27. Zurückhaltung und Loslassen

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POV RUBY

Den Nachtisch hatten wir viel schneller hinuntergeschlungen als ich erwartet hatte. Sowohl Noah als auch ich hatten offensichtlich wenig Lust länger als nötig in dem Haus seiner Eltern zu verbringen. Dafür war die gesamte Situation nach dem Streitgespräch zu angespannt und unausstehlich gewesen. 

Für seine Mom tat mir unser fluchser Abgang Leid. Sie war die einzige Person im Raum gewesen, die sich wahrhaftig über das gemeinsame Essen und unsere Anwesenheit gefreut hatte. Erst Recht nachdem sie Noah und mich im Kunstraum überrascht hatte.
Ihr gezwungen tapferes Lächeln beim Abschied brach mir beinahe das Herz. 

Ich konnte überhaupt nicht verstehen wie Noahs Eltern zusammengefunden hatten. Denn als ich eine Sekunde später das abgekühlte Auf wiedersehen seines distanzierten Vaters zu spüren bekam, war kein Funken Liebe oder Wärme zu spüren. Im Gegenteil -seine Worte schnitten sich regelrecht unter meine Haut. 

Avery hatte es nicht mal für nötig befunden der Verabschiedung  beizuwohnen. Warum auch? Ich würde sie spätestens morgen wieder durch unsere Wohnung stapfen sehen und dort konnte sie mir ihre missbilligenden Blick ebenso gut zuwerfen -wahrscheinlich sogar noch besser.

Auf dem Heimweg hatte Noah vehement darauf bestanden mich zum Dank auf einen Milchshake einzuladen, was ich natürlich nicht ablehnen konnte. Erstens, weil ich Schokolade dringend nötig hatte, um mein Nervenkostüm wieder aufzurichten und Zweitens wollte ich die gemeinsame Zeit mit Noah noch nicht beenden. Ich war nach den letzten Tagen nicht bereit ihn zu verabschieden -vielleicht wusste ich auch nicht recht, wie ich das anstellen sollte, da sich unsere Situation wie ein absurder Schwebezustand anfühlte.
Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass noch etwas mehr Zeit für uns allein herausspringen würde, weshalb ich bei seinem Vorschlag beinahe freudig gegrinst hätte wie so ein Honigkuchenpferd.

Die Autotür von Noahs Wagen wurde aufgerissen und ein grinsender Noah stand mit zwei vollen Bechern in den Händen davor: „Ein Schokomilchshake für die Dame.", überreichte er mir das kühle Getränk.

„Vielen Dank!"

Er schwang sich auf den Fahrersitz seines Autos und schloss die Tür wieder. Noah selbst hatte einen Erdbeermilchshake in der Hand. 

Die Situation erinnerte mich an den Abend nach dem Kinderhaus, an dem ich Noah von einer ganz anderen Seite kennengelernt hatte und ich das erste Mal Spaß mit ihm hatte. Es kam mir vor als wäre das schon Ewigkeiten her, dabei waren nur wenige Wochen verstrichen, seitdem wir überhaupt miteinander sprachen. 

„Ich bekomme ein Déjà-vu."

Noahs spitzbübiges Grinsen leuchtete mir entgegen. „Ich glaube, ich habe dasselbe."

„Oder es ist kein Déjà-vu, sondern schon eine Tradition."

„Noch besser.", stimmte Noah ein: „Unsere erste eigene Tradition. Das hört sich gut an."

Mir gefiel es wie er diese Worte sagte. Als würde hiermit der Beginn einer gemeinsamen Zeit markiert werden und kein Ende.

Mit rötlichen Wangen senkte ich meinen Blick und trank einen Schluck meines Milchshakes. 

Es blieb eine Weile still. Jeder widmete sich seinem Milchshake, wobei die Stille keineswegs erdrückend oder anstrengend in der Luft lag. Sie hatte etwas Beruhigendes an sich. Jeder hatte Zeit und Raum seine Gedanken zu ordnen. 

My Roommates BrotherWhere stories live. Discover now