Kapitel 23

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Eine halbe Stunde später öffnete Richard die Tür zu seiner Wohnung. "Willkommen in meinem bescheidenen Zuhause", meinte er und machte dabei eine einladende Geste.

"Bescheiden? Das ist alles Andere als bescheiden, Richard", ich ging an ihm vorbei, wobei ich ihm leicht in den Oberarm boxte. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd und rieb sich gespielt den Oberarm. "Das hat weh getan, Nim!", "Gut!", "Schau dich ruhig etwas um. Ich werd mir schnell was Nicht-blutiges  anziehen."

Doch ich hörte ihm nur noch mit einem Ohr zu und ging in die Mitte des Wohnzimmers. Dort drehte ich mich langsam um meine eigene Achse. Die  Wohnung, wenn man sie überhaupt so nennen konnte, erstreckte sich über zwei Ebenen.

Neben dem Designerwohnzimmer grenzte die Top moderne Küche mit einem Kochblock  in der Mitte.

Mein Blick glitt nach oben zu einer Galerie, wo ich die weiteren Zimmer vermutete. Es war eine absolute Traumwohnung, wobei  sie keinen Zweifel offen ließ, dass hier Geld im Spiel war. Verdammt viel Geld.

Das absolute Highlight war die Fensterfront, aus der man einen perfekten Blick über Freiburg hatte.

*

"Gehört das alles dir?", fragte ich schließlich, nachdem ich die Aussicht genossen hatte und Richard das Wohnzimmer durchquerte.

"Wenn du damit den Teil von Freiburg meinst, den du von hier sehen kannst, muss ich dich leider enttäuschen", hörte ich Richard hinter mir sagen, bevor sich seine Arme von hinten um meinen Bauch legten. "Mir gehört nur dieses Penthouse."

"Ach, dir gehört also nur dieses Penthouse, ja?"

Ich löste mich aus seiner Umarmung, trat einen Schritt zurück und verschrenkte die Arme vor der Brust. "Yannick hat mir erst letztens von deiner Wohnung erzählt. Allerdings hat er es mir nicht so wunderschön beschrieben."

"Vielen Dank. Aber es gibt weitaus schönere Dinge. Eines steht in diesem Moment direkt vor mir", meinte Richard, während er auf mich zukam.

"Ach, tut es das ja?", er strich sanft über meine Arme und löste sie dabei voneinander. Schließlich kreuzte er seine Finger mit meinen. "Ich glaube, es gibt da noch eine Sache zwischen uns, die wir zu Ende bringen sollten", flüsterte er, während sein Mund dem Meinen gefährlich nahe kam. Doch meine Gedanken waren für kurze Zeit bei zwei Hexen, die mir daheim bestimmt schon die Hölle heiß machten. Allerdings konnten sie ruhig noch etwas warten, fand ich.

Ein kurzes Schmunzeln tanzte über meine Lippen, bevor ich eine Augenbraue hob.

"Ja, das denke ich auch", das letzte Wort ging allerdings schon in dem Kuss unter, denn ich hatte Richard an seinem T-Shirt zu mir heran  gezogen. Für  unsere Lippen schien es die Pause zwischen dem Kuss auf dem Friedhof  und jetzt nicht gegeben zu haben, denn sie machten da weiter, wo sie unterbrochen worden waren.

Richard half mir aus meiner Jacke. Dabei taumelten wir einen Schritt rückwärts und ich stieß gegen einen Beistelltisch neben der Couch. Das war das Todesurteil einer Lampe, die nun in Einzelteilen auf dem Boden lag. Doch Richard schien das nicht zu stören, denn seine Hände wanderten bereits unter mein Shirt.

Als Richard das Shirt schon bis zur Hälfte über meinen Bauch geschoben hatte, kamen in mir Zweifel auf. Machten wir hier das Richtige? Er war schließlich schwer verletzt und sollte sich ausruhen.

"Richard, wir sollten das nicht tun...", hauchte ich zwischen den Millisekunden, in denen unsere Lippen nicht wie Uhu aneinander klebten und versuchte ihn so davon abzubringen weiter zu machen. Doch das war keine leichte Aufgabe, denn seine Küsse machten mich wahnsinnig und seine warmen Hände an meinem Rücken, machten das ganze nicht wirklich besser. Dennoch zwang ich mich dazu, einen kleinen Schritt nach hinten zu gehen und ihm meine Hand auf seinen Arm zu legen. "Was machen wir denn?", meinte Richard, mit einem Tonfall in Kombination mit einem Blick, der mein Blut zum Kochen brachte. Also warf ich meine Zweifel über Bord und gab ihm einen sanften Schubser, woraufhin er auf der Couch landete.

