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Kapitel 22

Langsam kam Nael auf mich zu und ich beobachtete ihn mit schmerzerfülltem Gesicht bei seinen leichten Bewegungen. Neben mich setzte er sich sachte hin und blickte mir nicht ins Gesicht. Er schaute starr gerade aus. Ich zog die Nase hoch und strich mit der Hand schnell über meine nassen Wangen.

Es war ruhig. Man hörte nur noch Naels und meinen Atmen. Seine ruhigen und gleichmäßigen Atemzüge schienen eine gewisse Wirkung auf mich zu haben, denn das Zittern meiner Hände hatte aufgehört.

Ich schloss meine Augen und genoss das dunkle Nichts.

Diese Ruhe.

Kurz alles zu vergessen, war der schönste Gedanke in diesem Moment, neben dem Menschen zu sitzen, den ich so schlimm hasste, wie ich ihn in meiner Nähe haben wollte.

„Ich hasse es." Naels raue Stimme erfüllte den Raum und jagte mir eine Gänsehaut ein. Ich öffnete meine Augen und sah, dass er immer noch den Kopf nicht zu mir gewendet hatte.

„Was hasst du?", flüsterte ich mit gebrochener Stimme. Endlich drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Diese verdammten Augen. Jedesmal brachen sie mich aus der Rolle.

Unsere Gesichter waren sich näher, als sonst und ich wusste nicht, wieso es mich so nervös machte. Ich hatte Angst davor, dass er aufhörte mich anzuschauen, mir nicht seinen Blick und seine Aufmerksamkeit schenkte. Scheiße. Wie konnte ich nur so tief sinken? Diese Stille war quälend.

„Dieses Leben." Mein Herz hatte mit Sicherheit aufgehört zu schlagen. Zumindest hatte ich das Gefühl. Naels Augen sprachen Bände, doch wer auf dieser großen weiten Welt war in der Lage ihn zu verstehen?

Auch Nael trug eine Last mit sich, die ihn nicht los ließ, sondern Tag für Tag runterzog. Diese kühle und eiserne Fassade ließ ihn die ganze Scheiße bloß besser überstehen. Die Halle und die Menschen dort gaben ihm die Macht und Kontrolle, die er sich über sein Leben wünschte. Alles hatte einen Grund und Naels Kaltblütigkeit entstand nicht aus dem Nichts. Das war ein Prozess lang jähriger Schmerzen.

Mein kompletter Körper drehte sich in seine Richtung und ich spürte einen enormen Drang meine Hand an seine Wange zu schmiegen und ihm zu sagen, dass alles besser wird.

Doch das würde ihn bloß wütend machen, denn er wusste besser, dass es nicht so einfach ist. Das war ein Kampf mit seinem Inneren, den er Tag für Tag versuchte zu gewinnen.

„Nael.", konnte ich bloß mit zitternder Stimme über die Lippen bringen. Als hätte ich ihm Schmerzen zugefügt, schloss er die Augen und schüttelte leicht den Kopf.

„Hör auf meinen Namen so auszusprechen."
Ich konnte ihm nicht folgen und wusste nicht, was er dagegen hatte. Doch ich wusste, dass ihn seine Mutter früher so genannt hatte und er eine besondere Bedeutung für ihn hatte.

Naels Schultern hingen und waren nicht gestreckt, wie sonst immer sind, wenn er den Menschen in seiner Umgebung eine Angst einjagte, mit der Statur, die er hatte und der Aura, die er versprühte.

„Er hört sich so friedlich an.", fügte er nach einer Weile hinzu, in der ich versuchte mir seine strengen Gesichtszüge einzuprägen. „Aber er passt nicht zu mir, verdammt." Seine Stimme hatte einen schneidenden Unterton. Er schien wütend zu werden.

