Unser aller Retter

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Alea ging unter Deck. Kurz darauf hörte sie Tess', Bens und Sammys Stimmen, die wohl über irgendetwas diskutierten.

„Ich kann doch jetzt nicht einfach nach Hause gehen!", rief Tess aufgewühlt und als Alea den Saloon betrat, sah sie, dass Tess ihr Handy in der Hand hielt und wohl daran war, ihre Eltern anzurufen. „Ich würde mich sonst auf dem Silbertablett servieren und alle im Haus gefährden!"

„Was schlägst du dann vor, zu machen?", entgegnete Ben, sein Tonfall klang aber so, als wäre er ganz auf ihrer Seite.

„Ich... weiß es nicht. Ich kann meinen Eltern ja nicht einfach die Wahrheit erzählen, oder?"

„Sag doch einfach", schlug Sammy vor, „dass du gerade ein großes und gefährliches Abenteuer erlebst, in das du sie nicht mit reinziehen willst, weil sie dann auch in Gefahr geraten." Das entsprach so in etwa dem, was er Niki erzählt hatte.

„Wenn sie das wüssten, dann würden sie mich ganz bestimmt nach Hause holen. Mein Vater ist ja bei Europol, er würde sicher denken, es mit jeder Gefahr aufnehmen zu können."

„Vielleicht kann er es ja auch! Tessi, wenn dein Vater seine Polizei-Truppe zusammenrauft, dann kann er Orion bestimmt besiegen!" Sammy strahlte sie an, allerdings blieben seine Augen unbewegt. Alea wusste, wie viel es ihm bedeutete, Tess an Bord zu haben, auch wenn sie immer vorgab, ihn nervig und albern zu finden, und ihm bei jeder passenden Situation eine Kopfnuss verpasste. Und sie hatten schon einmal durchgekaut, dass Tess ihre Eltern aus der Orion-Sache raushalten wollte.

„Orion ist durch Lennox viel stärker geworden", murmelte Tess. „Er ist ein Oblivion, ein unsichtbarer Krieger, der sie im Nu vergessen ließe, warum sie gekommen waren. Keine Polizei auf der Welt könnte es jetzt noch mit ihm aufnehmen!"

„Ruf sie an", klinkte sich nun Alea ein, „und erzähle ihnen die ganze Wahrheit. Deine Eltern werden es schon verstehen, warum du hier bleiben musst." Und mit Nachdruck sagte sie: „Wir brauchen dich hier, Tess Taurus. Du bist der Stier, der mit gesenkten Hörnern auf Orion losgeht."

„Und wir brauchen dich für den Abwasch!", rief Sammy und schleuderte seine Arme nach oben. „Und für die Wäsche! Und fürs Kochen! Ohne unsere Piratenrockrampensauprinzessin würde hier alles zum Teufel gehen! Also sag deinen Eltern, dass sie keine Ahnung haben und dir einfach mal in deiner Entscheidung vertrauen sollen."

Tess sah aus, als würde sie es so auf keinen Fall formulieren, aber wählte trotzdem die Nummer ihrer Mutter. „Hals- und Beinbruch", sagte sie leise und verschwand in der Mädchenkajüte.

Das Gespräch dauerte lange. Eine gefühlte Ewigkeit, in der Alea bestimmt ein dutzend Mal ihre Sitzposition auf dem Sofa änderte. Sammy schaute konzentriert die Tür an, hinter der Tess versuchte, ihre Mutter zu überzeugen, und hatte nur erklärt, dass er mithilfe von Ausstrahlungen positive Energien verbreitete, die ihr dabei helfen sollten.

Dann ging die Tür auf.

Als Tess wieder raus kam, war ihr Gesicht bloß eine versteinerte Miene. Ihr Handy hielt sie in ihrer verkrampften Hand und als niemand etwas sagte, lief sie zum Esstisch und nahm sich einen Apfel, in den sie krachend hinein biss.

„Sie wollen mich treffen", offenbarte sie schließlich. „Noch heute. Sie werden mit dem Auto nach Narbonne fahren."

„Und dich abholen?", fragte Sammy und alles an ihm flehte stumm, es möge nicht so sein.

„Das haben sie nicht gesagt. ‚Mit mir reden. Alles besprechen und dann weitersehen.'" Tess brachte es nicht einmal fertig, mit den Augen zu rollen.

Schließlich fragte Ben, was Alea und Sammy zwar nicht ausgesprochen, aber beide gedacht hatten: „Was hast du deinen Eltern erzählt?"

Tess holte tief Luft und schaute den anderen Cru-Mitgliedern bewusst nicht ins Gesicht. „Ich habe versucht, ihnen möglichst schonend einzutrichtern, dass wir verfolgt werden und dass Maman und Papa in Gefahr geraten, wenn ich zu ihnen nach Hause komme. ‚Sie sollen mir dieses Mal einfach vertrauen und könnten mir wie Draco Schulaufgaben schicken.'"

„Also hast du ihnen von der Meerwelt nichts erzählt?", hakte Alea nach und Tess schüttelte den Kopf.

„Ich möchte sie da nicht mit reinziehen. Mein Vater sagte allerdings, dass er es mit jedem meiner Verfolger aufnehmen könnte, da er ja Polizist ist. Allerdings weiß er nicht, um wen es sich handelt."

Das konnte er wahrscheinlich wirklich nicht. Und durch Lennox war Orion mit seinen Oblivion-Gaben noch viel stärker geworden als zuvor. Nichts konnte den Doktor noch aufhalten. Vermutlich sogar nicht einmal die Magischen, für die er auch einen Virus entwickeln wollte, der jeden Moment fertig sein konnte.

„Wann wollen sie dich genau treffen?", wollte Ben nach einer Weile wissen.

„In vier Stunden."

„Und was willst du ihnen sagen?"

Sammy kam Tess zurov: „Ich werde einfach meinen unwiderstehlichen Charme spielen lassen und schon liegen deine Eltern mir zu Füßen und erfüllen alle meine Wünsche!" Als allgemeines Seufzen erklang, fügte er hinzu: „Außerdem kennen sie Schneewittchen und Scorpio noch nicht. Wenn Lennox ihnen ein paar Selbstverteidigungsmoves zeigt, wissen sie ganz sicher, dass ihre Tessilein in besten Händen ist!" Da fiel Sammy ein, dass Lennox gar nicht da war und er schlug sich schnell die Hand auf den Mund.

„Einen Moment mal", sagte Ben plötzlich. „Wir reden gerade die ganze Zeit von deinen beiden Eltern. Ich dachte, sie wären getrennt?"

Tess lächelte schwach. „Ihre verschwundene Tochter scheint sie irgendwie wieder zusammen zu schweißen."

„Das ist ja fantastisch!", rief Sammy begeistert und fing augenblicklich an, auf seine ureigene Art zu tanzen, indem er wild mit den Armen herumfuchtelte, als wollte er eine Wespe vertreiben. Auch Alea freute sich. Endlich eine gute Nachricht! Und dass Tess wieder nach Hause musste, war auch nicht in Stein gemeißelt.

„Allerdings sind sie noch nicht wirklich zusammen", schwächte diese ab.

„Das wird schon", sagte Sammy optimistisch. „Deine Eltern brauchen nur ein bisschen Zeit und schon sind sie wieder ein Herz und eine Seele." Wie aufs Stichwort erklang von draußen ein ziegenartiges Grölen und Fussel Fuhrmann robbte ins Zimmer. Sammy gluckste erfreut und herzte sie sofort ausgiebig.

„Hast du sie vorhin schon aufs Schiff geholt?", fragte Ben, da er wusste, dass die Robbe nicht allein an Bord kommen konnte.

„Klar", erwiderte sein kleiner Bruder und drückte einen dicken Schmatzer auf Fussels Nase. „Ich muss sie hier unbedingt an Bord haben, weil ich sonst auch zu einem düsteren Grübelkopf mutiere." Alea musste schmunzeln, weil sie die Alpha Cru auf der Flucht vor Orion auch mal so genannt hatte. „Und das kann ich mir gerade einfach nicht und auf keinen Fall erlauben. Sonst bin ich geliefert. Sonst sind wir alle geliefert! Aber seid ganz unbesorgt – eure Retter Samuel Draco und Fussel Fuhrmann sind stets zur Stelle!"

Sammy stand auf und verbeugte sich tief vor Tess. „Wenn die Mademoiselle erlaubt, würde ich sie jetzt auf eine oftmals Oscar ausgezeichnete Tour der Verdrängung negativer Gedanken und Gefühle entführen. Darf ich bitten?"


Mein Alea Aquarius 8Where stories live. Discover now