Das Duell

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Auf dem Versammlungsplatz herrschte aufgeregtes Treiben. Unzähligen Nixen schwammen unruhig im Wasser und eine von ihnen verkündigte die Regeln: „Bei einem Duell darf es keine Hilfe geben, nicht von anderen Nixen, noch von Warkanen oder anderen Magischen. Jede Waffe darf benutzt werden, wobei die verbreitetste der Nixenbogen ist. Es wird bis zum Tod gekämpft."
Cassaras, der Mura mehrere Meter entfernt gegenüber war, versuchte eine möglichst undurchdringliche Miene aufzusetzen. Er musste das Duell gewinnen, um jeden Preis. Er musste Alea den Silberumhang ausliefern, und dann würde er weitersehen. Aber nun musste er sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Schließlich hing die Zukunft der Meerwelt von seinem Sieg ab. Dem Prinz missfiel dieses Gefühl ganz und gar.

„Mach dich auf deinen Tod gefasst", knurrte Mura, die bereits einen Pfeil gespannt hatte. Und dann kam das Startsignal. Cassaras sprang augenblicklich zur Seite, um dem Pfeil, den sie sofort abgeschossen hatte, auszuweichen. Dann spannte er selbst einen und zielte auf sie. Doch Mura hatte bereits einen weiteren abgefeuert, sodass er wieder in Deckung gehen musste.. „Du bist langsam geworden", rief seine Gegnerin ihm hämisch zu. „Ich hatte erwartet, dass es schwieriger sein würde." Doch auch sie musste sich ducken, damit der Dreizackpfeil von Cassaras sie nicht traf. Er sagte nichts, da er wusste, dass dies seine Konzentration gefährden würde, stattdessen feuerte er unnachgiebig weitere Geschosse auf sie ab. Mura konnte ihnen alle jedoch mühelos ausweichen, es schien ihr sogar Spaß zu machen zuzusehen, wie seine Munition immer weniger wurde. „Und dumm bist du auch noch", sagt sie, die noch fast den ganzen Köcher voll hatte. Cassaras wusste, dass er so nicht weitermachen konnte. Mura war mit ihrem Fischschwanz viel zu schnell für ihn, aber was konnte er dagegen tun? Fieberhaft dachte er nach. Cassaras hatte nur noch zwei Pfeile, und dass er mit denen Mura treffen würde, war äußerst unwahrscheinlich.

Mura hatte seine Lage auch schon erfasst und begann nun ihrerseits Pfeile abzufeuern. Cassaras wich ihnen so gut es ging aus, aber mit seinen verfluchten Landgängerbeinen war er längst nicht so schnell und wendig wie sie. Früher oder später würde er also unvermeidbar getroffen werden und langsam kam er aus der Puste, was seine Geschwindigkeit deutlich reduzierte. Er musste sich also etwas einfallen lassen. Und im nächsten Moment verlor er sein Gleichgewicht. Cassaras fiel unkontrolliert zurück, und bevor er sich aufrappeln konnte, war Mura blitzschnell zu ihm gekommen und richtete ihren Pfeil auf seine Kehle, sodass er sie berührte.

Auf ihrem faltigen Gesicht bildete sich ein feines Lächeln. „Du bist wirklich erbärmlich, Cassaras", spiel sie aus. „So eine Beleidigung wie du verdient es nicht einmal, den Thron auch nur anzufassen, geschweige denn den Silberumhang zu besitzen."

Der Prinz biss die Zähne zusammen und funkelte sie wütend an. Seine Hand schloss sich um etwas rundes. „Wie willst du Königin werden, wenn dein Volk dich hasst?"

Mura machte sich nicht mal mehr die Mühe, ihren Mord an seiner Mutter und vieler anderer Nixen zu verleugnen. „Oh, mir wird schon etwas einfallen", sagte sie. „Was, das wirst du leider nicht mehr erfahren." Das war der Moment, in dem Cassaras seine Hand aus der Bauchtasche zog. Er hielt die Sengbohne im Bruchteil einer Millisekunde an ihren Bogen, der im nächsten Augenblick nach einem grünen Aufblitzen zu Staub zerfiel.

Sehr zu Muras Entsetzen. „Was hast du getan?", kreischte sie und wich von ihm weg. „Das ist gegen die Regeln!"

Cassaras richtete ich seelenruhig auf und wischte sich den festsetzenden Staub von seinem Mantel. „Es hieß, jede Waffe sei erlaubt", sagte er schulterzuckend, obwohl in ihm gerade ein Sturm wütete. Er war nicht gestorben. Er lebte noch. Er hatte Mura entwaffnet, sodass sie nun eindeutig im Nachteil war.

Eine der Nixen nickte, als wäre das erlaubt gewesen. Cassaras wandte sich wieder Mura zu. „Du hast verloren."

„Nicht, solange ich noch lebe", erwiderte sie. Worauf eine andere Nixe zustimmend nickte.

„Das zieht es nur unnötig in die Länge", sagte Cassaras, in dem sich alles dagegen sträubte, jemanden umzubringen.

Mura war auch unsicher geworden. „Vielleicht, aber so sind die Regeln."

„Nicht, dass du sonderlich viel Wert auf sie legst."

„Das tut nichts zur Sache!", fauchte sie ihn an, doch ihre Augen wurden rot. Nixen waren welche von wenigen Magischen, die weinen konnten.

„Gib auf und du kannst weiterleben." Cassaras wusste, dass Mura nie etwas Gutes im Schilde gehabt hatte. Er war ihr Hauptopfer in seiner Kindheit gewesen und sie hatte seine Mutter getötet. Doch er konnte sie nicht umbringen, sosehr er sie auch hasste. Er war vielleicht vieles, aber gewiss kein Mörder. Sonst wäre er auch nicht viel besser als Orion oder Mura, die nun hysterisch zu schluchzen begann.

„Na gut!", presste sie zwischen ihren Zähnen hervor. „Ich gebe auf!"

„Das geht nicht", protestierte eine der Nixen. „Es wird bis auf den Tod gekämpft!"

„Aufgeben kann man aber auch – man hat dann halt verloren", entgegnete eine andere.

„Das steht so aber nicht im Kodex!"

„ICH bestimme hier die Regeln!", rief Mura, was die beiden zum Schweigen brachte. „Ich bin die Königin und ich darf meine Gesetze verändern, wie ich will!"

„Ab jetzt warst du Königin", widersprach Cassaras. „Du wirst mir den Silberumhang aushändigen und darfst dafür weiterleben."

„Und wer ist nun der neue König?", fragte jemand. „Wir brauchen einen Anführer!" Zustimmendes Gemurmel folgte. Cassaras bemerkte, wie einige Blicke auf ihm ruhten. Er war Harukos Nachkomme, deshalb stand dieser Titel ihm zu.

„Ich werde gleich wieder fortmüssen", sagt der Prinz, „darum bin ich einige Tage nicht da. Bis ich zurück bin, wird Tomoko Königin sein. Dann sehen wir weiter."

***

Cassaras sah keinen Grund, noch länger in der Nixenhauptstadt Gat'Nambeessa zu bleiben. Er holte sich den Silberumhang und packte ihn, ohne viele Blicke dafür zu verschwenden, in seinen Bauchgürtel. Vielleicht waren Thea, Alea und Lennox schon bei den anderen Kindern. Er fragte sich, ob Thea gerade bei ihrer Schwester glücklich war – möglicherweise sogar glücklicher als zuvor jemals in ihrem Leben. Cassaras lächelte, weil Thea das auf jeden Fall verdiente. Und er machte sich Sorgen, dass sie nicht gut genug beschützt wurde. Immerhin stand sie in Orions Schussweite!

Während der Prinz die Stadt verließ, kamen ein paar Nixen, unter anderem Tomoko zu ihm, um sich zu verabschieden. Cassaras wusste nicht, was seine Mutter zu seiner Entscheidung gesagt hätte, Mura zu verschonen. Er war sich sicher, dass sie alles mitbekommen hatte.

Sein Gefühl sagte ihm, dass Haruko irgendwo dort oben war und mit einem warmen Lächeln zu ihm hinunterblickte. Er erwiderte es.

Mein Alea Aquarius 8Where stories live. Discover now