*Update* Kapitel 12

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„Jetzt gibt das auch Sinn, was der Gorilla oder Dimitri vorhin gesagt hat. Ich bin eine Hexe", murmelte ich vor mich hin. Doch die Worte klangen wie eine Lüge in meinen Ohren. Wie konnte ich eine Hexe sein?

„Nim, setz dich bitte wieder hin!", hörte ich Maybell sagen, was mir plötzlich bewusst machte, dass ich mitten im Zimmer stand.

„Ich bin doch keine Hexe, Maybell! Ich habe vollkommen unmagische Eltern und komm mir jetzt nicht mit dieser Harry Potter Story, dass es Generationen überspringen, bzw. komplett von allein auftauchen kann", meinte ich, bevor ich mich wieder auf die Couch setzte. Allerdings stand ich gleich wieder auf.

„Eine Hexe! Uh... habt ihr schon gehört, Nim Bergstein ist eine Hexe. Lasst uns die Mistgabeln und Fackeln holen und sie dann auf dem Scheiterhaufen verbrennen!"

Im Augenwinkel sah ich, wie Maybell sich eine Zigarette anzünden wollte und wand mich zu ihr um.

„In diesem Haus wird nicht geraucht!", rief ich. Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen und mit der Hand auf sie gezeigt, flog sie Maybell aus der Hand. Bevor sie den Boden berührte, glomm sie noch einmal auf und blieb liegen.

Es war mit einem Schlag so still, dass man die sprichwörtliche Nadel hätte fallen hören können. Mein Blick flog abwechselnd von Maybell zur Zigarette und wieder zurück.

„War... Hab ich... Ist diese Zigarette gerade aus deiner Hand... durch die Luft geflogen und ist dann auf den Boden gefallen?", fragte ich Maybell, die mit einem super breiten Grinsen – eine Mischung aus Batmans Joker und Alice im Wunderlands Grinsekatze – in dem Sessel saß.

„Maybell hör auf zu grinsen. Außerdem sieht das gruselig aus! Habe ich gerade die verdammte Zigarette aus deiner Hand gepustet?"

„Ja, das hast du!", meinte sie und war anscheinend so stolz, wie es nur eine Mutter hätte sein können. Allerdings war das Alles, was ich zu hören bekam.

„Ist das alles?", fragte ich sie. „Oder kommt da noch was?"

„Nim, deine Magie erwacht. Früher als gedacht, aber sie kommt zum Vorschein. Anscheinend musstest du dir bewusst werden, was du bist. Als du gerade laut ausgesprochen hast, dass du eine Hexe bist, muss sich ein Schalter bei dir umgelegt haben. Blöde Frage, aber fühlst du dich irgendwie anders?", sie legte ihren Kopf schief und sah mich fragend an.

"Ob ich mich anders fühle?"

Doch Maybell überhörte meine Frage.  „Hör in dich hinein!"

„Ich soll..."

„Tu es einfach!", rief Maybell und ich hielt die Luft an. „Atme dreimal ein und aus. Danach wird alles Anders sein."

Den Blick auf Maybell gerichtete tat ich das, was sie mir befohlen hatte, denn sie hatte mir gerade wirklich Angst gemacht. Das dieses kleine Mütterchen so laut schreien konnte.

Auf einmal durchströmte mich eine seltsame Wärme, die ich vorher so noch nie gespürt hatte. Es war, als würde ich mich in eine kuschelige Decke wickeln, mit einer heißen Schokolade in der Hand und doch fühlte ich mich nicht anders. Ich war immer noch ich. Gut, wenn man von der Tatsache absah, dass ich anscheinend eine Hexe war.

„Nein, ich fühle mich nicht anders. Aber da ist eine angenehme Wärme in meinem Körper, die bisher noch nicht da war", erklärte ich ihr.

