Verhaltensweisen sind nicht inhärent missbräuchlich

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Oftmals, wenn Instagram-Seiten veruschen, über Missbrauch aufzuklären, werden einfach auf allen Slides eine neue Verhaltensweise aufgezählt, die Anzeichen dafür wäre, dass Missbrauch stattfindet. Das ist sehr verkürzt, denn Verhaltensweisen sind nicht an sich (also inhärent) missbräuchlich. Um Missbrauch richtig zu verstehen, muss immer auf den Kontext geschaut werden.

Verhaltensweisen wie lügen, stehlen, schreien, schlagen, manipulieren, in Wut ausbrechen, etc. können sowohl eingesetzt werden, um Menschen zu missbrauchen, als auch um Missbrauch und Gewalt im Allgemeinen zu überleben. Was diese Verhaltensweisen bei Opfern von Missbrauch unterscheidet, ist ein wesentlicher Aspekt von Missbrauch: Macht.
Manchmal lügen Opfer, um Zugang zu den Menschen, denen sie vertrauen und die ihnen in der Situation helfen („support network") zu erhalten. Manchmal können Opfer als Teil ihres Sicherheitsplan stehlen. Manchmal können sie manipulieren, um brutalere Gewalt von sich aus zu verhindern oder um Zugang zu dem zu erhalten, was ihnen unberechtigter Weise verwehrt wird. Viele Opfer haben sich durch schreien, schlagen oder stoßen verteidigt. Wut ist auch nicht inhärent missbräuchlich, denn Wut entsteht als Reaktion auf Ungerechtigkeit. Wut sagt einem Menschen, dass das, was gerade passiert, nicht in Ordnung ist.

Es macht uns also nicht zu „toxischen Menschen", wenn man endlich seine Täter*innen anschnauzt oder auf sie losgeht. Man ist nicht genau so schlimm wie sie, weil sie uns an unsere Belastungsgrenze getrieben haben. Man ist kein schlechter Mensch wegen seiner berechtigten Wut und weil man sich darüber aufregt, wie man behandelt wird. Man ist nicht missbräuchlich, wenn man zurückschlägt, schreit, seine*n Täter*in negativ beschreibt oder manipulativ wird, um sich selbst zu schützen.
Sich zu wehren ist nicht gleichzusetzen mit jemanden zu attackieren. Wenn man auf der Straße von jemanden angegriffen wird und man diese Person schlägt, um sich zu wehren, ist die Situation unverändert: Dieser Mensch ist der Angreifer und man ist das Opfer.

Es ist eine gängige Strategie von Täter*innen, ihre Opfer zu beschuldigen, die eigentlichen Täter*innen zu sein. Es gibt aber keinen sogenannten „reaktiven Missbrauch", denn das ist kein Missbrauch, sondern eine Reaktion darauf, missbraucht zu werden. Es als Missbrauch zu bezeichnen, hilft den tatsächlichen Täter*innen, ihre Opfer zu gaslighten.

„Du hast es mir auch angetan!"

„Du beschimpfst mich auch!"

„Du hast damit angefangen!"

Der Missbrauch besteht nicht auf beiden Seiten und „gegenseitiger Missbrauch" ist ein Mythos, denn es geht bei Missbrauch um ein Ungleichgewicht der Macht: Der*die Täter*in hat mehr Kontrolle.

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