Einwegprodukte

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Die beliebte Methode der japanischen Ordnungsberaterin Marie Kondō besteht darin, sich beim Aufräumen beim jedem Gegenstand die Frage zu stellen, ob er Freude bringt oder nicht. Wenn ja, dann behält man ihn und wenn nicht, werfen wir ihn weg. Aber wohin geht all der Abfall, wenn wir ihn in den Mülleimer werfen und warum müssen wir überhaupt Dinge wegwerfen? In den letzten Wochen hat die Müllabfuhr in Paris und anderen Orten in Frankreich gestreikt. Dadurch konnte man auf den meisten Gehsteigen immer größer werdende Müllberge sehen. Das hat viele Menschen zum Nachdenken gebracht, wie viel Müll wir in unserer Wegwerfgesellschaft wegmeissen und dass wir ja etwas mit diesem Müll machen müssen. 

Abfall ist etwas, das aus der sozialen Welt ausgeschlossen gehört. Er muss unsichtbar gemacht werden und gilt immer als dreckig. Damit ist gemeint, dass wir es nicht in unserer Nähe haben wollen, denn Dinge gelten erst dann als dreckig, wenn sie auch fehl am Platz sind: Schuhe sind beispielsweise nicht an sich dreckig, es sei denn sie befinden sich auf einem Tisch, oder Essen ist an sich auch nicht dreckig, ausser in einem Schlafzimmer oder auf einem Kleidungsstück.
Im 3. Buch Mose findet man festgeschriebene Reinheitsgebote: Die Reinheit der Tiere wird in erster Linie daran festgemacht, ob sie Paarhufer oder Unpaarhufer, Widerkäuer oder Nicht-Wiederkäuer sind. Somit gelten Schweine oder Kamele als unrein und dürfen nicht verzehrt werden.
Schmutz ist also nichts Absolutes, sondern liegt im Auge des Betrachters.

Diese Logik, dass wir alles wegwerfen können, ist jung und deswegen haben wir seit den 1970er Jahren ein großes Problem mit dem Entsorgen von Müll. Wir können es zwar von unserer unvermittelbaren Umgebung ausschließen und verschieben, aber es ändert nichts daran, dass es immer noch existieren wird, auch wenn wir ihn "unsichtbar" gemacht haben. Viele Menschen, die Überkonsum kritisieren, kritisieren in Wahrheit nur die "Gier des Menschen" und häusliche Unordnung. Marie Kondō präsentiert zum Beispiel das Wegwerfen als eine Weise, um sich von zu großem Besitz zu befreien, der unglücklich machen würde. Es geht um Minimimalismus, was aber ein individualistischer Ansatz ist und gar nicht das Müllproblem anspricht.

Beim Thema "geplante Obsoleszenz" wird sich auch nicht darüber empört, dass dadurch mehr Müll produziert wird, sondern es geht mehr darum, den Betrug zu kritisieren. Aber ist es Betrug, wenn es nie versteckt war?
Wenn man sich die Geschichte des Konzepts anschaut, sieht man, dass es ab den 1920er und 1930er in den USA etwas war, was von Fachleuten (wie Werbefachleuten, Verkaufsspezialist*innen und Designer*innen) versprochen und angekündigt wurde. Das Problem war, dass wir im 19ten und zu Beginn des 20ten Jahrhunderts viele Dinge geschaffen haben, um die Produktivität zu steigern (wir haben Maschinen und Fabriken gebaut und Management-Theorien entwickelet, um produktiver zu werden), aber nicht ausreichend konsumiert wurde. In der marxistisch-lennistischen Theorie wird von einer "Überproduktionskrise" gesprochen, also eine immer wiederkehrende Wirtschaftskrise des Kapitalismus, die davon käme, dass das Kapital aufgrund der sogenanten "Anarchie des Marktes" immer wieder zu viele Waren produzieren, obwohl die kaufkräftige Nachfrage nach Gütern gar nicht so groß ist.
Wir hatten also viel produziert, aber niemand, der die Produkte kaufen wollte, weil die Menschen bereits ausgestattet (wenn du einmal einen Kühlschrank kaufst und er gut, also haltbar ist, brauchst du nie wieder in deinem Leben einen Kühlschrank zu kaufen) und die Märkte gesättigt waren. Also haben Werbefachleute, Verkaufsspezialist*innen und Designer*innen die geplante Obsoleszens als Technik erfunden, um mehr zu verkaufen: Die gleichen Gegenstände werden mit wenig (oftmals nur ästhetischen) Unterschieden verkauft, und das regelmässig.

Wenn Konsumismus kritisiert wird, wird oft die Psychologie der Individuen kritisiert, die konsumieren. Aber Konsumismus ist keine Mentalität, sondern eine Strategie, um Menschen dazu zu bringen, mehr zu konsumieren.

Einwegprodukte sind im Grunde genommen auch Produkte mit geplanter Obsoleszens. Dass diese Produkte irgendwann weggeworfen werden müssen, ist ebenfalls nichts, was jemals versteckt war und das ist es heute immer noch nicht, da es auf der Packung steht. 

Das Wegwerfen von Feuerzeugen, Bechern und Stiften ist, wie bereits erwähnt, relativ neu. Die ersten Einwegprodukte waren Kragen und Manschetten in den USA. Zu dieser Zeit war Kleidung sehr teuer und auch das Waschen von Kleidung. Unverheiratete Männer, die im Büro arbeiteten (in der englischen Sprache auch als "white collar workers" bezeichnet) und daher also keine Ehefrau hatten, die kostenlose Hausarbeit leistete, haben also haben Papierkragen und Papiermanschetten gekauft, um keine Wäsche machen zu müssen. 
An der Wende zum 20ten Jahrhunder tauchen dann Einwegbecher und eine Reihe an Papierprodukten auf. In den 1920ern sind auch die ersten massenproduzierten Einwegbinden auf den Markt gekommen. Die Geschichte der Monatsmenstruationsprodukte ist recht kurz.

Früher waren Einwegprodukte häuptsächlich aus Papier, aber seit den 70er Jahren hat sich Plastik massiv verbreitet, was noch umweltschädlicher ist.

Einwegprodukte wurden immer im Namen der Hygiene präsentiert. Zu Beginn des 20ten Jahrhunderts haben die Theorien von Louis Pasteur und der Fortschritt der Mikrobiologie eine kollektive Angst geschürt: Menschen hatten Angst vor Kontamination durch Keime. Das wurde von Industriellen aufgegriffen, um neue Produkte als Lösungen für diese Gesundheitskrise zu präsentieren. Momentan haben wir auch das Problem mit den Masken, die Menschen wegen Corona tragen: Sie sind nicht wiederverwendbar und müssen alle weggeworfen werden und dann finden wir sie im Meer wieder.
Es gibt also ein Paradox, denn im Namen der Hygiene/der Sauberkeit, verursachen wir mehr Umweltverschmutzung. Es liegt einer individualistischen Sicht auf Sauberkeit zugrunde: Was sauber sein muss, ist der eigene Körper und es spielt keine Rolle, welche Auswirkungen es auf die Umwelt und auf andere Lebewesen hat. 

Abgesehen von Hygiene war ein anderes Versprechen auch, dass man durch Einwegprodukte weniger Dinge waschen, aufräumen und pflegen musste. Es war vor allem an Frauen gerichtet, weil vor allem sie für diese Aufgaben zuständig waren und es heute immer noch sind. Mit Einweggeschirr muss man kein Geschirr mehr waschen und es muss auch nicht gelagert werden. Das Versprechen war, Arbeit und Zeit für Verbraucher*innen zu sparen, aber auch der Restaurantindustrie hat man versprochen, dass sie Geld sparen würden, weil sie weniger Menschen zum Spülen, Reinigen und Aufräumen einstellen mussten.

Aber dieses Versprechen ist kein Versprechen, dass die Arbeit verschwindet, sondern es ist ein Versprechen, die Arbeit zu verschieben. Die Gegenstände verschwinden nicht, es werden nur Menschen damit beauftragt, sie an einen Ort zu bringen, an dem man so tun kann, als ob sie nicht existieren würden: ins Meer, unter der Erde oder durch Feuer in Rauch reduziert. Es wird also versucht, sie unsichtbar zu machen. Auch Müllarbeiter*innen müssen unsichtbar bleiben: Sie stehen sehr früh auf, damit sie ihre Arbeit im Dunkel, also wenn nur die wenigstens bereits wach sind, erleidigen können.
Dass Gegenstände weggeworfen werden, heißt also nicht, dass die Arbeit verschwindet.

"Recycling" hat dazu beigetragen, den Verbrauch von Einweggütern zu banalisieren. "Ich kann diese Wasserflasche konsumieren, da sie recyclet wird". Recycling wurde zu einem Argument, um weiterhin zu konsumieren, aber mit gutem Gewissen. Recycling ist aber keine Wunderlösung, die Abfälle verschwinden lässt.


Achtung! Da es den Rahmen sprengen würde, thematisiere ich in diesem Kapitel nicht die Gründe für Einwegprodukte.

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