Vertrauen

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Als die ersten Worte aus ihrem Mund strömen, weicht die Ernsthaftigkeit mit einem Schlag aus ihrem Gesicht, nur um Platz für einen leicht traurigen Schleier zu machen. "Wie du dir schon denken kannst, werde ich an jenem Ort gemobbt. Darum will ich nicht dort sein. Hier ist es viel schöner. Keiner mobbt mich." Ja, das ist durchaus verständlich. Hier ist eben alles möglich. In dieser Welt kann jeder ein wunderschönes Mädchen sein, egal ob Mobbingopfer oder männliches Wesen. "Ist es dermaßen unerträglich, dass du deshalb Schule schwänzen muss?", frage ich vorsichtig, um sie nicht zu kränken. Sie nickt kurz, wobei sich ihre Augen mit Tränen füllen. Ihre Hände liegen verkrampft ineinander verschränkt auf ihren Beinen, woran ich merke, dass es ihr ziemlich zu schaffen macht. Nach einer Weile, in der es sehr ruhig ist, fängt sie an nervös zu lachen: "War nur ein Spaß! Du bist voll leicht auszutricksen."

Ich weiß, dass es kein Spaß ist. Das erkennt man ganz einfach an ihren traurigen Augen und ihrem schiefen Lächeln. "Gibt es denn keinen bei dem du dir Hilfe ersuchen kannst?", ich schlucke nervös. Sie kommt sich sofort ertappt vor und schaut mich nur schweigend an, dann schüttelt sie den Kopf: "Ich habe keine Freunde. Keine Familie. Niemanden interessiert - " Ich unterbreche sie: "Mich interessiert es. Ich werde dein Freund sein, ähh ich meinte Freundin!" Ihre Augen glänzen vor Rührung und ihre Wangen nehmen einen leicht rötlichen Ton an. "Mhm..", gibt sie nur von sich, während sie schnell zu Boden schaut, um ihre Tränen vor mir zu verbergen. Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen. Wie konnte ich nur denken, dass sie komisch sei. Wenn ich gemobbt werden würde, würde ich mich auch vor anderen in Acht nehmen. Das arme Mädchen.. Ich hebe meine Hand, um sie trösten, doch stoppe direkt in meiner Bewegung, da sie heftig zusammen zuckt und mich erschrocken anschaut. "Hab doch keine Angst!", entfährt es mir vor Überraschung. Sie wird rot und senkt erneut ihren Kopf. "Tut mir leid, ich - ich dachte du willst mir Schmerzen zu...fügen.", stottert sie.

Aufeinmal überkommt mich eine schreckliche Wut. "Schlagen dich deine Mobber?!", rufe ich entsetzt. Sankarea schüttelt den Kopf: "Es ist die Frau." Was denn für 'ne Frau? Ich schaue sie verständnislos an. "Meine 'Mutter'." Ihre Züge werden härter. "Und dein Vater?", frage ich besorgt. "Nicht vorhanden.", sagt sie kalt und schaut dabei in die Ferne.

Wieder herrscht Stille, da ich nicht weiß was ich sagen soll. "Was ist mit dir?", fragt sie schließlich schüchtern, "Musst du nicht zur Schule?" "Ich bin zum Glück schon fertig und werde bald auf die Uni gehen." Sie schaut mich beneidend an. "Dein Alter zwischen 18 und 20?" Schlaues Mädchen. "18 und du?", erwidere ich amüsiert. Ihre Sprechweise ist etwas gewöhnungsbedürftig. "16", antwortet sie knapp.

"Was machst du normal in Etir? Nur hier sitzen und Blumen pflücken?", versuche ich das Gespräch aufrecht zu erhalten. Ich beschließe, dass ich ihr von nun an Gesellschaft leisten werde. Ob ich das auch machen würde, wenn sie nicht so hübsch wäre? Tony, lass dich nicht täuschen. Wer weiß, was sich in Wirklichkeit hinter ihr verbirgt. Ich schüttel diese Gedanken schnell von mir ab.

Sankarea sieht mich beleidigt an: "Wäre sterbenslangweilig. Es gibt in der Nähe ein Dorf mit Quests. Aber ich mache nur die Sammler-Quests. Für's kämpfen bin ich zu schwach." Oh ja, das kann ich total nachvollziehen. Trotzdem gibt es nichts besseres als Kämpfe und Abenteuer! Ich erschrecke mich halb zu Tode, als sie plötzlich nach oben schnellt. "Komm mit."

Sie führt mich in ein abgelegenes Dorf südlich des Waldes. "Meine Lieblingsquest.", verkündet sie, als wir vor einem Waisenhaus stehen bleiben. Nachdem wir sie angenommen haben, kehren wir in das Gestrüpp zurück und beginnen damit, Pilze und Kräuter zu sammeln. Wer hätte jemals gedacht, dass ich je so enden würde?

Bereits nach den ersten Löffeln unserer selbstgemachten Suppe strahlen die Kinder uns entzückt an. "Lecker! Danke, Schwestern!" Ich kann nicht anders, als gerührt zu sein. "Schön, nicht?", Sankarea scheint ziemlich stolz zu sein. Mein heftiges Nicken zeigt meine Zustimmung. Jetzt verstehe ich was sie so toll an der Quest findet. Waisenkindern Essen zubereiten. Auf die Idee muss man erstmal kommen.

Zufriedengestellt verlassen wir schließlich das Gebäude, nachdem Sankarea den Kindern versprochen hat, morgen wieder zu kommen. Ich werfe einen Blick auf den Timer. Nur noch etwa 10 Minuten bis zum Zwangslogout. Mittlerweile ist es schon fast 17 Uhr, das heißt bald werde ich wieder auf Abenteuer mit Inu gehen können. Aus meinen Gedanken erwacht, blicke ich wieder hoch, nur umfestzustellen, dass uns irgendwelche Typen belagert haben.
OMG, nicht schon wieder! "Was seid ihr denn für Schönheiten?", gafft uns einer der zwei Gestalten an. "Habt ihr nicht Lust etwas mit uns zu unternehmen?"

Virtuelle Liebe = Echte Liebe? (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt