2.

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Tia hatte nun Stunden Zeit um darüber nachzudenken was heute Nacht mit ihr geschehen würde.
Der gewaltige gelbe Dragon mit dem schwarzen Rücken, der seid einigen Jahren diese Lande heimsuchte, hatte noch nie auch nur ganz kurz eine ihm dargebrachte Braut am Leben gelassen. Die meisten verbrannte er sogleich bei lebendigem Leibe, in dem Augenblick, wenn er sie erspähte und bisher war es auch niemals anders als nur so gelaufen.
Die alte Lana aus der Bauernkate, eine viertel Meile von der Burg entfernt, hatte mal erzählt dass der Drache vor dem Gelbbäuchigen die Bräute sogar einfach alle nur angegriffen und mit dem Flügel in den Abgrund gefegt hatte, bevor er eines Tages dann doch wieder erwarten innehielt und eine der Bräute tatsächlich sein Gefallen fand.
Aber angeblich sollte dies über Hundert Jahre lang gedauert haben...
Und dieser gelbe Drache, der erst vor einigen Jahren hier aufgetaucht war, war dagegen sicher noch jung.
Sie hatte ihn auch schon selbst einmal gesehen, als ihr Vater seine drei Töchter vor fünf Jahren mitgenommen hatte, als Gloria von Emmenstedt das letzte hochedle und adelige Mädchen das ausgewählte Opfer für den Drachen sein musste. Sie hatte die ganze Hauptstraße hinab schluchzend geschrien, um Gande gebettelt und wie wild an ihren Fesseln gerissen. Der Brautkranz war ihr dabei herunter gefallen und sie war so panisch gewesen, dass die alten Frauen, welche sie auf den Letzten Schritten zum Felsen hinauf begleiteten, ihr vorab noch ohne zu Fragen und auch ohne die Zeremonie zu beachten, den Inhalt des goldenen Bechers eingeflößt hatten, den auch sie heute noch angeboten bekommen würde, wie es die Zeremonie und Gnade des Herrschers gebot.

Der Vater hatte den Mädchen ernsthaft gesagt, das in dem Becher ein starkes, schmerzlos wirkendes Gift wäre, um das Los der bald schon Toten ein wenig erträglicher zu machen. Es würde sie benommen machen, schläfrig und träge. Die meisten Mädchen tranken es darum freiwillig und zumeist auch noch eine ganze Menge davon, hatte er ihnen noch dazu erzählt und ihnen geraten, wenn sie jemals dieses Schicksal zu erdulden hätten, es ebenso zu halten. Denn das Drachenfeuer, welches sie ansonsten verbrennen würde, war ein noch viel grausamerer Tod. Und dieser Dragon hier verbrannte die Bräute ja immer.
Noch nie hatte er sich auch nur kurz in seine andere Gestalt verwandelt, wenn er von den Hörnern zum Felsen gerufen wurde.
Die Alten flüsterten auch nur manchmal am Feuer über seine Vorgänger welche solches ab und an getan hatten und dabei zu wahren Riesenberserkern wurden. Ja, sie flüsterten um eine Braut für sich zu erwählen müsste er sich auf jeden Fall in eine annähernd menschliche Form verwandeln. Doch so richtig menschlich seien Drachen nicht. Die Farbe ihrer Haut war wohl sehr dunkel oder geschuppt. Sie hatten keine Haare und Dämonenaugen, die glühten wie zwei Kohlestücke.
Einer ihrer Priesterlehrer, der sie im Lesen und Schreiben unterwiesen hatte, lies sie sogar einmal eine Abschrift aus den Drachenmond-Chroniken einsehen, als sie ihn darum bat. Doch es war nur das letzte Buch gewesen. Und in einhundert Jahren Opferungen hatte sich der gerufene Drache nur drei mal verwandelt um sich eines der Mädchen genauer anzusehen. Und erst vor 15 Jahren hatte er dann ein junges Bauern-Mädchen verschont und mit sich genommen.
Die darauffolgenden 5 Jahre waren Feierjahre gewesen, denn auf Anordnung der Drachen, die eine Botschaft sandten, hatte kein Mädchen  in dieser Zeit erwählt und geopfert werden müssen.
Das Bauernmädchen Freya wurde in Folge dessen hoch geehrt, ihr Mut gepriesen und ihr zum Gedenken sogar ein kleiner Gedenkstein vor dem Haus ihrer Eltern errichtet.
Doch dann wurde im sechsten Jahr ein neuer Drache Gesichtet und der Kreislauf der Opferungen begann wieder von vorne.

Einmal mehr atmete Tia tief ein und sah die blutrote Sonne am Horizont untergehen, über den Wäldern und Kornfeldern leuchten... schon tauchten die Spitzen Königstürme hinter der nächsten Hügelkuppe auf.
Bald würden sie nun in der Stadt sein, dort feierlich prozessierend hindurchziehen... doch Tia war sich immer noch nicht sicher, was sie dann machen sollte, wenn sie am Felsen ankommen würden.
Den Becher austrinken und ganz schnell sterben? Oder aber ihn nicht trinken und vielleicht ein weitaus grauenvolleres Schicksal erleiden, als brennende Hexe ohne jeden Scheiterhaufen... oder doch eine rechte Drachenbraut?
Oh, ihr Herz begann erneut zu rasen und ihr
Magen schien sich zu verknoten, also wandte sie ihren Blick nun dem farbenprächtigen Himmel zu und begann mit der gebeteten Litanei:
„Gott der du die Welt erschaffen hast, rette uns in der Stunde unseres Todes und nimm uns auf in die göttlichen Gefilde deiner Heimat, in denen nur wandeln darf, der mutig ist und gut, tapfer, rein und unschuldig...", betete sie leise. Sie sah aus den Augenwinkeln heraus die Blicke der Ritter zu ihr hinwenden und auch der maskierte Kutscher in der schwarzen Halb-Kapuze eines Schergen des Königs, drehte sich kurz und sichtbar hart schluckend zu ihr um ... ein Scharfrichter der Mitleid empfand?

Sie schloss nur schnell die Augen und atmete ganz tief durch bevor sie einfach weiter betete:
„Erlöse uns in der Stunde unseres Todes. Erhöre unser Flehen und messe unsere Seelenkerne auf deiner Schicksalswage, um zu bestimmen ob unser Leben deines göttlichen Odems wehrt oder das der Dämonen sein soll. Oh Herr und Gott beschütze meine Familie, beschütze die Menschen vor dem Drachengetier, das da kommt zu morden und zu richten die erwählten Bräute auf dem Felsen des Schicksals, auf der Klippe der Tapferkeit. Komm auch um mich zu erlösen, oh Gott und schenke mir ... Frieden!", beendete sie das Gebet zögernd und etwas anders als gewohnt
Den um „ein langes und gutes Leben" brauchte sie den Herrn nun wohl nicht mehr anzusuchen.

Ihre Stimme brach sogar fast bei dem letzten Wort, das sie zu verhöhnen schien in ihrem Gebet. Doch wiederholte sie auf ihren Weg ein ums andere Mal diese Litanei, um Mut und Kraft zu schöpfen und nicht etwa noch weinend zusammenzubrechen.

Dann, viel zu früh, erreichten sie die Straßen der Hauptstadt und die Menschen warfen die Opferblumen vor den Wagen und die Hufe der Pferde und sahen sie bestürzt an. Während sie die Litanei nur immer noch laut wiederholte und dabei anbetend hoch in den nun allmählich dunkler verfärbenden Himmel blickte... Die Sonne war dahin gegangen und der volle Drachenmond ging gerade auf. Doch noch war es nicht finster geworden.

Die Leute sahen jetzt auch nur noch sie an. Ja... sie ganz allein. So wie auch das Mädchen im letzten Jahr und im Jahr davor... voller Mitleid und Furcht. Auch sie hatte wohl schluchzend gejammert, geschrien und geweint. Das hatte einer der Hauptmänner, der mit ihrem Vater hingegangen war, berichtet.
Tia wusste nun, was sie empfunden hatte, denn je näher sie nun selbst den Klippen kamen, um so schwerer wurde ihr das Herz und schwerer auch das Atemschöpfen.

Da vorne sah sie die Steilklippe schon aufragen, den Weg hinauf zur Klippe über dem Meer, wo sie gerade die Feuerschalen entzündeten. Dort auf halber Höhe standen die alten Frauen in ihren Trauer-Gewändern bereit, die den giftigen Todestrank in dem goldenen Becher für sie zur Verfügung hielten.
Was, wenn sie nur einen ganz kleinen Schluck davon trinken würde, nicht viel, nur gerade eben so daran nippen, um etwas einzuschlafen...?, fragte sie sich zweifelnd und betete prompt noch lauter.
Doch ... Der Gedanke ging ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn...
War es nicht feige, auf der Klippe der Tapferkeit einen Todestrunk zu sich zu nehmen, nur um das Ende zu ertragen? Würde Gott das nicht vielleicht sogar als Sünde betrachten?, fragte sie sich heiß und dann gleich wieder kalt fühlend vor Furcht.
Sie wollte ihrer Familie schließlich keine Schande bereiten... Auch wenn der Vater es Ihnen ausdrücklich geraten hatte, den Kelch zu wählen...
Tia fühlte ihr eigenes immer heftiger werdendes Zittern, je näher sie dem Ende des Weges kamen, ihre Worte wurden leiser und schneller und rissen dann auch immer wieder atemlos ab, weil sie schlucken und keuchend nach Luft schnappen musste.
Dann hatten sie die Klippenausläufer auch schon erreicht und die Wächter sprangen leichtfüßig auf den Opferwagen hinauf und umringten sie mit grimmigen Mienen.
Vier waren es heute. Letztes Jahr hatten zwei anscheinend nicht ausgereicht um die Erwählte zu bändigen, erinnerte Tia sich wieder voller Grauen an den Bericht des Hauptmanns. Das Mädchen hatte wohl so sehr gegen die Soldaten angekämpft und sich immer wieder loszureißen versucht in ihrer Todesangst.
Doch...
Nein ... nein, das konnte sie so einfach nicht tun. Sie wollte nicht von den Rittern geschleppt und gezerrt werden. So sollten die Menschen hier die junge Tia of Alligforth nicht in Erinnerung behalten. - So nicht.
Also sah sie die Wächter nur kurz um Fassung ringend an, die gerade die Knoten ihrer Fesseln lösten und bat sie dann mit leiser Stimme:
„Ich möchte bitte alleine gehen und nicht von euch gezerrt werden, wenn ich euch nur darum ersuchen darf, wehrte Wächter. Ich schwöre euch auch nicht zu flüchten zu versuchen, denn ich weiß ja das es sinnlos wäre. Das hier ist nun mein Weg, den ich gehen muss. Ich will ihn darum allein, erhobenen Hauptes und mutigen Geistes gehen, damit Gott es vielleicht sieht und mir gnädig ist... - bitte!", bat sie die Wächter noch leise, die sich kurz mit Blicken untereinander verständigten und dann aber doch die harten Hände von ihr nahmen.

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