„Sieh' an, was ich mit dir gemacht habe." Hektisch erhob er sich und blickte auf mich herab, mit diesem aufbrausenden Ausdruck, während seine Augen rasend über mein von Tränen überzogenes Gesicht huschten. Gleich darauf stand ich ebenfalls auf, um auf der selben Augenhöhe, wie er zu sein.

„Ich verletze dich jedes Mal und trotzdem schaust du mich an, als-„ Er brach ab. Verdammt, beende doch deinen Satz!

„Wie sehe ich dich an, Nael? Sag's mir.", flüsterte ich und kam einen Schritt auf ihn zu. Er war kurz davor, den Blick abzuwenden, als ich reagierte und meine Hand an seine rechte Gesichtshälfte, mit der Narbe, legte und zu mir wendete.

Zischend atmete er ein. Tat es ihm weh? Schmerzte die Narbe? Zum Glück riss er meine Hand nicht achtlos weg.

So war nämlich eine Seite des Mannes gegenüber von mir. Ich hätte ihm zutrauen können, dass er meine Hand feste wegschlagen und mich beleidigen würde. Doch er überraschte mich und das nicht zum ersten Mal.

„Als würdest du etwas Gutes in mir suchen."

„Das tue ich."

Er schloss die Augen, doch lies trotzdem die Hand an seiner Wange zu. Mit dem Daumen strich ich leicht über die Narbe.

„Hör auf damit." Dann stoppte ich und wollte meine Hand zurück ziehen. Doch dann geschah es. Er nahm meine Hand und hielt sie fest. Nael führte sie von seiner Wange zu seiner Brust.

„Spürst du das, Milana?", fragte er mit einer leisen Stimme. Ich nickte, als ich das Klopfen seines Herzens und eine Gänsehaut an meinem Arm spürte.

Unkontrolliert weinte ich still. Ohne zu schluchzen, bloß eine Träne rollte über meine Wange. In unseren Blicken steckten so viel Emotionen und unausgesprochene Worte, dass es mich innerlich zu einem schwachen Wrack machte.

„Es pumpt nur, weil ich so bin, weshalb du mich hasst." Es war kompliziert gesagt, doch für mich einfach zu verstehen.

Er wollte, dass ich realisierte, dass ich ihn für das hasse, für die Art hasse, die ihn am Leben hielt. Nur mit dieser eisernen Maske und der Kaltblütigkeit überlebte er diesen langjährigen Kampf, den er führte. Doch gegen wen? Und weshalb?

Ich schüttelte den Kopf hektisch, ja, fast schon panisch. „Ich hasse dich nicht" Nael ließ meine Hand fallen, als hätte er sich an ihr verbrannt. „Das solltest du aber", antwortete er ebenfalls mit nun lauter Stimme.

„Weshalb denn? Weil du Menschen umbringst?"

„Ja! Ja, verdammt", brüllte er fast schon animalisch. „Du machst das nicht grundlos, oder Nael?", fragte ich mit verzweifelter Stimme.

„Du tust es, weil du selbst überleben möchtet und weiter am Leben bleiben musst. Du tust es, um deine Familie zu beschützen und zu verteidigen. Oder Nael?"

Ich kam ihm näher. Sein Blick war kühl auf mich gerichtet. Keine einzige Emotion lies er durch.

„Ich weiß nicht, was dir passiert ist, doch es muss etwas sein, denn kein Mensch ist so, wie du es bist, ohne jeglichen Grund. Du bist-„

Unsere Nasenspitzen berührten sich fast und unser Atmen vermischte sich.

„Du bist kein schlechter Mensch, Nael.", flüsterte ich und lehnte meine Stirn an seine.

Und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, dass wir es beide glaubten.









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𝐊𝐨𝐦𝐦𝐞𝐧𝐭𝐢𝐞𝐫𝐭 𝐦𝐚𝐥 𝐞𝐮𝐫𝐞 𝐌𝐞𝐢𝐧𝐮𝐧𝐠 𝐳𝐮 𝐝𝐞𝐦 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

GANGSTER OF THE STREETSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt