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Kapitel 9

Die Lage hat sich in der letzten Zeit um einiges verschlechtert. Immer mehr Läden wurden überfallen und ausgeraubt. Einmal bin ich an einem der Läden vorbeigelaufen, aus dem mehrere Menschen schreiend rausrannten, doch in mir war nicht diese Panik oder Angst, die man normalerweise in sich spüren würde.

Denn ich wusste, wer es war. Ich kannte diesen jungen Mann und seinen Blick. Als würde ich es jemals vergessen. Tagtäglich berichteten sie über den Unbekannten. Aber - der Mann hatte es drauf und das musste man ihm lassen.

Niemand schöpfte auch nur Verdacht. Ein Meister in seinem Gebiet; ein Profi; ein Experte. Obwohl er es selten alleine durchzog, denn in vielen Artikeln, die ich mir täglich durchlas, wurde von mehreren Leuten gesprochen. Die Oficina Estatal de Policía Criminal vermutete, dass es um eine geheime Verbrecherorganisation handelte. Hin und wieder hörte ich das Wort Nuevas. Dass ich mir den Namen lieber merken sollte, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht.

Außerdem erwähnten sie jedes Mal die Präzision und Genauigkeit der Überfälle. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass die Autoren der Artikel die Überfälle fast schon bewunderten, wenn nicht sogar fasziniert waren von der Art und Weise, wie sie es taten und vorallem welch enorme Summen, sie bis jetzt schon entnehmen konnten.

Zugegebenermaßen war es eine Sache, was ihnen niemand so einfach nachmachen konnte. Und trotzdem jeden Tag aufs Neue eine Existenz, ein Leben, eine Familie und eine Zukunft zu zerstören ist im Grunde Nichts, worauf man auch nur im Geringsten stolz sein sollte und ich hatte mittlerweile das Gefühl, dass die Autoren, dies vergaßen, in Momenten, in denen sie darüber schrieben, wie Madrids Sicherheitssystem innerhalb weniger Wochen von einer Gruppe, die niemand kannte, auf den Kopf gestellt wurde.

Weshalb ich meine Klappe hielt, war für mich selbst ein Rätsel. Unser Bezirk wurde immer ärmer und die Leute verloren an Lebensfreude schneller den je. Selbst die Bäcker hatten weniger Kundschaft, weil die Bürger alles von außerhalb besorgten.

Wenn die Bank im Bezirk frisch ausgeraubt wurde, mit sogar einem Schuss, der den Mitarbeiter traf und stark verletzte, und man in einer Bank 50 Kilometer weiter weg, Geld besorgen musste, lohnte es sich direkt jeden anderen Einkauf dort zu betätigen.

Eines Abends verlies ich unser Haus, um eine Schüssel Suppe von meiner Tante abzuholen, die sie für uns gekocht hatte, da wir so viel Geld, wie möglich sparen wollten. Wer weis, wie lange, wie es hier aushalten. Und das so kurz vor meinem Semesterbeginn.

Diese Kälte lies mich zittern, doch auch die Dunkelheit machte mir mit der Zeit immer mehr Angst. Was war der Grund, jeden auszurauben? Wer gab ihm solche Aufträge? So viel Geld für einen jungen Mann. Das war doch absurd. Dahinter musste viel mehr stecken, als nur der bloße Wille von Geld.

Ich setzte mich auf die kühle Mauer, neben dem Kioskhaus. Vor vier Wochen hatte er mich hier aufgefunden und bedroht.

In der vergangenen Zeit hatte ich an ihn gedacht. Vielleicht zu oft. Vielleicht sollte ich aus dieser Stadt ausreisen und mir meine Zukunft in einer aufbauen, die noch so viel Geld hat, dass ich mir keine Sorgen machen muss darüber, ob mein Bruder eine gute Zukunft hat oder nicht.

Mein älterer Bruder war mit seiner Ehefrau schon ausgereist in eine Stadt in Schweden. Vielleicht sollte ich mir das auch mal durch den Kopf gehen lassen. Gemeinsam mit meinen Eltern und meinem Bruder ein neues Leben aufbauen.

Ihm soll doch am wenigstens etwas passieren, wo er noch so jung und naiv ist. Soll er doch noch glauben, dass die Welt ein friedlicher Ort, voller guter Menschen, ist.

Vielleicht aber auch hätte ich aufstehen und gehen sollen, als ich die dunkle Gestalt in Form eines breit gebauten Körperbaus auf mich zukommen sah. Vielleicht hätte ich mir für das Kribbeln im Nacken und der Gänsehaut an meinen Armen, als ich sein schönes und doch hartes Gesicht sah, eine Ohrfeige geben sollen.

