Unmögliches Unterfangen

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„Wir brauchen einen Plan."

Die Alpha Cru hatte sich nach dem Treffen mit Tess' Eltern an Deck versammelt und dachte angestrengt darüber nach, wie sie als nächstes vorgehen sollte.

„Einen, in dem folgende Punkte drin beinhaltet sind: Erstens", sagte Alea und hob einen Finger, „müssen wir Orions Standpunkt ausmachen. Das kann ich mithilfe einer Finde-Finja versuchen. Zweitens", Alea hob noch einen Finger, „müssen wir Lennox und Thea befreien."

„Aber Lennox ist doch jetzt an Orion gebunden", warf Sammy ein, der im Schneidersitz auf den Planken saß und konzentriert nachdachte. „Er würde uns sofort ausliefern."

„Nicht, wenn ich ihm etwas anderes befehle. Ich bin seine Herrin, nicht Orion." Alea war sich selbst nicht sicher, ob das so war. Aber was konnten sie anderes hoffen? Es war ihre einzige Chance. „Und Lennox weiß bestimmt, wo meine Schwester ist. Vielleicht hat Orion den Wandler noch nicht fertig, den sie ihr verabreichen will. Und wenn Thea schon eine Landgängerin ist, wäre das auch nicht mehr so schlimm."

„Warum?", fragte Tess überrascht.

„Weil wir Nelani haben", war Aleas Antwort. „Meine Mutter hat schon mal einen Rückverwandler kreiert und weiß sicher noch, wie sie das angestellt hat. Außerdem kann Nelani jeden Moment hier ankommen."

„Du vergisst Siska", bemerkte Ben und Alea schüttelte traurig den Kopf.

„Wenn sie noch nicht Orions Marionette ist, dann werden wir sie auch befreien. Aber das ist ziemlich unwahrscheinlich. Orion hat das Serum für den Herrenschwur schon oft gemacht, sodass es sicher nicht mehr so lange braucht. Und wenn Siska auch Teil seiner Darkonermannschaft ist, können wir sie nicht mehr retten." Alea verdrängte den Gedanken schnell und hob den dritten Finger. „Nächster Punkt: Wir-"

„Aber alles andere kann nur erfolgen, wenn Lennox wirklich dir gehorcht", beharrte Tess, der das alles zu gewagt schien. „Und wer sagt uns, dass die Darkoner wieder nicht vor Ort sein werden?"

„Niemand", gab Alea zu. „Vielleicht erwartet Orion uns auch schon, aber das wissen wir nicht. Womöglich denkt er genau das Gegenteil – dass wir uns von ihm fern halten, wenn Siska und Lennox auch noch in seinem Willen handeln? Dann gäbe es wieder einen Überraschunsmoment."

„Ich glaube nicht." Ben massierte sich seufzend die Stirn. „Orion ist sicher auf alles vorbereitet. Und er vermutet bestimmt, dass du sofort Lennox befreien willst. Schließlich liebst du ihn und er dich."
„Ja, und das wird sich nicht ändern", warf Alea ein anderes Thema auf. „Orion hatte Lennox befohlen mir zu sagen, dass er mich hasst. Er hatte auch erwähnt, dass Lennox mir in Zukunft immer mit Hass begegnen wird – aber ich glaube nicht, dass er ihn dazu zwingen kann, was er fühlen soll und was nicht."

Es herrschte einen Moment lang Schweigen und jeder von ihnen durchlebte mögliche Szenarien im Kopf, die sich bei der Rettungsaktion abspielen könnten. Während sich Alea im Elvarion-Modus befand, imitierten ihn die anderen, wie sie es mit Tess geübt hatten. Schließlich kam Tess zu dem Schluss: „Wir können Lennox und Thea da nicht rausholen. Orion weiß, dass wir seinen Standpunkt immer mit einer Finde-Finja ausmachen können. Und wahrscheinlich erwartet er, dass wir Magische zu Hilfe nehmen, also wird er ganz sicher Anti-Magikum haben, was die Chance auf magische Hilfe ausschließt. Also wären da nur noch wir vier. Und auch wenn uns Lennox Selbstverteidigung beigebracht hat, bezweifle ich, dass wir es mit ein paar Dutzend Darkoner aufnehmen könnten. Und selbst dass Lennox dir gehorcht, ist nicht in Stein gemeißelt. Falls wir es an ihm und an Orions Männern vorbei schaffen könnten, hätten wir nur die Möglichkeit Thea zu befreien. Und selbst hier sind unsere Chancen so ungefähr gleich null, weil Thea bestimmt bewacht wird und wir diesmal keine Gilfen haben, die Schlösser knacken können."

„Thea kann auch Schlösser knacken", fiel Alea ein, was sie aber auch nicht sonderlich weiterbrachte. „Cassaras hat es ihr beigebracht."

„Und wenn wir einfach ihn zu Hilfe nehmen?", schlug Sammy vor.

