Lijana (GNTM) und „Hate" im Internet

165 11 0
                                    

Es ist schon Wochen her, als die GNTM-Finale – trotz Corona – stattgefunden hat und wer das geschaut hat, weiß dass es ein Disaster war, weil so viel falsch gelaufen und manche (damit meine ich nicht die Kandidatinnen) sich extrem peinlich benommen haben, aber vielleicht war es genau deswegen lustig und gut.

Eine Sache, die überrascht hat, ist dass die eine Kandidatin auf das Finale verzichtet hat, nämlich Lijana. Das hat mit dem „Hate" zu tun, die sie im Internet bekommen hat, allerdings auch außerhalb des Internets.

Wovon sie berichtet hat: Sie wurde zu Hause aufgelauert, auf der Straße bespuckt, ihr Auto wurde zugemüllt, es würde versucht, ihr Hund zu vergiften, sie wurde gedoxxt, auch ihre Familie bekommt Drohungen, sie selbst wurde auch von einem Mann irl ganz offen mit Mord bedroht, und weiteres. Das zusätzlich zu allen Kommentaren und Nachrichten auf ihren Social-Media-Profilen und unter YouTube-Videos über sie.

Auf was ist das alles eine Reaktion? Naja, sie hat in der Sendung ein paar Aussagen getätigt, die andere verletzt haben. Das war's. Was schreiben Leute unter Videos, wo sie von dem berichtet, was ich vorhin wiedergegeben habe? „Naja, das ist jetzt vielleicht heftigt, aber ich kann es verstehen, dass man Lijana nicht mag."

Und das ist der erste Punkt, worum es mir hier geht. Ich beobachte oft, und das egal in welchen Kreisen, dass Menschen glauben, dass man 100% gut sein muss, um Opfer von Taten, beispielsweise Mobbing, Missbrauch, Manipulation, usw., zu sein. Das ist alles schwarz-weiß, das Opfer muss gut sein, deshalb kann ein schlechter Mensch kein Opfer sein, umgekehrt ist ein Täter schlecht, deshalb können nette Leute keine Täter sein.
Jedoch kann eine Person, die Schlechtes/Falsches gemacht hat, worauf andere unverhältnismäßig reagieren, auch Opfer sein, selbst wenn sie wie gesagt etwas gemacht hat.

Vor allem im Internet kommt zu unverhältnismäßigen Reaktionen. Ich will nicht sagen, dass es außerhalb des Internets nicht so ist, natürlich nicht, aber ich beziehe mich hier vor allem auf die Tatsache, dass es da meist eher eine Person gegen eine andere ist, oder eine Person gegen fünf, was zwar nicht ohne ist, aber im Internet können es auch eine Person sein gegen 30, oder gegen 300, oder gegen 3000, wenn nicht mehr.

Das Ding ist, dass diejenigen, die dabei mitmachen, meist gar nicht verstehen, dass das Gewalt sein kann/ist, manchmal denken sie sogar, dass da mitzumachen etwas Gutes ist. Schließlich hat die Person etwas nicht Nettes gemacht und sie setzen bloß ein Zeichen dagegen. Ich sage bewusst „nicht nett", weil ich es natürlich nicht gleichsetze mit Taten, die natürlich extrem schlimm sind. Aber „Fehler" ist nicht gleich „Fehler".

Das verstehen viele nicht, wenn sie im Internet ihre Kommentare schreiben, weil sie sich nicht denken, dass das Gewalt sein könnte, wenn sie doch einen „sachlich" formulierten Kommentar schreiben. Vielleicht ist das nur ein einzelner Satz und hat nur fünf Sekunden gebraucht. Sie denken, dass es nur Cybermobbing ist, wenn eine Person heftig beleidigt wird, wiederholt von den gleichen Personen und wenn das Opfer vollkommen fehlerfrei ist, man vertritt die gleichen Ansichten wie das Opfer. Hier beleidigen diese Menschen ja nicht, sie drücken nur aus, dass sie mit ihrem Verhalten oder ihren Aussagen nicht einverstanden sind. Was schon Tausende von Menschen bereits vor ihnen gesagt haben. Während die Person parallel dazu Drohungen bekommt und wortwörtlich Todesangst hat — wie im Falle von Lijana, aber das lässt sich auch auf vieles beziehen.

