*Update* Kapitel 6

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Seit der Hochzeit waren sieben Tage vergangen und der Alltag hatte uns langsam aber sicher wieder eingeholt.

Allerdings schien das nur auf mich zuzutreffen.

Denn Yannick und Fiona liefen immer noch wie zwei Turteltauben durch die Gegend und jeden Morgen weckte mich das gespielte Geschrei von Fiona, die von Yannick durch unser Elternhaus gejagt wurde. Was nicht nur einmal zu peinlichen Situationen geführt hatte. Heute würden sie jedoch endlich ihre Flitterwochen antreten und mich komplette vier Wochen alleine lassen.

Allerdings war heute etwas anders als die Tage zuvor. Denn mich weckte das Klingeln meines Weckers und nicht das Quieken meiner Schwägerin.

Kurz überlegte ich das ganze auszunutzen und mich einfach noch einmal umzudrehen. Doch auf der anderen Seite, würde ich es vielleicht mal als Erste ins Bad schaffen. Also stand ich auf und schlurfte gähnend zu meinem Ziel.

Als ich meine Zähne putzte, kam es mir dann doch etwas zu ruhig vor und so schielte ich kurz aus der Tür. Dabei erlitt ich beinahe einen Herzinfarkt, wenn man von der plötzlichen Blindheit einmal absah.

Yannick und Fiona waren nämlich von beiden Seiten auf mich zugesprungen, während sie laut „Überraschung! Alles Gute zum Geburtstag, Nim", gerufen hatten.

Fiona hatte zu allem Überfluss auch noch ein Foto gemacht. Mein erstes Bild mit 19 Jahren sollte mich mit weit aufgerissen Augen zeigen. Die Haare standen wild verwuschelt zu allen Seiten ab, was selbst Strubbelpeter vor Neid hätte erblassen lassen. An meinem Mundwinkel war ein Zahnpastastrich zu erkennen, der sich an meinem Kinn den Weg zum Hals bahnte. Die Karate-Kid-Pose erwähne ich jetzt nur am Rande.

„Hey, ganz ruhig, Ninjagirl! Wir sind es doch nur, Yannick und Fiona", sagte mein Bruder, als er auf mich zukam. Dabei deutete er von sich auf Fiona und wieder zurück. Ich atmete aus und lockerte meine Haltung, bevor ich ihn böse an funkelte.

„Seit ihr total durchgeknallt, mich so zu erschrecken? Mein Herz rast immer noch wie ein Hase im Zuckerrausch!", schrie ich ihn an, um meiner Angst Luft zu machen. Yannick sah mich an, hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie ein Hase im Zuckerrausch, ja?", wiederholte er, was meine Wut sofort verpuffen ließ.

„Ja, genau so! Hör auf so blöd zu grinsen! Ich werde mich fertig machen und wenn ich in die Küche komme, möchte ich gesittet begrüßt werden", meinte ich und schritt in mein Zimmer. Allerdings nicht ohne den Eindruck zu hinterlassen, dass ich immer noch wütend war. Denn die Tür flog mit einem Knall ins Schloss.

~

Eine viertel Stunde später stand Yannick mit einem Lächeln in meiner Zimmertür.

„Na, immer noch sauer?", fragte er, während er sich an den Türrahmen lehnte. Seine Arme verschränkte er vor der Brust. „Nein! Ich hab mich vorhin nur erschrocken", meinte ich.

„War vielleicht nicht meine beste Idee, da hast du recht. Entschuldige!, erwiderte er schulterzuckend.

„Schon gut!", winkte ich ab und ging zu ihm. „Wollen wir dann nach unten gehen? Ich komm gleich um vor Hunger!"

„Ich glaube, dein Magen muss sich noch etwas gedulden. Denn ich habe ein Geschenk für dich, Nim!"

„Yannick, ich habe doch gesagt, dass ich keine Geschenke haben möchte", erwiderte ich genervt, wurde aber schon von ihm aus meinem Zimmer geschoben.

„Man wird nur einmal 19! Und außerdem gehören Geschenke zu einem Geburtstag nun einmal dazu!", meinte er, während er mich nach draußen führte. „Jetzt schließe deine Augen und lass sie auch geschlossen!"

„Yannick..."

„Keine Widerrede!"

Kurz sahen wir uns an, wobei ich den Wer-zuerst-blinzelt-hat-verloren Wettkampf, wie sonst auch immer, verlor. Also schloss ich meine Augen. Yannick nahm meine Hand und führte mich über den Rasen vor das Haus.

„Bist du bereit?", fragte er schließlich, was mich nur stumm nicken ließ.

