~Kp 39~

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Zeit ist ein eigenartiges Konzept. Unvorhersehbar und wandelbar behält sie trotzdem ihren stetig ruhenden Fluss, auf den man sich selbst wenn alles andere sich zu ändern scheint, verlassen kann. Denn egal was passiert, Zeit verstreicht immer im gleichen niemals endenden Rhythmus. Nur unsere Wahrnehmung davon ändert sich und hüllt uns in eine Illusion, dass die Zeit mal schneller und mal langsamer an uns vorbeizieht. Dass ihr Fluss einmal reißend schnell ist, uns hilflos und klein wirken lässt, während wir  hart gegen Steine geschleudert werden, aber in der nächsten Sekunde schon wieder ein leicht vor sich hinplätschernder Bach sein kann, der uns mit einer einschläfernden Ruhe in sanften Wogen dahintreibt.

Dieser unbeständige Rhythmus hatte mich schon immer fasziniert und vielleicht lag es daran, dass ich zu viel Zeit mit mir alleine verbrachte, sodass ich meine Gedanken darüber wälzen konnte oder von dieser Ungewissheit einfach angezogen wurde, da sie mir wie eine willkommene Abwechslung erschien, die ich dringend benötigt hatte in den mich einsperrenden Wänden des Schlosses, weshalb ich mich immer in den Gedanken um die Zeit verloren hatte.
Aber während die Zeit im Schloss für mich eine zähflüssige Masse war, deren stetiges tropfen ich mit einer gelangweilten Mine betrachete hatte, war die Zeit hier, mit Dream, ein reißender Fluss, der mich niemals ruhen ließ.
So waren die Tage an mir vorbeigezogen, in einer unwirklichen Verschwommenheit, in der ich jede Sekunde beschäftigt war. Morgens langes Training mit Dream, danach das gemeinsame Herrichten eines Mittagessens, gefolgt von entweder dem Aufstellen von Fallen, welche wir am nächsten Tag absuchen würden, oder dem Beschaffen von Feuerholz, das schneller ausging, als ich gedacht hatte, dann würden wir noch Löcher in Kleidung oder Säcken flicken, was anfangs für mich eine Qual war, aber nun immer besser ging, bis es schließlich Abend war und wir oft unter einem Sternenhimmel miteinander redeten. Meist über belangloses, was oft in einer scherzenden Unterhaltung endete, doch manchmal waren ich oder Dream auch einfach zu erschöpft von dem Tag, sodass wir direkt schlafen gingen. Und dann den nächsten Tag wieder nach dem gleichen Schema erlebten. Es gab immer etwas zu tun.

Nur in den Stunden der späten Nacht, so wie jetzt gerade, wenn der Mond seinen silbernen Schein auf die Felsen um uns warf, wodurch sie in ihrer ganzen silbernen Pracht erschienen, hatte man nicht das Gefühl, man musste etwas erledigen.
Das Holz, auf dem meine Hände in einer stützenden Haltung ruhten, wahrte noch immer den lang vergessenen Schein und die Wärme der untergegangenen hitzeverbreitenden Sonne und gab diese sanfte schüchterne Wärme ohne Widerstand an meinen Körper ab, während ich Dreams Stimme lauschte.
"Ich denke, morgen müssen wir das Vorratslager mehr regendicht machen"
Verwundert wandte ich mich ihm zu, mein Blick auf seinen Mund gerichtet, da es das Einzige war, dass ich von seinem Gesicht sah.
"Aber das Wetter heute war doch wunderschön. Wieso sollt es morgen regnen kommen?"
"Hast du die Schwüle in den letzten Tagen bemerkt?"

Ich nickte nur und dachte an das Training heute morgen zurück, welches mir ein durch die Schwüle noch mehr durchnässten Oberteil beschafft hatte.
"Ich habe das Gefühl, dass diese Schwüle ein Vorbote ist."
"Ein Vorbote für die Sommergewitter?"
Diesmal war Dream es, der nur mit einem Nicken antwortete und sofort erinnerte ich mich, wie ich in meinem Zimmer im Schloss gesessen hatte und auf den peitschenden Regen und die dunklen bedrohlichen Wolken außerhalb geblickt hatte. Jedes Jahr zu ungefähr der gleichen Zeit brachen über Tortanien heftige Gewitter herein, welche meist über mehrere Tage dauerten und sich auf der anderen Seite der massiven Bergkette im Norden auftürmten, bis sie es jeden Sommer einmal schafften darüber zu rollen. Jedes Mal brachten die dunklen schweren Wolken eine Unmenge an Regenwasser mit sich und danach kühlte meist die Luft sehr stark ab, sodass einige die Sommergewitter als das Ende des Sommers ansahen. Ich hatte diese Stürme nie gemocht und das lag nicht nur an ihrer gewaltigen Kraft, die den Menschen wieder klar machte, dass sie nichts gegen die Natur auszusetzen hatten, sondern ich verband mit ihnen eine Erinnerung und das erdrückende Gefühl etwas für immer Verschwundenes erneut zu verlieren, doch zugleich war ich immer froh gewesen in den geschützten Mauern des Schlosses zu sein. Doch diesmal würde ich hier in der Höhle sein und ich spürte, wie Unsicherheit in mir aufkeimte. Wie heftig würden wir die Gewitter spüren?

Die Träne der Königin// DNFTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon