~Kp 19~

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Ich hatte versucht mir die Flucht vorzustellen, hatte mir ausgemalt, wie befreiend es wäre, wenn ich endlich weg wäre, doch es war ganz anders als ich mir gedacht hatte. Es war kein Gefühl der Freiheit gewesen sondern Angst und Panik, die mich abwechselnd kontrolliert hatten. Es war nichts nach Plan verlaufen und ich hatte nun keine Ahnung wie es weitergehen würde. So weit hatte ich nie gedacht. Würde ich nun für ewig in dieser Hütte sitzen? Hatte Dream einen Plan?

Ich schielte zu der Träne der Königin, welche ich in dem Stapel teurer Kleider versteckt hatte, die ich auf den Boden in die Ecke gelegt hatte, bevor ich ins Bett gestiegen war. Diese Kette war das Ticket in meine Freiheit gewesen und wenn ich sichergehen wollte, dass Dream mich nicht hier zurückließ, musste ich sie bei mir behalten. Wir hatten nie ausgemacht, wann ich ihm sie geben würde, geschweige denn, wann er seinen Teil der Abmachung erfüllt hatte. Wir hatten eigentlich nie wirklich irgendetwas besprochen. Ich hatte nur gesagt, dass er mich entführen muss, doch wenn er mich jetzt alleine ließ, dann wäre ich aufgeschmissen. Ich hätte keine Ahnung wohin ich gehen sollte, wie ich was zu essen bekommen oder an Geld rankommen sollte. Ich wusste nichts über diese Welt. Ich kannte nichts anderes als reich gefüllte Tische, weiche Betten und höfliche Diener, die einem jeden Wunsch von den Augen ablesen. Ich wusste nichts.

Frustriert drehte ich mich begleitet von einem lauten Knarzen des Bettes auf die andere Seite, in der Hoffnung dort Ruhe zu finden, doch egal wie ich lag, egal wie sehr ich auch probierte einzuschlafen, ich schaffte es nicht. Es fühlte sich einfach an als würde ich auf einem Stein liegen mit einem Blatt als Decke. Müde verfluchte ich meine luxuriöse Herkunft und ihre Effekte auf mich, die mir trotz des Bewusstseins, dass ich für den morgigen Tag wahscheinlich viel Energie benötigen würde, es nicht ermöglichte meinen Schlaf zu bekommen. Was sollte ich nur tun?

Mein Blick war starr auf die Decke gerrichtet, nachdem ein weiterer kläglicher Einschlafversuch gescheiteert war. Ich hätte hier und jetzt durchdrehen können, mit schweren Augenlidern und getrübten Gedanken, alles auf den Kopf stellen können, denn nichts frustrierte mich mehr als das Wachliegen in einem Bett, in dem man eigentlich im Traumland wandeln sollte. Ich seufzte erneut und entschloss mich endlich aufzugeben.

Ich richtete mich auf und ließ meinen Blick durch das Zimmer wandern. Die Kerze am Nachttisch hatte ich ausgeblasen, weshlab ich alles nur schemenhaft ausmachen konnte, doch aus dem Türspalt, der zum anliegenden Zimmer führte, strömte warmes Kerzenlicht. Also war Dream noch wach, oder hatte vergessen die Kerzen auszumachen, doch ich tippte eher auf ersteres.

Mit schon schmerzenden Gliedern stand ich auf und wankte zur Tür, doch bevor ich sie öffnete hielt ich mit der Hand am kalten eisernen Griff inne. Sollte ich nicht doch lieber noch einmal versuchen zu schlafen? Würde ich dort hinausgehen, würde vielleicht wieder dieses unangenehme Schweigen zwischen mir und Dream herrschen, welches ich nicht ausstehen konnte. Ich war nie gut mit Menschen gewesen, wusste oft nicht, was ich erwidern sollte, doch mit einem wirklichen Verbrecher reden, der dazu noch Stimmungsschwankungen zu haben schien war etwas völlig anderes. Es war eine Situation, in der wahrscheinlich niemand so wirklich wüsste, was er tun sollte und dies gab mir Mut. Es gab keine Etiketten an die ich mich halten musste, keine genauen Vorgaben welche Worte ich wofür am besten verwenden sollte und auch keine Begrenzung in der Wahl des Gesprächsthemas. Ich konnte einfach dort hinausgehen und reden anfangen. Einfach alles, was mir in den Sinn kam aussprechen, wenn es das war, was ich wollte, doch gleichzeitig musste ich mir auch bewusst machen, dass ich immer noch mit einem Gesetzesbrecher redete. Jemandem, der alle meine Schwächen wahrscheinlich gegen mich ausspielen würde. Jemandem, der vor nichts zurückschreckt.

Verdammt, Geroge, jetzt stell dich nicht so an und geh einfach dort hinaus, bevor du in diesem kleinen staubverseuchten Ort noch durchdrehst.

Entschlossen drückte ich den Henkel nach unten und schob langsam die Türe auf. Dream befand sich tatsächlich noch in dem Raum und saß mit dem Kopf in eine Hand gestützt auf dem Holztisch. Vor ihm waren eine menge Papierrollen ausgebreitet und was ich von meiner Position ausmachen konnte auch eine Landkarte. Seine anscheinend blonden unordentllichen etwas lockigen Haare berührten fast seinen Nacken und ich starrte perplex auf seinen Hinterkopf. Plante er gerade, wie es weiter gehen würde? Plante er vielleicht seinen nächsten Angschlag? Neugirde überkam mich und ich trat mit zögerlichen Schritten etwas auf ihn zu.

