· Kapitel 06 ·

2.6K 190 5
                                    

  Es vergingen ein paar Tage und Finn wurde nach Hause gebracht. Ich selbst gab es auf mich zu töten. Dann warte ich eben bis der Tod wieder kommt und sage es ihm da, oder ich suche ihn einfach hier im Krankenhaus. Ich muss nur herausfinden, wer als nächstes stirbt.

  Ab und an waren mal Alex und seine Frau zu Besuch, sonst kam niemand.

  Gerade war ich auf dem Weg zu Maria und Sina, um mal wieder Hallo zu sagen. Die letzten Tage war ich nur selten bei den Beiden.

  »Hallo ihr Zwei, wie geht es euch?« begrüßte ich sie und setzte mich auf meinen Stammplatz.

  »Riley! Schön, dass du wieder mal da bist« lächelte mich Maria an und Sina umarmte mich. »Riley, zählst du mal laut bis drei?« bat mich Sina und schaute mich an. »Klar, warum auch nicht. Also 1, 2, 3« zählte ich brav bis drei und wartete, was jetzt kommt.

  »Alles Gute nachträglich!« riefen auf einmal Maria und Sina gleichzeitig und fingen an zu singen.

  »Das ist unglaublich nett von euch!« lachte ich und umarmte beide, nachdem sie fertig mit dem Geburtstagslied waren.

  »An deinem richtigen Geburtstag kamst du ja nicht und daher ging das nur so « lächelte Sina. »Danke, dass ihr daran gedacht habt« Sina strahlte wieder wie ein Honigkuchenpferd.

  Wir redeten ein bisschen, wurden dann aber von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Anscheinend kommt jemand zu Besuch und tatsächlich kamen zwei Eltern mit einem Mädchen, das genauso aussah wie Sina, in den Raum. Sina stand von meinem Schoß auf und lief zu den dreien hin, die sich zu ihr ans Bett stellten.

  Die Mutter setzte sich auf einen Stuhl und nahm Sinas Hand. »Es tut mir so leid Sina. Ich wünschte ich könnte dir das alles ersparen« begann sie mit der schlafenden Sina zu sprechen.

  »Es ist alles okay, Mami« sprach Sina, obwohl sie weiß, dass ihre Mutter sie nicht hören würde.

  »Was hat Sina eigentlich? Und wer ist die Kleine?« fragte ich leise Maria. Maria schaute mich traurig an. »Das Mädchen ist Miley, Sinas Zwillingsschwester. Sina hat Krebs im Endstadium. Sie wird wahrscheinlich nicht mehr lange Leben« sagte Maria traurig und ich schnappte nach Luft. Wie kann so ein kleines süßes Ding wie Sina, so etwas grausames wiederfahren?

  »Mama, wann wacht Sina wieder auf? Ist sie böse auf mich, weil ich mit ihren Puppen gespielt habe, während ich alleine daheim war und sie hier?« fragte ihre Schwester Miley. »Nein, mein Schatz, sie ist bestimmt nicht wütend auf dich« lächelte ihre Mutter sie traurig an und ihr Vater nahm sie in den Arm.

  »Du hast was gemacht?! Das sind meine Puppen! Ich sagte doch, du darfst nicht mit ihnen spielen!« zappelte Sina wie wild mit ihren Armen in der Luft herum. Doch man merkte, dass sie nur böse spielte. Sie war unendlich traurig, was sie mehr schlecht als recht mit einem Lächeln versuchte zu verstecken.

  Sina hat ein viel grausames Schicksal als ich. Während sie zuschauen muss, wie ihre Eltern immer mehr Hoffnung verlieren, starben meine von heute auf morgen. Wie ein Pflaster, dass man schnell abzog, damit der Schmerz auch schneller vorbei ist. Sie muss über Jahre zuschauen, wie ihre Eltern so tun, als wäre alles in Ordnung, während sie selber weiß, dass das nicht stimmte. Wie können Schicksale nur so grausam sein?

  Mileys Vater ließ sie los und Miley lief zu ihrer Mutter, die sie in den Arm nahm und festdrückte, was mir unglaublich leid für Sina tat. Man sah ihr an, wie gerne sie in den Armen ihrer Mutter liegen würde. Doch das würde nie möglich werden.

  »Komm her Sina« lief ich zu ihr und setzte mich auf dem Boden neben ihrer Mutter, die natürlich auf einem Stuhl saß. Ich öffnete meine Arme und ohne zu zögern kam sie zu mir. Fest umklammerte ich sie und bemerkte, dass Sina Tränen herunterliefen. Also können Seelen auch weinen.

