Zurückgekehrt

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Alea wachte viel zu früh auf. Es war noch dunkel draußen und bis auf das leise Rauschen des Meeres herrschte auf dem Schiff eine Totenstille. Sie richtete sich auf, weil sie ziemlich sicher war, dass sie nicht wieder einschlafen könnte. Alea wusste nicht, warum sie so wach war.

Auf Zehenspitzen schlich sie an Lennox vorbei, die Treppe zum Deck hoch. Niemand war im Deckshäuschen, was aber auch nicht notwendig war, da absolute Windstille herrschte.

Sie blickte auf die schwarzen Wellen. In der Nacht sah man keinerlei Farben im Wasser, nur ein leichtes Glitzern des Lichts, das vom Mond ausging.

Alea blickte stumm auf das Meer. Dann trat sie an den Rand und stieg über die Böschung. Seitdem sie wieder eine Walwanderin war, ist sie noch nicht im Ozean geschwommen. Das musste sie unbedingt nachholen.

Sofort nachdem sie ins Wasser gesprungen war, begann sich ihr Körper zu verwandeln. Ihre Knubbel zwischen Zehen, Fingern und hinter den Ohren wurden zu Kiemen, ihre Haut bekam einen grünlichen Ton und ihre Augen schalteten in den „Katzenmodus".

Sie nahm einen tiefen Atemzug und spürte, wie sich ihr Kopf leerte. Das Wasser war etwas kälter, als sie erwartet hatte, vielleicht, weil die Sonne nicht mehr schien und es Herbst wurde. Alea begann zu schwimmen, weiter auf den Meeresgrund zu. Vielleicht fand sie dort alte Bauten von Meermenschen oder eine Muschel, in der sich ein Lied oder ein Buch befand.

Als Alea den Boden erreichte, sah sie aber hauptsächlich eines: Müll. Überall lagen Plastiktüten und -flaschen herum, Aluminium, vereinzelte Strohhalme und verbrauchte Feuerzeuge. Es war nicht ganz so schlimm wie andernorts, aber trotzdem stieg in ihr eine kleine Wut auf diejenigen auf, die die Schuld an der Verschmutzung trugen.

Alea sah sich nach Anzeichen von Skorpionfischen um, aber es schien keine zu geben, sonst hätten sie das, was sie versteckten, längst vor ihr offenbart. Sie vergrößerte den Abstand zum Grund und schwamm weiter. Ab und zu begegneten ihr vereinzelte Fischschwärme, aber kein Magischer ließ sich blicken. Die Atmosphäre unter Wasser kam Alea düsterer vor als sonst, überall herrschte Geistesstille und so langsam machte sie sich wieder auf den Rückweg.

Umso mehr erschrak sie, als plötzlich eine Stimme ertönte: „Ich habe gefunden, was du gesucht hast. Ich bin eine Finde-Finja. Ich finde." Alea drehte sich abrupt um. Vor ihr schwamm die Magische, die sie mit ihren vielen Augen anschaute.

„Was?", fragte Alea verwirrt, als abermals jemand zu sprechen begann.

„Ich bin eine Nixe. Ich habe gesucht, und du hast gefunden." Damit löste sich ein Schatten aus den Tiefen und ein unverwechselbares Gesicht tauchte vor ihr auf. „Hallo Alea", sagte Cassaras.

Alea starrte den Ankömmling ein paar Augenblicke lang verdutzt an. Dann begann ihr Gehirn wieder zu arbeiten. „Sie haben es geschafft!", rief sie und strahlte über beide Ohren. Der Nixenprinz hatte nicht einmal sichtbare Verletzungen von dem Kampf zwischen Mura und ihm abgetragen, oder hatte gar keiner stattgefunden?

„Natürlich", brummte Cassaras, woraufhin Alea ihn instinktiv umarmte. Doch sie ließ schnell wieder los, da sie wusste, wie wenig ihm das gefiel. Dann fiel ihr auf, dass die Finde-Finja, mit der Cassaras zu ihr gekommen war, immer noch neben ihnen schwamm.

„Also bitte", klingelte sie mit ihrer Pieps-Stimme. „Da bin ich einen so langen Weg hergekommen und was bekomme ich zum Dank? Nichts! Das ist eine Unverfrorenheit!"

