommen.", "Alles klar!", und schon stürmte sie aus der Küche. "Nim, du kommst mit mir", sagte Maybell zu mir, bevor sie mich an der Hand nahm und in Richtung Kellertreppe zehrte.

"Maybell, was hast du vor?", fragte ich, als wir in der Waschküche standen und sie sich wie ein verängstigtes Reh umsah.

"Wir müssen das Portal zum Raum der Zeit öffnen", in diesem Moment hörten wir von oben einen Knall und einen schrillen Schmerzensschrei von Maélys.

"Maybell, wir müssen ihr helfen!", rief ich, nahm mir den Besen und stürzte zur Treppe. Doch ich lief gegen eine unsichtbare Wand und machte einen Schritt zurück.

"Maélys kommt schon klar! Außerdem hätte dir der Besen nicht viel gebracht", meinte Maybell und nickte kurz in meine Richtung. "Dort oben sind speziell ausgebildete Jäger, die ein Besen bestimmt nicht aufhalten wird, dich zu töten. Genau deshalb müssen wir dich auch von hier wegbringen."

Sie sagte das in einem Tonfall, der überhaupt nicht zur Situation passte. Vielleicht gehörte sie zu dem Typ Mensch/ Hexe, die nach außen Ruhe ausstrahlten, allerdings nach innen totale Panik hatten. Also das genau Gegenteil von mir.

Von oben hörte ich Holz splittern und Glas zerbrechen. Maybell hingegen, steckte mit dem halben Arm in unserem Vorratsschrank. Wie konnte sie jetzt nur ans Essen denken?

Ich wollte sie gerade fragen, was sie da eigentlich tat, als sie triumphierend eine Tüte Salz in die Höhe hielt.

"Wow, super Maybell. Du hast eine Tüte Salz gefunden... Und wie soll uns das helfen!", schrie ich sie an, sodass sie leicht zusammen zuckte. Doch sie fasste sich schnell wieder. "Ein Kreis aus Salz wird dich beschützen. Stoff des dritten Monats deiner Ausbildung", erwiderte sie, bevor sie anfing einen Kreis auf den Fließenboden zu ziehen. "Oh... okay...", murmelte ich. "Kann ich dir helfen?"

"Stell die vier Kerzen in einem Viereck um den Kreis." Ich wollte gerade fragen, welche Kerzen sie meinte, als sie plötzlich auf der Waschmaschine auftauchten.

Mit zitternden Händen stellte ich sie auf den Boden. "Und jetzt?", "Jetzt hälst du die Klappe und stellst dich neben mich", meinte Maybell.

"Wo ist die kleine Bergstein-Hexe?", hörte ich eine gedämpfte Stimme von oben, deren Klang mir bekannt vorkam. Sie musste zu dem Kapuzenkerl gehören. Doch woher kannte ich sie?

"Rede, Wallace-Hexe!"

Als nächstes hörte ich ein Spuckgeräusch. Maélys hatte ihm doch wohl nicht ins Gesicht gespuckt?

Nachtwandler I - HexentanzWhere stories live. Discover now