  »Riley, ich möchte Leben! Ich will auch in den Kindergarten, wie Miley, ich will in die Schule, von der die Kinder hier im Krankenhaus erzählen. Ich will auch einmal einen Delfin sehen! Ich will in den Zoo. Ich will leben! Weißt du Riley, ich liebe Tiere! Ich habe einen Kuschelbären daheim. Er heißt Balu. Miley hat ihren verloren und versucht immer meinen zu klauen! Ich würde ihr so gerne sagen, dass sie ihn haben darf, meinen Balu. Weil ich brauche ihn ja nicht mehr. Riley, ich werde nicht mehr aufwachen, stimmts?« schaute sie mich traurig an. »Du solltest nie die Hoffnung verlieren, Kleines« antwortete ich darauf und drückte sie wieder.

  So saßen wir vielleicht eine Ewigkeit da und merkten nur nebenbei, dass Sinas Familie gegangen war. Maria kam nun auch zu uns und setzte sich auf den Boden. Anscheinend ist man als Seele gelenkiger, als wenn man lebendig ist.

  »Sag mal, warum bist du eigentlich hier, Maria?« fragte ich, um uns alle etwas abzulenken. »Ich hatte einen Unfall, bei dem ich eigentlich hätte sterben müssen. Ich bin hirntot musst du wissen. Nur die Geräte halten mich noch künstlich am Leben « meinte sie traurig. »Aber das weiß dein Mann doch oder? Ich habe ihn noch gar nicht gesehen.«

  »Ja, das weiß er natürlich. Er kommt ziemlich oft. Ich glaube ihr habt euch aber immer verpasst« überlegte sie. »Also willst du eigentlich sterben?« fragte ich. »Nein. Ich würde am liebsten Leben! Ich würde gerne noch einmal in den Armen meines Mannes liegen. So viele Dinge würde ich gerne noch tun. Aber ich kann es nicht mehr. Riley, wenn du die Möglichkeit hast wieder aufzuwachen, dann tu das! Das Leben ist viel zu schön, um es einfach aufzugeben. Doch ich kann nicht mehr. Ich kann meinen Mann nicht mehr herkommen sehen, in der Hoffnung ich wäre aufgewacht. Außerdem haben wir nicht so viel Geld. Wahrscheinlich sind wir schon verschuldet, aber er möchte mich nicht gehen lassen. Wir Menschen werden viel zu lange am Leben gelassen durch diese Geräte. Ich glaube nicht, dass wir Menschen so lange leben sollten. Viele sitzen in Rollstühlen oder können gar nicht mehr laufen. Das ist doch kein Leben mehr. Da hatte ich wohl noch Glück. Ich wünschte ich könnte ihm sagen, dass es Zeit für mich ist zu gehen. Wir brauchen wohl alle ein Wunder was?« lächelte sie uns beide traurig an, woraufhin wir nickten.

  Warte.

  »Ich kann das Wunder für euch sein, wenn ihr wollt« lächelte ich die Beiden an, die mir in nur ein paar Tagen ans Herz gewachsen sind. Dank ihnen vergessen ich, was mir vor einer Woche widerfahren ist. Dass meine Eltern gestorben sind. Dass meine Mum mich nie wieder in den Arm nehmen kann. Dass sie mir beim Autofahren nie wieder panisch sagen wird, dass ich langsamer fahren soll. Dass mein Vater und ich nicht mehr zusammen kochen werden. Dass wir nicht mehr miteinander über irgendetwas wetten werden. Und Janus. Mein kleiner Bruder Janus, mit dem ich mich nie wieder mehr streiten kann, weil er vielleicht wegen mir in der Hölle schmort. Ich werde ihn nie zu seinem Fußballtraining fahren. Und trotz den ganzen Dingen, obwohl ich weiß, dass ich sie alle vermissen müsste, spüre ich nichts, wenn ich an sie denke. Aber dieses nichts fühlt sich schrecklich an. Schrecklicher als alles, was ich je gefühlt habe.

  »Sina, ich kenne den Tod persönlich, vielleicht schaffe ich es, dass du, falls du sterben wirst, im Himmel ganz oft Tiere, die gestorben sind, besuchen darfst? « lächelte ich sie an, woraufhin ihre Augen zu strahlen begannen. Hoffentlich habe ich nicht zu viel versprochen. Keine Ahnung ob so etwas überhaupt geht.

  »Und Maria. Wenn ich aufwache, werde ich dafür sorgen, dass die Geräte, falls du das wirklich willst, abgeschaltet werden. Und ich kann eure Krankenhausrechnung bezahlen, ich habe genug Geld.«

  »Da-das kann ich doch nicht verlangen!« rief sie ungläubig.

  »Doch bitte. Lasst mich für euch das Wunder sein. Dann habe ich wenigstens einen Grund zu leben.«



Call of HellWhere stories live. Discover now