Auf wiedersehen...

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Ich drehe den kleinen Schlüssel in meiner Hand hin und her.

Sollte ich jetzt gehen? War jetzt ein guter Moment zur Flucht? Würde ich so Jack auch helfen können? War es nicht sicherer wenn ich mich irgendwo verkroch?

Nach minutenlangen zweifeln und einer ellenlangen Pro- und Kontra-Liste hatte ich mich schließlich entschieden: Ich würde hier weg gehen und dann später schauen was ich tun konnte. Aber wie konnte ich von hier fliehen?

Deprimiert schlug ich meinen Kopf gegen das Bettgestell. Es nervte ständig sich mit so etwas beschäftigen zu müssen.

„Geht's dir gut?", fragte einer der Jäger und musterte mich mit einem komischen Blick. Ich nickte nur abwesend, aber ging es mir auch wirklich gut? Ich schwitzte und trotzdem wurde mir abwechselnd immer wieder heiß und kalt, mein Puls schien zur rasen und ich bekam schlechter Luft. Außerdem war mir irgendwie schwindelig und übel. Das letzte Mal als ich mich so gefühlt habe war es noch schlimmer gewesen und Krämpfe hatten eingesetzt. Aber das letzte Mal war auch gewesen als sich der Ring in meinem Magen ausgelöst hatte. Was passierte jetzt gerade mit mir? Hatte es wieder etwas mit dem Ring zu tun? Werde ich jetzt komplett zum Vampir?

Die Antwort auf all meine Fragen spazierte kurz darauf durch die Zimmertür.

„Dr. Morgan!", begrüßte einer der Jäger meinen Doc. Aber er war irgendwie doch nicht mein Doc: Dieser Dr. Gruselig war älter (ja noch älter geht!) und trug einen feinen Anzug mit Anstecktuch und Manschettenknöpfen. Er kam breit grinsend auf mich zu du sagte: „Ah...ich sehe schon...Das ist also unser Versuchsobjekt!" „Sie sind nicht Dr. Morgan!", keuchte ich, als sich alles vor meinen Augen zu drehen begann. „Doch, aber vermutlich nicht den Bruder, den du kennst!", sagte Fake-Doc und stellte seine Arzttasche auf meiner Bettkante ab. Ich wusste gar nicht das der wahre Dr. Gruselig einen Bruder hatte. Ich versuchte mich anders hinzusetzten um so weit wie möglich von dem Falschen-Doktor weg zu kommen. Was im Endeffekt nicht viel brachte. Er schnappte sich meinen einen Arm, befreite ihn von den Handschellen und begann Blut abzunehmen. „Hör auf dich zu wehren oder es wird noch schlimmer wehtun!", schimpfte der falsche D. Morgan. Ich atmete tief durch, als er die Nadel in meinen Arm bohrte. „Ich hoffe dir hat meine Suppe geschmeckt", sagte der Arzt und füllte eine zweite Phiole mit meinem Blut. „Sie war versalzen...", sagte ich und blinzelte als der Schwindel sich verstärkte. Was war los, verdammt noch mal? Der Fake-Doc schmunzelte und sagte: „Das musste sie, sonst hättest du das Gift herausgeschmeckt! Es ist wunderbar ein Versuchsobjekt  zuhaben, das niemals stirbt, aber sämtliche menschliche Symptome zeigt..." Nun beobachtete er meine Reaktion ganz genau, doch ich gönnte ihm diesen Triumpf nicht und verzog keine Miene. Gift! So erwartungsvoll wie der schaut vermutlich wieder tödlich! In mir brodelte es nur so: Ich wollte nicht mehr sterben. Nicht schwach sein. Nicht immer und immer wieder dieses Gefühl haben meinen Körper zu verlassen, wenn ich starb. Es war ein unglaublicher Schmerz jedes Mal. Wie als würde man sich von einer geliebten Person verabschieden. Eine Person mit der man sein ganzes Leben verbracht hatte...Mein Körper war immerhin mein Zuhause! Ich will ihn nicht noch mal verlassen müssen, obwohl auch er seine Macken hat: Kleine Fettpölsterchen, die nur ich zusehen schein, ein furchtbares Muttermal in der Form von Australien und meine furchtbaren kleinen, krummen Zehen, aber er hat alles mit mir durchgestanden: Der erste gebrochene Arm, sämtliche blauen Flecken, die ersten Pubertätspickel, auch den zweiten gebrochenen Arm und die gesamten letzten paar Wochen. Ich liebe meinen Körper und habe nicht die Absicht jedes Mal nur für diesen Heuchler von einem Dr. Morgan ihn immer wieder verlassen zu müssen! Ich will nicht mehr sterben und wieder zurückkommen! Ich will so bleiben! Ich will leben!

Trotz meiner geballten Entschlossenheit, schien das Gift in meinem Organismus die Oberhand zu haben. Vor meinen Augen begannen immer mehr und mehr schwarze Punkte zu tanzen. Das grinsen des falschen Dr. Morgans verschwamm vor meinen Augen und schien sich zu einer grässlichen Fratze zu verziehen. Tränen bildeten sich in meinen Augen und ich verfluchte mich selbst, weil ich tatsächlich anfing zu weinen. Ich fühlte mich schwach. Machtlos!

