Kapitel 6

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Stille herrschte und wir beide schauten uns nur an. Langsam näherte er sich zu mir, wobei ich bei jedem Schritt, den er auf mich zu kam einen zurück ging. Ich musste aber stehen bleiben, da hinter mir schon die Treppen waren. Eigentlich könnte ich nach oben gehen, aber ich wusste, dass ich nicht immer von ihm wegrennen konnte. Mit einem kleinen Abstand von mir entfernt blieb er schließlich stehen und starrte mich weiterhin an, wobei ich mich unter diesen Blicken unwohl fühlte.

Nicht nur meine Hände, sondern mein ganzer Körper begann zu zittern. Mein Herz schlug so schnell gegen meine Brust, das es schon weh tat. Am liebsten würde ich so laut schreien wie ich konnte, aber ich hatte schon längst gelernt zu schweigen.

"Du-", begann er und kam einen weiteren Schritt auf mich zu, sodass ich den ekligen Alkoholgeruch in die Nase bekam.

"Weißt du eigentlich wie verrückt du mich machst?", sprach er weiter und bei dieser Frage weiteten sich meine Augen.

Er sollte sowas nicht sagen. Ich wollte diese Worte nicht hören. Schon immer hatte ich genau davor Angst. Noch nie hatte er sich derart zu mir genähert und solche Worte ausgesprochen. Das einzige, was er immer tat, war es mich herumzukommandieren und falls ich etwas Falsches machte mich mit seinen Schlägen zu bestrafen. Mir waren seine Blicke natürlich aufgefallen, aber ich hatte nie gewusst, dass er mich auf so einer Weise ansah. Wie konnte ein Mensch nur so ekelerregend sein?

"Mir war deine Mutter immer egal", riss er mich aus meinen Gedanken, doch das wusste ich schon von Anfang an.

"Aber dann sah ich dich", sagte er und mir lief eine einsame Träne die Wange entlang.

Bitte, nicht. Innerlich flehte ich ihn so sehr an, aber selbst, wenn ich diese Worte laut aussprach, würde er mich nicht lassen. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Menschen so sehr wie ihn gehasst und noch nie in meinem Leben wollte ich so sehr das jemand starb. Anders könnte man mich von diesem Mann nicht befreien. Ich wollte mein altes Leben zurück. Bitte. Warum musste ich das ertragen? Was hatte ich denn für einen Fehler gemacht, dass ich es so hart bezahlen musste?

"Du bist so schön, Amelia", murmelte er und wollte mein Haar anfassen, aber ich drehte den Kopf weg, sodass seine Hand in der Luft blieb.

Mit einer so großen Angst, die ich niemals beschreiben könnte, schaute ich ihn langsam wieder an und sofort bemerkte ich, dass ich ihn wütend gemacht hatte. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, packte er mich an beiden Handgelenken fest. Sein Griff war fest und schmerzhaft, doch trotzdem versuchte ich mich daraus zu befreien, aber hoffnungslos.

"Warum magst du mich nicht?! Bin ich etwa zu alt oder zu hässlich für dich?!", schrie er aufgebracht und ich begann verzweifelt zu weinen.

"Bitte, lass mich los", flehte ich.

"Ich weiß, dass du mich auch willst", flüsterte er schließlich ruhiger und zog mich mit gierigen Augen an sich heran, um mich zu küssen, jedoch wehrte ich mich.

Ich schrie ängstlich auf und versuchte mit aller Kraft mich von ihm loszureißen und somit machte ich ihn nur noch aggressiver. Aus Wut schubste er mich nämlich voller Wucht zurück, sodass ich rückwärts auf die Treppen fiel und mit meinem Rücken gegen eine Stufe kam. Vor Schmerzen musste ich erneut schreien und dabei verlor ich unendliche Tränen, da es kaum zum Aushalten war. Mein Rücken tat höllisch weh, doch Steven interessierte das nicht. Er ließ sich auf den Boden fallen und nahm mich gar nicht mehr wahr.

Aus diesem Grund versuchte ich langsam aufzustehen und biss mir auf die Unterlippe, um den nächsten schmerzerfüllten Schrei zu unterdrücken. Am Treppengelände hielt ich mich fest und ging vorsichtig Stufe für Stufe nach oben.

Mein LebenWhere stories live. Discover now