„Sehr gut, diese Wärme ist deine Magie, Nim. Ich werde dir helfen, sie zu kontrollieren. Das mit der Zigarette war nur ein Hauch dessen, was du wirklich kannst", meinte Maybell. „Also bist du auch eine Hexe?", wollte ich von ihr wissen, doch die Antwort war mir schon klar, bevor sie es aussprach.

„Ja, das bin ich, eine ziemlich Alte noch dazu. Wenn deine Ausbildung abgeschlossen ist, werde ich mich vom Rat pensionieren lassen", sie lächelte mich an.

„Na gut, da du jetzt weißt, was du bist, solltest du wissen, wer du bist. Schon klar, du bist Nim Bergstein. Aber du bist auch ein Mitglied des Mondrosen-Zirkels. Du musst nur noch offiziell aufgenommen werden", erklärte sie mir, was mir irgendwie ein Bild von Kerzen, einem Kreidekreis und Blut ins Gedächtnis rief.

"Mmhh... wird das jetzt so ein Ritualdingens, wie man es in den meisten Hexenfilmen sieht?", fragte ich Maybell mit einem Zittern in der Stimme.

"Oh, es wird so viel Blut fließen, dass wir wahrscheinlich neue Teppiche kaufen müssen", meinte sie, wobei mir der sarkastische Unterton nicht entging. Es würde also Blut fließen, zwar nicht so übertrieben viel, aber doch soviel um mich in den Zirkel aufzunehmen. Keine Ahnung warum mein Gehirn in diesem Moment eine Brücke zu Richard baute, aber plötzlich fiel er mir wieder ein. Als ich einen Blick nach draußen warf, dämmerte es bereits.

"Maybell, brauchst du mich für die Vorbereitungen? Ich müsste kurz telefonieren", doch ich wartete die Antwort nicht ab. "Nein? Okay, dann bin ich gleich wieder da."

Oben angekommen, warf ich mich auf mein Bett und starrte die Decke an. Ich genoss für kurze Zeit die Stille um mich herum, allerdings begannen meine Gedanken sofort wieder wie ein Tornado durch meinen Kopf zu wirbeln.

Seit mein Bruder verreist war, war mir wirklich seltsames passiert. Es schien fast so, als hätten diese Dinge nur darauf gewartet, mich aus dem Hinterhalt anzuspringen.

Naja, zumindest gab es eine gute Sache, die mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Ich setzte mich auf und holte mein Handy aus der Hosentasche. In diesem Moment klingelte es.

"Hallo Richard!", begrüßte ich ihn.

"Hallo Nim! Ich hab mir gedacht, ich melde mich mal bei dir."

"Das trifft sich gut, denn ich wollte dich gerade anrufen!"

Ich konnte sein Lächeln förmlich durch die Telefonleitung spüren.

"Dann habe ich ja Glück gehabt! Geht es dir besser?", fragte Richard.

"Ja, danke", log ich, denn ich konnte ihm ja schlecht erzählen, dass eine Hexe unten im Wohnzimmer ein Ritual vorbereitete, das mich in ihren Zirkel aufnahm. Erst recht konnte ich ihm schlecht sagen, dass ich selbst eine Hexe war.

"Ich hab mich etwas hingelegt."

Die nächste halbe Stunde unterhielten wir uns über total belanglose Dinge. Doch es tat mir unglaublich gut und ließ mich die letzten zwei Tage für kurze Zeit vergessen.

"Nim, kommst du?", riss mich Maybells Stimme unsanft aus meinem kleinen pinken Traumland.

"Richard, ich muss jetzt auflegen."

"Okay, sehen wir uns morgen? Was hältst du von Mittagessen in der Krankenhauscafeteria? Ja, ich weiß..."

"Gerne!", unterbrach ich ihn, was ihn anscheinend aus der Bahn warf, denn er schwieg.

"Bist du noch da?"

"Ja, entschuldige. Dann sehen wir uns morgen um 13 Uhr?"

"Ich werde da sein! Gute Nacht, Richard!"

"Gute Nacht, Nim!"

Nachtwandler I - HexentanzWhere stories live. Discover now