Vor Wut ballte ich meine Hände zu Fäusten und da spürte ich ihn: Der kleine Handschellenschlüssel in meiner noch festgebundenen Hand. Ich blinzelte die Tränen weg und versuchte mich zu konzentrieren: Dr. Morgan war fertig mit blutabnehmen und packte nun weitere Utensilien aus seiner Tasche aus. Die Jäger hatten sich wieder auf das Sofa zurückgezogen und schauten weiter fern. Einer von ihnen war eingeschlafen und schnarchte laut. Dr. Morgan lehnte sich mit einer großen Spritze zu mir herüber und suchte mit seinen Fingern meinen Arm ab. Ich wand meine restliche Kraft auf und riss mein Knie nach oben. Es traf ihn am Kinn und er stürzte mit einem lauten Schrei vom Bett auf den Boden. Danach ging alles ganz schnell: Ich nahm den Handschellenschlüssel in meine freie Hand und schloss die andere auf. Die zwei wachen Jäger waren torkelnd vom Sofa aufgesprungen und kamen jetzt auf mich zu. Ich stand vom Bett auf und hielt mich am Bettpfosten fest um nicht vor Schwindel um zu kippen. Als der erste Jäger bei mir ankam und nach mir greifen wollte, wich ich aus und nahm die Handschellen. Sie schnappten um sein Handgelenk und das brachte ihn für einen kurzen Moment aus der Fassung. Diesen Moment nutzte ich um das andere Ende der Handschelle wieder am Bettpfosten zu befestigen. Der zweite Jäger erwischte mich an meinen Haaren und zog meinen Kopf nach hinten. Panisch griff ich um mich herum und nahm die Spritze die Fake-Doc aufs Bett hatte fallen lassen. Ich rammte dem Jäger die Spitze in den Arm und er schrie auf und ließ los. Mittlerweile war der falsche Dr. Morgan wieder auf den Beinen und rieb sich den Kiefer. Mein Schwindel hatte einen höchst Stand erreicht und ich stürzte zu Boden, als sich alles zu drehen begann. Gerade im richtigen Augenblick, weil die geballte Faust des Arztes über meinen Kopf hinweg fegte. Ich griff nach seinem Fuß und brachte ihn abermals zu Fall. Der Jäger den ich an das Bett gefesselt hatte mühte sich ab, um die Handschellen los zu werden, aber er scheiterte. Der andere Jäger hatte sich mittlerweile die Spritze aus dem Arm gezogen, aber egal was da drin gewesen war, ließ ihn bewusstlos zu Boden fallen. Der Fake-Doc war bei seinem zweiten Stürz mit dem Kopf gegen die Bettkante geknallt und lag jetzt mit einer Platzwunde ohnmächtig auf dem Boden. Zwei bewusstlos, einer gefesselt! Zwar nicht 007 würdig, aber im vergifteten Zustand eine gute Zwischenbilanz! Ich stand schwankend auf und versuchte mich durch das sich drehende Zimmer zu Bewegen. Auf dem Weg zum nächsten Fenster fand ich ein Skalpell und hob es einfach auf. Draußen auf dem Flur hörte ich Schritte und aufgeregte Rufe. Die übrigen Jäger hatten den Lärm gehört. Der dritte Jäger in diesem Raum hatte genug damit zu tun seinen Rausch auszuschlafen und bekam rein gar nichts von all dem hier mit. Ich öffnete das Fenster und schaute hinaus. Dritter Stock, aber zu meinem Glück mit rostiger Feuertreppe. Draußen war es fast stockdunkel und ich konnte nicht genau erkennen was mich unten erwartete. Ich kletterte trotzdem vorsichtig aus dem Fenster und rutschte ab. Ich stürzte auf das Gitter der Feuertreppe und es gab ein ächzendes Quietschen von sich. Im Zimmer hörte ich wie der gefesselte Jäger vor sich hin fluchte und wie die Tür zum Zimmer aufgerissen wurde. Ich rappelte mich auf und stolperte die Stufen zur Straße hinunter. Die Treppe endete in einer kleinen Sackgasse mit ein paar alten Mülltonnen, wie ich im Schein der Straßenlaternen erkennen konnte. Die Laternen standen rechts auf der Hauptstraße und beleuchteten schwach die kleine Gasse. Ich wollte auch erst zur Straße laufen, aber genau das würden sie auch erwarten. Vor meinen Augen tanzten immer mehr schwarze Punkte, die mir die Sicht raubten und ich warf intuitiv das Skalpell in die Richtung der Straße. Es blieb an der Ecke liegen und ich wand mich zu den Mülltonnen um. 'Versteck dich da, wo sich selbst die Sucher nicht verstecken würden.', rief ich mir Jacks Tipp in Erinnerung. Die Mülltonnen stanken bestialisch, aber ich hatte Glück: Ganz hinten, neben mehreren mittlerweile undefinierbaren Abfällen, stand ein Altpapiercontainer. Ich hörte von oben laute Rufe und kletterte schnell hinein. Ich zog dem Deckel zu und hielt die Luft an. Schritte hallten durch die Gasse und das metallische Quietschen der Treffe. „Das Skalpell vom Doc! Sie ist raus auf die Straßen! Findet sie!", hörte ich Oswald brüllen und wie die Jäger schnell die Gasse verließen. Sie würden jetzt erstmal die Straßen nach mir durchkämmen und es wäre zu gefährlich jetzt schon heraus zu klettern. Außerdem war mein Körper kaum noch in der Lage sich zu bewegen: Ich rollte mich zusammen und schluckte die Übelkeit herunter. Ich würde sterben. Schon wieder. Aber sobald ich zurückkam, und das schwor ich mir, würde ich allen daran setzten das hier niemals mehr durch zu machen. Vor meinen Augen wurde alles schwarz und ich sagte meinem Körper zum letzten Mal Auf Wiedersehen! Ich würde ihn hier nach nicht nochmal verlassen...


Vampire entführen keine kleinen MädchenWhere stories live. Discover now