Cassaras grummelte abermals und holte seinen Leierkasten hervor, mit dem er dann ein Lied abspielte, das Alea nicht kannte, aber allem Anschein nach auch kein von Meermenschen erschaffener Song war. Derweil beobachtete sie ihn. Er sah nicht so aus, als hätte ihm der Kampf sehr zu schaffen gemacht. Und er sah auch nicht so aus, als wäre es ein Riesenerfolg gewesen, heil anzukommen und Mura zu besiegen. Alles in Allem sah er wie immer aus, stets seine nicht gerade freundliche Miene aufgesetzt.

Alea schluckte, weil ihr gerade einfiel, dass er noch gar nicht von Orions gelungener Gefangennahme wusste und auch nichts von Theas Entführung. Spätestens dann würde sich etwas in seinem Gesicht verändern – nur dass es wohl leider eher schlechter werden würde.

***

Es graute bereits ein früher Morgen, als Alea und Cassaras bei der Crucis ankamen. Alea konnte Ben im Deckshäuschen erkennen. Sie stieg die Sprossen hoch und wrang sich oben die Haare aus. Ben bemerkte sie dabei. „Wo warst du denn?"

„Konnte nicht schlafen", sagte Alea bloß, aber er hakte auch nicht weiter nach, weil er in diesem Moment Cassaras erblickte.

„Was zum Teufel", murmelte Ben. Er schaltete auf Autopilot und ging nach unten, um die anderen zu holen. Kurz darauf kam Sammy nach oben gestürzt. Sein Strahlen wurde nicht kleiner, als Cassars ihn finster anschaute.

„Heilige Flippflosse!", rief er. „Haben Sie wirklich die Mucki-Oma besiegt? Das ist ja total der Hammer!" Kurz darauf schnappte er sich auch schon das Handy aus Bens Hosentasche und begann, eifrig einen neuen Tagebucheintrag aufzunehmen. Derweil kamen auch Lennox und Tess zu ihnen. Tess hatte ihr Pokerface aufgesetzt, aus dem selbst Alea nicht genau herauslesen konnte, ob sie Angst vor Cassaras oder Freude über seine Rückkehr mit – hoffentlich – dem Silberumhang empfand. Lennox lächelte, sah aber auch besorgt aus. Wahrscheinlich war er nicht sonderlich glücklich darüber zu erfahren, dass Alea mitten in der Nacht, ohne der Alpha Cru Bescheid gesagt zu haben, einfach schwimmen ging. Aber ihr war ja nichts passiert.

„Wo ist Thea?", fragte Cassaras schließlich, als niemand weiteres nach oben kam. Auffordernd sah er sie an. „Wo ist sie?", wiederholte er.

Alea schluckte und ihre Kehle wurde trocken. „Sie wurde von Orion gefasst", murmelte sie dann mit erstickter Stimme. Sein Gesicht verwandelte sich in Entsetzen.

„Was!?"

„Aber wir konnten ihn auch entführen", fügte Lennox schnell hinzu. „Er wird uns sicher verraten, wo er sie untergebracht hat."

Darauf ging Cassaras nicht ein. „Ihr habt zugelassen, dass Orion sie festnimmt? Was bist du eigentlich für eine Schwester", stieß er an Alea gerichtet hervor. „Es musste ja so kommen! Weil Miss Elvarion immer brav versucht, alles zum Richtigen zu wenden, ohne die Folgen zu beachten!"

„Es war wichtig, dass Alea ihre Schwester trifft", warf Lennox ein und ging einen Schritt vor. „Sonst wäre sie nicht mehr zu einer Walwanderin geworden. Sie musste Thea treffen."

Cassaras wandte sich von ihnen ab. Alea konnte hören, wie er langsam einatmete. „Dann versucht halt, ihren Standpunkt aus Orion rauszuquetschen. Aber glaubt nicht, dass ihr dabei etwas erfahrt. Orion weiß, dass ihr gegen ihn nichts in der Hand habt." Dabei ballte er selbst die Hände zu Fäusten. „Seine Darkoner-Horde wird vielleicht bald da sein, und dann habt ihr wieder nichts erreicht. Verstehst du, Alea, du wirst deine Schwester nicht mehr wiedersehen." Cassaras schüttelte den Kopf. „Thea ist für immer verloren."


Mein Alea Aquarius 8Where stories live. Discover now