„Cassaras ist schon wieder in seiner Heimatstadt", sagte Alea. „Außerdem ist er zur Hälfte Nixe, deshalb trifft ihn das Anti-Magikum genauso stark."

„Aber er ist ein Mann des Schattens! Er hat es auch fertiggebracht, Thea aus Orions Villa zu befreien, da wird das ein Klacks. Niemand wird ihn bemerken!"

„Wir haben keine Ahnung, wie weit die Stadt von Hier entfernt ist. Außerdem... will ich ihn nicht unnötig in Gefahr bringen." Alea hob leicht die Schultern. „Er hat schon im Kampf gegen Mura sein Leben für mich riskiert und Orion würde ihn am liebsten für seinen Verrat büßen lassen. Es wäre zu gefährlich, ihn in die Sache mit reinzuziehen."

„Aber es geht doch um Thea!", rief Sammy. „Cassaras hat sie doch total lieb und er würde sie bestimmt befreien wollen!"
„Ich denke auch wie Alea", warf Ben ein. „Cassaras fände das Unterfangen schier unmöglich, in Orions Lager einzubrechen und Lennox und Thea zu befreien. Er weiß, mit wie vielen Darkonern er es aufnehmen müsste."

Sammy zog eine Schnute. „Aber wenn nicht Cassaras, wer könnte uns dann helfen? Allein schaffen wir das nie und nimmer!" Da hatte er auch wieder Recht.

„Nelani", fiel Alea ein. „Ich könnte sie fragen, wann sie da ist. Und außerdem kann sie kämpfen und würde uns ganz sicher helfen, Lennox und ihre Tochter zu befreien. Thea hat sie noch nie gesehen und ich weiß, wie gern sie ihr zweites Kind kennenlernen möchte!"

„Glaubst du, Nelani könnte es im Notfall mit ein paar Dutzend Darkonern aufnehmen?" Ben schien skeptisch und Alea wurde nachdenklich.

„Auf jeden Fall würde sie unsere Chancen steigern. Und falls wir wirklich in eine Notsituation geraten, dann... würde sie alles tun, um ihre Töchter und Lennox irgendwie rauszubringen."

„Sprich: Sie würde sich für uns opfern", stellte Tess klar, was Alea zu umschreiben versucht hatte.

Alea bekam ein schlechtes Gewissen. „Ich weiß es nicht. Aber es wäre ihr bestimmt wichtiger uns in Sicherheit zu wissen als selbst in Gefahr zu geraten. Und ich denke, dass wenn sie wirklich wieder von Orion gefangen gehalten würde, sie auch irgendwie wieder rauskäme."

„Du denkst gerade ziemlich weit", bemerkte Ben. „Wir wissen noch nicht einmal, wann sie überhaupt kommen kann und ob sie mitmachen würde. Wir wissen ja noch nicht einmal, wo sich Orions Versteck befindet!"

Alea stand entschlossen auf. „Und deshalb werde ich jetzt eine Finde-Finja rufen. Und eine Wanderernachricht an Nelani schicken. Wir dürfen keine Zeit verlieren, das haben wir in den letzten Tagen nämlich schon genug."

„Dann tu das", entschloss Sammy feierlich. „Wenn die Elvarion einen Plan hat, und wir noch ein bisschen daran gefeilt haben, dann ziehen wir ihn auch durch. Jawohl!"

Alea nickte, stand auf und lief zur Außenleiter. Sie stieg ein paar Sprossen hinunter, bis sie gerade so noch nicht von den Wellen erfasst wurde. Sie wollte gerade die Augen schließen, als sie plötzlich etwas aus den Augenwinkeln über die Wasseroberfläche flitzen sah. Eine Wanderernachricht! Nein, ganz viele Nachrichten! Nelani war ihr also schon zuvorgekommen.

Alea wartete ein wenig, bis eine Botschaft sie erreicht hatte. Sie schienen ziemlich unkoordiniert und bemerkten auch nicht sofort Alea, was sie ein bisschen wunderte. „Hier bin ich!", rief sie, obwohl das Schiff gar nicht getarnt war.

Eine Nachricht hielt kurz inne und machte sich dann auf den Weg zu ihr. Sie flackerte ein wenig. Hieß das, dass sie bald erlöschen würde? Wanderernachrichten hielten ungefähr zwei Wochen lang durch, das wusste Alea, aber warum war diese so seltsam? „Du, ähm, kannst dich jetzt öffnen", sagte sie verwirrt, als das Oval einfach vor ihr stehenblieb. Es harrte einen Moment lang aus, dann erkannte Alea ein Gesicht in ihr.

Sie beugte sich etwas vor, weil es ziemlich verschwommen war. Dann erkannte sie ihn.

Ein Junge. Klargrüne Augen.

Alea stockte der Atem.

„Mio!", stieß sie hervor.


Mein Alea Aquarius 8Where stories live. Discover now