Schwindende Magie

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Schon auf den ersten Blick sah man, dass die Montagoris II viel moderner war als die Crucis. Die drei Kajüten waren so geräumig, dass in jeder zwei Kojen standen, mit Schrank, Nachttisch und Teppich, die Küche beinhaltete tatsächlich eine Geschirrspülmaschine, eine Ablage, einen Herd und Ofen, dazu noch ein blitzendes Waschbecken, das aussah, als wäre es gerade erst poliert worden. Im Kühlschrank waren allerlei Fressalien gelagert und auch die Wandschränke waren voller Lebensmittel. Alea staunte immer mehr, aber ihre Sorgen, dass das Schiff gesucht werden würde, wuchsen dafür stetig.

„Keine Sorge, dafür haben wir ja unsere Kriegerrübe in voller Skorpionfisch-Monitur", wiegelte Sammy aber ab, als sie ihre Bedenken äußerte. „Außerdem sollen es die Meerkinder ja auch schick haben, findest du nicht auch? Die wollen sich uns doch nie anschließen, wenn sie auf einem alten klapprigen Kahn wohnen müssen."

„Wir brauchen sie nur noch dazu bringen, sich uns anzuschließen", sagte Alea. „Vielleicht sollten wir bald noch eine Videokonferenz abhalten?"

„Dann kannst du Thea vorstellen!" Sammy grinste sie an und präsentierte ihr die flauschigen Sofas im Wohnbereich. „Jetzt, wo sie schon da ist... Oh, und hier ist noch leer, da wissen wir nicht, was rein soll." Er zeigte ihr das kleine Zimmer, das durch eine Tür mit dem Wohnzimmer verbunden war.

„Vielleicht kann Nelani dort ihr Labor einrichten", schlug Alea vor und Sammy nickte.

„Das sollte sie machen. Mit deinem Blut kann sie das Gegenmittel schon in wenigen Tagen fertig haben! Orion hat ja auch nicht so lange dafür gebraucht..."

„Aber er hatte eine viel modernere Einrichtung."

„Dafür ist Nelani genial. Sie schafft das locker bis übermorgen. Morgen müssen wir noch das ganze Zeugs holen, das sie braucht. Die Sachen, die sie mit Scorpio gekauft hatte, sind noch auf Island, ein bisschen ungeschickt, aber na ja. Hier in Spanien wollen wir jedenfalls nicht einkaufen, vielleicht wird die Montagoris schon gesucht."

„Dann sollte Lennox schnell die Skorpionfische rufen!", rief Alea. Sie waren noch nicht weit von der spanischen Küste entfernt und konnten jeden Moment entdeckt werden. Sie eilte nach oben und sah, dass Lennox bereits seinen Spruch aufs offene Meer hinausrief; „Kommt und tarnt, verschleiert das, was kein Auge sehen darf!"

Das wiederholte er an allen Seiten des Schiffes und kurz darauf erschienen schon viele Skorpionfische und warteten darauf, dass Lennox sie dirigierte. Als er Alea sah, meinte er: „Wir müssen die Crucis und die Montagoris mit einem Tau verbinden, damit wir uns immer sehen können. Außerdem sollte immer jemand der Cru hier sein, um das Schiff zu lenken."

Irgendwie hatte sich Alea gewünscht, dass er etwas anderes gesagt hätte. Sie nickte, aber ihr Blick sprach anscheinend Bände. „Alea." Lennox kam zu ihr und legte ihre Hände in seine. „Ich... muss dir etwas sagen."

Alea runzelte verwundert die Stirn. „Okay?"

„Es war bei Orions Lager." Lennox' Stimme klang überaus ernst. „Am Anfang war es nur ein dummer Gedanke, aber... ich glaube, ich weiß jetzt, was Orion-"

Im selben Augenblick ertönte Bens Stimme von der Crucis. „Alea, komm schnell rüber!", rief er. „Du musst hören, was die im Radio erzählen. Jetzt."

„Wir sind schon da!", antwortete Lennox, den Ben mal wieder übersehen hatte. Aber der nickte bloß und verschwand unter Deck.

„Später, okay?" Lennox lächelte Alea kurz zu und sprang auf die Crucis. Alea stand der Mund offen. Das waren mindestens fünf Meter gewesen! Aber der Herrenschwur verlieh ihm ja unscheinbare Kräfte.

Alea zog sich kurz ihre Seidenjacke aus und sprang von Bord, um zum Schiff zu schwimmen. Sie hastete pitschnass die Treppen runter in den Salon, wo sich Ben, Lennox, Tess und Nelani versammelt hatten und stumm dem Radiosprecher zuhörten. „Es wird noch geforscht, was es mit den Ruinen auf sich haben könnte", berichtete dieser, „aber wir stehen vor einem Rätsel. Wer könnte die Bauten errichtet haben? Warum erscheinen urplötzlich Städte auf dem Meeresgrund, die eindeutig von Menschen stammen?"

Alea hörte den Rest nicht mehr. Ruinen unter Wasser – das mussten die verlassenen Meermenschensiedlungen sein. Aber jedes Merkmal, das auf eine alte Zivilisation hinwies, welche am Grund der Ozeane gelebt hatte, war von Skorpionfischen getarnt. Oder nicht? Diese Magischen hatten jahrzehntelang die Meerwelt vor den Landgängern verborgen. Warum hatten sie jetzt... ihren Job aufgegeben?

„Aber warum tarnen die Skorpionfische die Meermenschenstädte nicht mehr?", fragte Lennox kopfschüttelnd. „Vorhin bei mir sind die ja gekommen."

„Ihr habt den Anfang nicht gehört", widersprach Ben und schaltete das Radio aus. „Dort sagte der Moderator, dass unzählige Fische an den Bauten festklebten und erst wegschwammen, als die Taucher schon ganz nahe dran waren."

Lennox runzelte die Stirn und lief an Deck. Alea folgte ihm und als sie oben waren, sah sie die Montagoris. Und an ihr hafteten lauter Skorpionfische und glupschten sie an. „Das ist doch nicht möglich", flüsterte Lennox schockiert. Dann rief er ihnen nochmals zu: „Verschleiert das, was kein Auge sehen darf!"

Nichts regte sich. Sie glotzten Lennox nur weiter an, der sich inzwischen die Haare raufte und verzweifelt seinen Spruch wiederholte.

Da regte sich etwas in Aleas Kopf. Ein absurder Gedanke, den sie sofort testen musste. „Warte kurz hier", bat sie Lennox und sprang - eh schon pitschnass - ins Meer. Sie wartete ihre Verwandlung gar nicht erst ab, sondern rief sofort: „Finde-Finja, komm herbei, hilf mir schnell mit Zauberei!"

Es dauerte ungefähr zwei Minuten, bis eine mattbraune Magische bei ihr war.

„Ich bin gekommen", säuselte die Finja und schaute Alea erwartungsvoll aus ihren unzähligen Augen an.

„Vielen Dank. Ich bin Alea Aquarius, wie heißt du?"

„Oh, dass ich mal Bekanntschaft mit der Elvarion machen darf, hätte ich nicht erwartet!", erwiderte sie. „Mein Name ist Finni Halyavintini. Du kannst mich aber auch Finni nennen."

„Alles klar, ich suche eine Buchmuschel, in der ich etwas über Tasfaren lesen kann. Könntest du mir so eine finden?"

„Ein schön schwieriger Auftrag", klingelte die Magische. „In meinem Alter bevorzuge ich aber eher leichtere Sachen. Einen solchen Gegenstand kann ich dir leider nicht finden."

„Oh, okay." Alea war es eh egal, was die Finja suchen sollte, darum bat sie einfach um ein Rotfarnfeld. Kurz darauf begab sie sich in die Übermittlungsstarre, mit der sie über das Aquarische Netz mit ihren Schwestern Informationen austauschte.

Alea wartete. Es verging längere Zeit als sonst, mindestens vier Minuten, die die Magische einfach nur bewegungslos daschwebte. Dann öffneten sich wieder alle ihre Augen. „Leider konnte ich keine Verbindung aufnehmen", erklärte sie. „Aber ich kenne ein Feld hier ganz in der Nähe."
„Nein, schon in Ordnung", sagte Alea schnell, bevor die Finja losdüsen konnte. „Danke, dass du es wenigstens versucht hast." Aber in Gedanken war sie ganz woanders. Die Wandererbotschaften, die nicht mehr ankamen, die Skorpionfische, die ihre Tarnfähigkeit verloren hatten, die Finja, die sich nicht mehr mit ihren Schwestern verbinden konnte – all das wies darauf hin, dass etwas geschehen war, was die Magie im Ozean vernichtet hatte. Eine Art Virus, der ausgesetzt wurde, um sämtliches Magische in den Meeren auszurotten...


Mein Alea Aquarius 8Where stories live. Discover now