„Okay, dann darfst du deine Augen jetzt aufmachen. Alles Gute zum Geburtstag, Nim", sagte er, während ich meine Augen öffnete. Vor mir stand, mit einer roten Schleife versehen, der alte Ford Mustang Baujahr 1964 von unserem Vater.

Die nachtblaue Lackierung glänzte, frisch poliert in der Mittagssonne. Bisher war nur Yannick mit dem Auto gefahren, da er es hütete wie seinen Augapfel. Das er mir das Auto jetzt schenkte, machte mich so glücklich, dass ich anfing zu weinen und mich zu ihm umdrehte.

„Yannick, du kannst mir doch nicht das Auto von Papa schenken. Er hat es dir doch vermacht!", meinte ich mit belegter Stimme, doch er lächelte mich nur an.

„Nim, ich habe nicht wirklich die Zeit damit zu fahren. Außerdem ziehen Fiona und ich bald in die Stadtvilla, die uns ihr Vater zur Hochzeit geschenkt hat." Er verdrehte kurz die Augen, da er nicht wirklich der Typ für extremen Luxus war. "Was für mich soviel bedeutet wie, dass ich ab sofort mit der Limousine zur Arbeit gefahren werde. Und da er für ein Garagenauto zu schade ist und ein Verkauf nicht in Frage kommt, bleibst nur du übrig", erklärte er.

Einen Moment sah ich Yannick nur an, bevor ich ihn stürmisch umarmte „Danke, danke, danke!", flüsterte ich.

„Nichts zu danken."

~

Zwei Stunden und ein ausgewogenes Geburtstagsfrühstück später, war die Zeit des Aufbruchs für die beiden Turteltauben gekommen.

„Und du bist dir sicher, dass du vier Wochen ohne mich klar kommst?", wollte Yannick wissen, während er dem Chauffeur seinen Koffer reichte.

„Ja, natürlich! Die Frage solltest wohl eher du dir stellen", meinte ich und zwickte ihm leicht in die Seite, bevor er mich in eine kräftige Umarmung zog.

„Pass gut auf dich auf, okay? Ich habe Richard gebeten, ein paar Mal nach dir zu sehen", sagte er, nachdem ich mich aus seiner Killerumarmung befreit hatte.

„Vielen Dank auch, dass du mir einen Babysitter aufbrummst!", meinte ich, als ich die Arme vor der Brust verschränkte.

„Ja, ich hab ihm auch gesagt, dass du mit 19 Jahren keinen Babysitter mehr brauchst. Und dann bestimmt nicht Richard. Aber er wollte nicht auf mich hören", erklärte Fiona.

„Vielen Dank! Zumindest versteht mich deine super tolle Frau", sagte ich, bevor ich Fiona umarmte. „Viel Spaß euch! Und bring mir was mit, ja?"

„Aber natürlich! Ich werde die Souvenir Shops aufkaufen!", witzelte Fiona und stieg in die Limousine.

„Ach, jetzt rotten sich die Damen gegen mich zusammen? Ich möchte doch einfach nur, dass dir nichts passiert, Nim!", meinte Yannick, wobei ich merkte, dass er die ganze Sache viel zu ernst nahm. Also legte ich ihm meine Hand auf den Arm.

„Ich weiß, dass du es nur gut meinst, Yannick. Aber ich bin 19 und keine sechs mehr. Wenn es dir aber besser damit geht und du deinen Urlaub so richtig genießen kannst, kann Richard so oft vorbei kommen, wie er möchte", versuchte ich ihn zu besänftigen.

„Aber jetzt solltest du zu deiner Frau in den Wagen steigen, sonst fährt sie noch ohne dich", witzelte ich und schob ihn in Richtung der Limousine, wobei er schon wieder lächelte. Doch bevor er einstieg, drehte er sich zu mir um und setzte zu einer Umarmung an. Ich hob abwehrend meine Hände.

„Wir haben genug umarmt für heute. Steig jetzt bitte in den Wagen, Yannick!", forderte ich ihn auf, allerdings ließ es sich Yannick nicht nehmen, mir einen Kuss auf die Stirn zu geben. Danach stieg er in das Auto und es fuhr davon.

Ich winkte ihnen nach, bis die Limousine um eine Ecke bog. Danach lief ich in das Haus und blieb für einen Augenblick an der Eingangstür stehen. Genoss die angenehme Stille, die sich über das Haus gelegt hatte. Allerdings blieben mir nur ein paar Minuten meiner wohlverdienten Ruhe, als es an der Tür klingelte.

„Meine Güte, Yannick! Es sind doch nur...", mitten im Satz brach ich ab, denn es war nicht mein Bruder, der vor der Tür stand.


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