Das machen nicht nur „kleine Kinder", die GNTM schauen, worüber man sich lustig machen kann (Ironie), sondern das machen auch Gruppen von 30- bis 40-Jährigen gegen einzelne Minderjährige, die denken, was sie tun, sei „Aktivismus". Ich habe diese Situation so oft erlebt (ich nicht bloß, wenn alle ganz lieb bloß ihre „Meinung" sagen, sondern dass ganz offen gesagt wird, das Ziel sei die Person zu zerstören, ich meine einfach alles), besonders auf Twitter, wo es Menschen in jedem Alter gibt (das kann man jetzt eher nicht über Wattpad sagen, würde ich behaupten) und nie hat es jemanden richtig interessiert, aber vielleicht hängt das ja eben damit zusammen, dass eben nicht alle minderjährig sind, die Logik ist dann nur, dass die Person ja falsch liegt, also ist es schon berechtigt.

Was aber passiert, ist dass es manchen vielleicht nur fünf Sekunden braucht, damit sie ihren Kommentar absetzen, weil das nur ein Satz ist, aber gegenüber gibt es die Person, die sich diese „fünf Sekunden" 100 Mal, 1000 Mal, 10.000 mal oder auch mehr geben muss. Das ist Gewalt und daran hat man auch Teil, wenn es eben nur fünf Sekunden waren und diese Gewalt kann wortwörtlich traumatisch sein. Stellt euch vor, ihr wärt in einem Raum mit genau der Anzahl an Personen und jede von ihnen würde euch nacheinander sagen, „das war falsch", „das war falsch", „das war falsch",... es kann sein, dass sie etwas falsch gemacht hat, aber das ändert nichts an den Auswirkungen, daher muss man nicht wiederholen, was bereits Hunderte vorher schon gesagt haben, vor allem hatte sich Lijana längst entschuldigt. Ich sage nicht, dass man seine Meinung nicht äußern darf, es geht viel mehr darum, darauf zu achten, was bereits mehrfach gesagt wurde und was nicht. Warum muss man das nochmal wiederholen, warum ist der einzige Kommentar dann so wichtig? Lijana hat Aussagen getätigt, die jeder Durchschnittsmensch auch ausgesprochen hätte. Sagt nichts über richtig und falsch aus, aber ich denke kaum, dass jeder solche Ausmaße bei sich selbst für ansatzweise angemessen gehalten hätte.
Jeder Mensch hat mal andere Menschen verletzt, hätten wir das also alle verdient?

Die Kommentar à la „zwar ist das heftig, aber ich kann es verstehen, dass man sie nicht mag" eine der besonders ekligen Sorte, weil damit der Fokus nicht mehr ganz auf das, was sie erlebt, gelegt wird. Es wird so getan, als sei es irgendwie das gleiche, als hätte das, was sie getan hat, genau so viel Gewicht, wie das, was ihr angetan wird. Als wäre sie schon ein bisschen schuld daran.
Wenn Person A 5€ von Person B klaut, und B als Reaktion A den Arm bricht, sagt man da dann „naja, 5€ zu klauen ist aber schon was Schlechtes!"? Ich hoffe nicht. Weil die Reaktion darauf so unverhältnismäßig ist, dass es irrelevant wird. Nicht jede Reaktion auf schlechtes Verhalten ist berechtigt.

Wir haben alle mal Leid verursacht und wir verdienen alle noch Mitgefühl. Ja, man muss Verantwortung dafür tragen, aber es bedeutet nicht, dass unsere Grenzen überschritten werden dürfen.

RantbookWhere stories live. Discover now