Bevor ich allerdings in bester Raubtiermanier über ihn herfallen konnte, durchzuckte ein kurzer stechender Schmerz mein linkes Handgelenk. Zuerst wollte ich es ignorieren, doch der Schmerz wurde plötzlich unerträglich und ich ließ mich neben Richard auf dir Couch fallen. "Nim, alles okay?", er tauchte neben mir auf und folgte meinem Blick, der auf dem Verband ruhte. In diesem Moment färbte er sich langsam rot.

"Meine Güte! Was hast du gemacht?", rief Richard und nahm meine Hand. Doch ich zog sie wieder zurück, denn er sollte von dem ganzen übernatürlichen Zeugs  verschont bleiben.

"Das geht schon! Es ist nichts...", "Nim, das sieht mir nicht nach 'Nichts' aus! Jetzt lass mich das sehen!"

Richard nahm also wild entschlossen meine Hand und fing an, den Verband zu entfernen. Doch als er die Rose sah, schien er zu erstarren. "Richard das...", "Du bist eine Hexe!", hörte ich ihn vor sich hin murmeln und als er mir in die Augen sah, war da keine Spur mehr von Begierde und Sorge. Vielmehr schienen seine Augen leer zu sein. "Seit wann?", sein härter Tonfall unterstrich seinen Blick und ließ mich kurz zusammen zucken. "Seit wann bist du ein Mitglied des Mondrosen-Zirkels?"

Mein Mund klappte auf und wieder zu, doch kein Ton fand den Weg hinaus. Woher wusste er von dem Zirkel?

Doch die Frage ging in einem Schmerzensschrei  unter, als Richard mein Handgelenk fester umfasste. "Du tust mir weg!", "Antworte mir, Nim! Seit wann bist du eine Hexe?"

Tränen bildeten sich in meinen Augen, denn ich verstand nicht warum Richard plötzlich so wütend auf mich war.

"Warum ist das so wichtig für dich?", fragte ich ihn, doch das Beben meiner Stimme dabei konnte ich schwer verbergen.

"Du würdest das nicht verstehen und ich kann es dir nicht erklären!", gab er mir als Antwort, bevor er meine Hand los ließ und aufstand. Er ging hinüber zu der Fensterfront und sah hinaus. Die Abendsonne war gerade dabei, den Horizont rot zu färben. Ich hätte es mir vermutlich angeschaut, bis die Sonne untergegangen war. Doch jetzt hatte ich Anderes zu klären.

"Versuch es mir zu erklären! Ich verstehe nicht, warum plötzlich soviel Hass aus deinen Augen spricht! Bitte, Richard...", doch ich betrachtete weiterhin seinen breiten Rücken. Er schien auch keinerlei Anstalten zu machen, sich zu mir umzudrehen. Was mir einen Stich ins Herz versetzte. Nachdem ich gefühlte fünf Minuten darauf gewartet hatte, dass von ihm noch etwas kommen würde, stand ich auf und hob meine Jacke vom Boden auf. Danach wandte ich mich zum Gehen, ohne mich nocheinmal umzudrehen.

"War es ernst gemeint?", hörte ich Richard fragen, als ich meine Hand auf die Klinke der Eingangstür legen wollte.

Langsam drehte ich mich zu ihm um. Die untergehende Sonne ließ ihn wie ein Schatten aussehen und doch erkannte ich, dass seine Augen auf mich gerichtet waren. Mein Herz schlug schneller und auch wenn er mich verletzt hatte, merkte ich, dass es sich nach ihm sehnte. Allerdings versuchte ich diese Gefühle ihn mir so gut es ging nicht auf meine Mimik zu übertragen. Was mir auch gut gelang, als ich "Was meinst du?" sagte.

Er strich sich einmal durch das Haar, bevor er die Hände in seine Hosentaschen steckte.

"Als du auf dem Parkplatz des Friedhofes gesagt hast, dass du mich liebst. War das ernst gemeint? Oder hast du da einen Zauber an mir versucht?"

Seinem eiskalten Blick stand haltend, versuchte ich herauszufinden, ob er diese Frage jetzt ernst meinte. Oder ob er mich nur noch mehr verletzen wollte.

"Wenn das gerade wirklich dein Ernst ist, Richard, war es wohl mein größter Fehler dir zu sagen, dass ich dich liebe! Aber was ich als kleine Neuhexe  definitiv schon sagen kann ist Folgendes: die Liebe kann man nicht einfach so hervorzaubern, wie ein Kaninchen aus einem Hut."

Nachtwandler I - HexentanzWhere stories live. Discover now