Er hatte seine Maske neben sich abgelegt und ich wusste nicht, wie ich mich weiter verhalten sollte, also räusperte ich mich einmal, damit er auch ja wusste, dass ich da war. Er reagierte jedoch nicht sondern blickte nur weiter starr auf die Papiere vor ihm. Ich fühlte, wie Unsicherheit in mir aufstieg. Was nun? Sollte ich wieder zurück in mein Zimmer gehen und so tun, als wenn ich nie rausgekommen wäre? Doch ich hatte mich schon geräuspert, also wusste er, dass ich dort war. Vielleicht hatte er mich nur nicht gehört?

Plötzlich hob er seinen Kopf und blickte an die Wand, an die der Tisch gestellt war. Eine Hand fuhr zu der Maske, die neben den ganzen Schriftrollen und Büchern auf dem Tisch platziert war und ehe ich mich versah, war sie wieder auf seinem Kopf angebracht. Ich blickte erstaunt auf die nun in einem Knorten vereinten Lederbänder, welche er geschickt und in windeseile an seinem Hinterkopf zusammengebunden hatte.

"Was ist?", ertönte seine Stimme und riss mich aus dem Starren. Der warme Kerzenschein ließ seine Haare ganz weich und sanft wirken, als er sich auf dem Stuhl langsam zu mir umdrehte. "Kann ich dir helfen?", fragte er, nun mit seinem von der weißen Maske bedecktem Gesicht in meine Richtung blickend.

"Ich bekomme kein Auge zu", erwiderte ich wahrheitsgetreu und wartete angespannt auf seine Reaktion. Die Luft war gefüllt mit dem Geruch nach Kräutern, die ich allesamt nicht kannte und schaffte somit eine Atmosphäre, die sicherlich sehr entspannend und ruhig gewesen wäre, hätten sich zwei Personen in dem Raum befunden, die sich schon etwas mehr kannten. "Ist das Bett zu hart?", fragte Dream mich und ich spürte seinen musternden Blick auf mir. Suchte er nach der Träne der Königin, die das letzte Mal noch um meinen Hals gehangen hatte, als er mich gesehen hatte?

Ich ignorierte seine wohl eine offensichtliche Antwort habende Frage und trat weiter auf den Tisch zu, um besser sehen zu können, was er da tat. "Studierst du Landkarten?", richtete ich eine neue Frage an ihn, um das zaghafte Gespräch in eine andere Richtung zu leiten. Dream wandte sich wieder dem tisch zu und erwiderte, während er ein anderes beschriebenes Papier glatt strich: "Ja, ich habe unseren Weg für morgen genau festgelegt."

Mit furchtbarer Neugierde gefüllte wollte ich mehr von dieser Karte sehen und auch genau wissen, wo wir morgen entlang gehen würden und wohin wie gehen würden. Konnte ich dies alles fragen, oder war es zu aufdringlich? Besser, als wie über meine eigenen Gedanken im Dunklen zu wälzen, dachte ich und zog einen Holzsessel nach hinten, damit ich mich zu Dream an den Tisch hocken konnte. Zwischen uns war immer noch ein Stuhl frei, da ich nicht sicher war, ob ich ihm so nahe kommen wollte.

"Unseren Weg?", stellte ich erneut eine Frage in der Bemühung diese Konversation aufrecht zu halten. "Ja", erhielt ich als einsiblige Antwort und Dream wandte sich wieder dem Papier zu, dass er vor sich liegen hatte. Er schien es genau zu studieren und jedes einzelne Detail aufzusaugen. Ich war mir sicher, dass, hätte das Papier die Möglichkeit Dinge zu empfinden, es diesen gleichen brennenden Blick gespürt hätte, wie ich zuvor auch schon, so intensiv widmete er seine Aufmerksamkeit der Schrift.

Es herrschte wieder Stille und ich spielte nervös mit meinen Fingern. Ich wühlte in meinem Kopf nach Fragen, die der Anfang eines Gespräches sein könnten, doch war mit nichts zufrieden, dass mir einfiel. Ich würde ihm doch bestimmt auf die Nerven gehen, wenn ich erneut fragen würde, was dieses Papier war, dass er so innig betrachtete. Ich holte tief Luft und stieß sie wieder geräuschevoll aus. Dies erweckte Dreams Aufmerksamkeit, welcher den Kopf hob und mich anblickte.

"Wenn dir langweilig ist, dann nimm dir ein Buch zum Lesen.", seine Stimme war müde und er stütze erneut seinen Kopf in seine Hände. Doch ich wollte kein Buch lesen. Ich hatte es nie wirklich spannend gefunden und wenn, dann war mir nur vorgelesen geworden, da mein Vater und mein Onkel nie wollten, dass ich vielleicht Bücher laß, die nicht für mich bestimmt waren.

"Wieso hast du nicht schon die Träne der Königin von mir geklaut und mich einfach zurückgelassen?", hörte ich mich plötzlich fragen und biss mir sogleich auf die Lippen, damit ich nicht nochmal meinen Gedanken ungewollt eine Gestalt geben konnte.

Noch ein neues Kapitel???? Was???? Liegt wohl daran, dass ich lieber diese Geschichte schreibe als die Sachen zu machen, die ich machen müsste :)

~S.~

Die Träne der Königin// DNFWhere stories live. Discover now