Kapitel 12

2.6K 225 1
                                    

Hätte ich das Kleid nicht zur Beerdigung angezogen, hätte ich mich hübsch gefunden. Ich hatte mich ein wenig geschminkt, Wimperntusche und so, aber ich schminkte mich so wie so sehr selten. Ich seufzte und wandte mich vom Spiegel ab. Dann befestigte ich noch eine Klammer in meine welligen Haare. Dafür, dass ich mir gestern die Haare gewaschen hatte und tausend Zöpfchen gemacht hatte, blieb der Effekt leider weg. Vielleicht sollte ich das nächste Mal doch mit Hitze arbeiten.
Es klingelte an der Tür.
Ich polterte die Treppen runter und öffnete.
,,Hallo Reece.",sagte mein Onkel.
,,Hallo.",sagte ich.
,,Du solltest doch fertig sein, wenn ich dich abhole!",sagte er scharf. Dann trat er ins Haus und ging an mir vorbei.
,,Was? Ich bin doch fertig.",antwortete ich.
Fand er etwas nicht gut an mir, waren meine Haare zerzaust? Ich wusste es nicht.
,,Reece, Du wirst auffallen. An Beerdigungen fällt das immer auf.",sagte er Kopfschüttelnd.
,,Ja aber was denn?!"
Es machte mich echt wütend.
,,Die Kontaktlinsen.",sagte er ruhig. Oh bitte alles außer die Kontaktlinsen. Sie gehörten wahrscheinlich zu den wenigen Sachen, vor denen ich Angst hatte.
,,Die spührt man nicht, wirklich. Ich hab sie doch auch an."
Ich schaute in seine Augen. Wäre mir das früher aufgefallen, hätte ich wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch bekommen.
,,Dann mach du das.",sagte ich und reichte ihm die Kontaktlinsen.
,,Reece, ich bin kein Augenarzt.",sagte er.
,,Muss ich?",fragte ich. Ich hasste diese Dinger.
,,Wenn du nicht von der NC irgendwo hin verfrachtet werden möchtest, dann schon.",sagte er leicht schmunzelnd. Ich seufzte, nahm die Kontaktlinsen aus seiner Hand und ging ins Gästebad. Mein Vater hatte auch Kontaktlinsen gehabt, aber ich fand es schrecklich, sein eigenes Auge anzufassen. Aber jetzt musste ich stark sein. Ich nahm die Linsen aus der Flüssigkeit und legte sie vorsichtig auf mein Auge. Es war gar nicht so schlimm, wie ich es erwartet hatte, aber es war trotzdem unangenehm. Ich schaute mich in dem Spiegel an. Wow, das sah total komisch aus, aber irgendwie gefiel es mir. Schnell legte ich die andere Kontaktlinse auf mein Auge und ging stolz aus dem Badezimmer.
,,Komm Reece. Wir müssen uns beeilen.",sagte mein Onkel ruhig und ging aus dem Haus. Ich folgte ihm und schlug die Tür hinter mir zu.
Während der Fahrt sagten wir nicht viel. Bei mir lag es größtenteils daran, dass ich es merkwürdig war, dass wir graue Augen hatten.
,,Reece ich bin der Großcousin deiner Mutter und du bist meine Tochter vom Land, aus West Stellone, einverstanden?",erklärte mein Onkel und stieg aus. Er öffnete mir die Tür.
,,Ja... aber wieso?"
Wieso sollte ich jemanden anderen spielen? Ich kam mir vor, wie ein Verbrecher.
,,Das liegt daran, dass wir sicher nicht viele Matics an deine Eltern nach ihren Tod hätten, und so keinen Kurzschluss bekommen hatten."

Ich nickte. Ich wäre nie im Leben auf so eine Idee gekommen, ich hätte sogar die Kontaktlinsen vergessen. Ich war wirklich strohdumm.
Mein Onkel schloss den Wagen ab und wir gingen langsam in die Kirche.
Ich musste mir in den Arm kneifen um nicht zu heulen. Wo das erst der Anfang war.

Wir kamen an der Kirche an und setzten uns in die erste Reihe. Hinter uns waren noch ungefähr drei bis fünf Personen, die ich noch nie gesehen hatte.
,,Wo sind die Anderen?",flüsterte ich.
,,Sind wir zu früh?" Ich wusste nicht warum ich flüsterte, wahrscheinlich weil es hier so still war.
,,Welche Anderen?"
,,Na der Rest meiner Familie. Meine Oma, meine Cousine und so."
Mein Onkel antwortete nicht. Und je mehr ich darüber nachdachte, fiel mir etwas schreckliches auf.
,,Sie sind doch nicht etwa an-"
,,Doch, Reece.",flüsterte er und schaute mich traurig an.
Nein. Ich konnte das nicht glauben, doch es ergab Sinn.
,,Nein!" Ich stand auf.
Es war unerwartet laut. Eigentlich wollte ich es nur flüstern.
,,Verflucht, Reece.",zischte mein mein Onkel und zog mich an meinem Arm her runter.
Ich fühlte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten.
Dann kullerten sie meine Wangen hinunter. Jede, die ich mit meinem Handrücken wegwischte wurde durch eine neue ersetzt. Mein Onkel schaute mich an, ohne zu wissen, was er machen sollte. ,,Reece"
Ich schaute auf.
,,Weinen zeigt Schwäche."
Seine warme Stimme hallte in meinem Kopf wieder. Weinen zeigt Schwäche. Weinen zeigt Schwäche.
Dann schaute ich ihn wieder an. Meine Tränen hatten sich verzogen, da ich über seine Worte überrascht war. Er schmunzelte leicht.
,,Es leben noch viele, die meisten konnten nicht kommen.",versuchte er mich zu trösten.
Der Priester kam her rein. Erst jetzt fielen mir die kahlen Steinwände der Kirche auf. Vorne standen auf einem länglichen Tisch zwei Gefäße, in denen die Asche meiner Eltern war. Der eine schimmerte Rot, der andere war schwarz und hatte einen goldenen Ring unterhalb des Deckels. Vor dem Roten, ein bisschen Seitlich war ein Bild meiner Mutter, als sie ungefähr 25 war. Sie lächelte zufrieden und hatte ihre dunkelblonden Haare über die Schultern gelegt. Vor dem schwarzen Gefäß war ein Bild meines Vater, sein dunkelbraunen Haare, die gerade etwas kürzer geschnitten waren, aber trotzdem wie immer in alle Himmelsrichtungen abstanden. Er trug mal wieder Kontaktlinsen und lächelte leicht mit einem müden Blick. Überall auf dem Tisch waren weiße Rosen verteilt. Nachdem der Priester viel gesagt hatte trugen ein Paar Leute die Asche meiner Eltern weg und wir gingen dort hin, wo irgendwann ein Grabstein meiner Eltern stehen würde.
Sie wurden direkt nebeneinander, aber nicht zusammen begraben.
Ich umarmte meinen Onkel und vergrub mein Gesicht in seinem Anzug, damit ich nicht länger hinschauen musste.

CODE - Ungewisse Zukunft Where stories live. Discover now