„Wartest du auf mich?", erklang seine tiefe Stimme. Es war, als hätte ich seine Stimme vermisst, trotz, dass ich mir öfter in Gedanken vorgestellt hatte, wie er sich anhörte. Ich starrte ihm in sein Gesicht, das mich ebenfalls zu analysieren begann. Was dachte er sich gerade? Was ging ihm durch den Kopf?

Ich stand auf und lief ihm entgegen, ehe ich kurz vor seinem Gesicht stehen blieb. „Sie zerstören die Stadt" Er blickte mir ins Gesicht und mit einem Mal wusste ich, dass er mich nicht ernst nehmen würde. Dieser Mann ist sich viel zu viel wert, um auf ein Mädchen zu hören, das versucht hatte ihn zu überreden, diesen Überfall sein zu lassen, mit dem alles angefangen hatte.

„Denkˋ mit, Milana" Er kam einen Schritt näher. Ich hasste es, verabscheute es, dass er meinen echten Namen kannte, während seiner für mich noch ein Rätsel war. „Würde mich interessieren, was gerade deinen schönen Mund verlassen hat, hätte ich schon längst aufgehört" Plötzlich musste ich leicht lächeln. Dieser Typ hatte so viel durchgemacht, dass sein letzter Weg das Rauben ist und trotzdem hatte er so viel Stolz in sich, dass er so dominant und von oben herab zu mir sprach.

Dass er immer noch den Mut, das Selbstbewusstsein und diese Stärke besaß voller Arroganz und Überlegenheit zu sprechen, brachte mich zum Schmunzeln. Es war beeindruckend und gleichzeitig tat er mir so leid. Dieser Mann war so gebrochen, doch davon wusste er noch nichts.

„Wie lange werden Sie das durchhalten?", fragte ich ihn schmunzelnd und hob meine Arme kurz fragend hoch.

„Nicht mehr lange. Denn bald werden Sie daran kaputt gehen. Aus diesem Teufelskreis werden Sie nicht raus können. Ihre Flucht haben Sie selbst zerstört und wissen Sie auch, wann?" Die Antwort auf meine eigene Frage gab ich ihm selbst, um mir die Stärke zurück zu geben, die mir sein bloßes Auftreten fast komplett stehlen konnte.

Ich musste und wollte selbstsicher wirken, sodass er anfing mich ernst zu nehmen und mich nicht mehr als die flehende Studentin sah. Diese erschreckende Kälte in seinem Blick schien mich zum Weiterreden bringen.

„In dem Moment, als Sie sagten, dass ich jemanden holen sollte, am Ende unseres Gesprächs am Tag des Überfalls" Bemitleidend schaute ich ihm in die Augen und schüttelte den Kopf leicht.

Er schloss seine Augen und atmete tief ein. So langsam, wie er seine Wimpern wieder aufschlug, so heftig verlor ich mich in der brutalen Dunkelheit seiner Augen. Es war als würde seine Ausstrahlung enormen Einfluss auf meine Wahrnehmung haben, denn solche Reaktionen meines Verstandes hatte ich sonst bei keiner Person, die ich jemals sah.

„Es gab nie eine Flucht. Es gab nie etwas, vor dem ich flüchten will. Diese Leben ist genau das, was ich will, was mir zusteht" Er stoppte und nahm die Strähne, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte, und drehte es um seinen Finger mit dem hellgoldenen Ring, während seine Mundwinkel leicht zuckten.

„Du isst jeden Abend das selbe billige Gericht, schläfst und Betten von denen du Rückenschmerzen kriegst. Schau' dir deine zerrissenen Schuhe an, du kleidest dich wie eine Obdachlose, weil sich deine armseligen Eltern nichts leisten können. Ist es das, was du dein Leben lang tun möchtest? Wenn ich wollen würde, könnte ich mir in jedem Land eine Villa kaufen. Jedes Gericht dieser Welt würden Sie mir auf mein Tisch stellen, wenn ich mit dem Finger schnipse. Jede-"

Ich unterbrach ihn barsch. „Jede Frau würde alles dafür geben, mit einem reichen Mann, wie Ihnen Zeit zu verbringen. Werden Sie glücklich sein? Mit wem werden Sie diese Momente teilen, außer Ihrem Ego? Wird Ihnen jemals jemand den Rücken stärken, Ihnen Halt geben, wie mir meine Familie und Ihnen zeigen, wie schön das Leben zu Zweit sein kann?"

GANGSTER OF THE STREETSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt