║Sieben Tage danach║

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Ich kann nicht schlafen. Nicht, dass das etwas Neues wäre. Doch heute Nacht ist es besonders übel. Ich schließe die Augen und fühle mich, als würde ich in ein tiefes schwarzes Loch fallen. Ein Loch, aus dem es kein Entkommen gibt. Nur eine Richtung. Immer tiefer. Immer enger. Ich bekomme keine Luft mehr und schrecke verzweifelt nach Atem ringend auf. Verdammte Klaustrophobie.

Verdammte Schuldgefühle.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. An Schlaf ist nicht zu denken. Übermüdet setzte ich mich auf und streife mir wahllos irgendwelche Klamotten über.

Der Kaffee wirkt nicht. Ich werde kein bisschen wacher. Ich sehe scheußlich aus. Wie ein vor sich hin vegetierender Zombie.

Draußen ist es kalt. Fröstelnd schlinge ich meinen Mantel enger um meinen Körper. Mein Atem bildet kleine weiße Wölkchen. Es ist zwei Uhr morgens, schweinekalt, und das Aufregendste ist eine Straßenlaterne, die träge vor sich hin flackert.

Es tut gut.

Ich habe kein Ziel. Und doch bin ich nicht wirklich überrascht, als ich mich an dem Ort wiederfinde, an dem das alles begann.

Sieben Tage später. Eine Woche. Und ich erinnere mich, als wär es gerade gewesen. Ich will nicht. Will, dass es aufhört, doch ich kann nicht. Ich bin nicht gut genug. Die Schuld lastet auf mir. Drückt mich nieder. Ich bin nicht stark genug. Ich schaffe das nicht.

Es tut weh.

Verdammt weh. Und gleichzeitig ist es der einzige Ort, an dem ich es momentan aushalte. Verdammter Masochismus.

Ich bin wieder zurück an dem Tag, an dem alles begann. Es begann gerade zu dämmern. Ein typischer, kalter Wintermorgen. Frostig und ungemütlich. Ich schlug meinen Mantelkragen hoch. Den Blick starr nach vorne. Ich war auf dem Weg zur Uni. Die Tasche unter meinen Arm geklemmt. Mein Handy in der Hand um zu checken, was für den Tag anstand. Ich war abgelenkt und in Eile.

Ich merke erst, dass ich auf dem Boden sitze, als die Kälte bis in meinen Nacken zieht. Ich erhebe mich steif und umständlich. Ein einsames Auto kommt angerollt. Die grellen Scheinwerfer strahlen auf den grauen Asphalt. Ohne es zu wollen suche ich nach Spuren. Anzeichen, dafür, dass das alles hier real ist. Ich finde nicht die kleinste Scherbe. Der Aufräumdienst hat penibel alle Spuren beseitigt. Alle sichtbaren Spuren.

Ich schaue auf mein Handy. Drei Uhr dreißig. Ich bin seit eineinhalb Stunden in dieser Eiseskälte. Das ist definitiv nicht gesund. Mit dem Daumen fahre ich über den Riss in meinem Bildschirm. Vorsichtig, um mich nicht zu schneiden. Eine Spur, die geblieben ist.

Ich verschlafe. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viel Schlaf ich letzte Nacht bekommen habe. Mein Zimmer ist taghell erleuchtet, als ich endlich aufwache. Ich liege angezogen auf meinem Bett, die Decke zusammengeknüllt auf dem Boden. Blinzelnd taste ich nach meinem Handy. 11:58 Uhr. Neun neue Nachrichten von Max. Ich habe keinen Nerv sie zu lesen und schalte mein Handy wieder aus. Es ist viel zu spät für die
Uni. Ich hätte eigentlich von acht bis elf Vorlesungen gehabt, doch in meinem Zustand ist es sowieso einerlei, ob ich nun hingegangen wäre oder nicht. Ich hätte kein einziges Wort behalten können. Mühsam stemme ich mich aus meinem Bett. Mein Magen knurrt und mein Körper könnte dringend eine Dusche gebrauchen.

Eine halbe Stunde später, als ich in frischen Klamotten am Küchentisch sitze und ein Salamibrötchen in mich reinstopfe, fühle ich mich wieder menschlich und in der Lage, auf die erhaltenen Nachrichten zu antworten.

Hey Luca meld dich doch bitte. M.

Würd echt gern wissen ob du ok bist.

Dann muss ich mir nämlich keine Sorgen um dich machen...

Die Sekunde, in der die Welt stillstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt