~ Dreiundvierzig Tage davor ~

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Es ist dunkel. Lautlose Stille umgibt mich und dennoch zucken meine Augen nervös hin und her. Mein Körper ist erwartungsvoll angespannt, und doch ich weiß nicht, auf was ich eigentlich warte.

Es ist warm. Mein Kopf sagt mir, dass das nicht stimmt. Unruhig drehe ich mich um. Aber hier ist niemand. Hier ist nichts. Nur ich. Alleine.

„Hallo?" Meine Stimme zittert, auch wenn ich mit aller Kraft versuche, meine Aufregung zu unterdrücken.

„Hallo?"

Ich drehe mich erneut um meine eigene Achse. Nichts. Nicht mal ein Echo.

Urplötzlich werde ich von gleißendem Licht geblendet. Alle meine Sinne schreien danach, wegzulaufen, doch ich bin wie erstarrt. Vergesse zu blinzeln, zu atmen.

Ich bin das Reh im Scheinwerferlicht.

Das Licht kommt näher. Wind zerzaust meine Haare. Das Röhren von Motoren und das Quietschen von Reifen schrillen in meinen Ohren und hämmern in meinem Kopf.

Dummes Reh.

Ein neues Geräusch zerschneidet die Luft. Ein gellender Schrei. Schmerz durchzuckt mich. Ich kann nicht mehr atmen.

„Hallo, hören Sie mich? Sie müssen atmen!"

Japsend schnappe ich nach Luft. Meine Rippen protestieren lautstark. Das gleißende Licht ist verschwunden, stattdessen ist es weder hell noch dunkel. In dem schummrigen Licht kann ich nur verschwommene Silhouetten ausmachen, die sich hektisch bewegen.

Ich brauche einen Moment, bis ich realisiere, dass sich niemand der Figuren für mich interessiert. Irgendwo auf dem Flur klingelt eine ziemlich penetrante Klingel.

Fröstelnd ziehe ich vorsichtig die Bettdecke höher. Mein Herz klopf so laut, dass ich jeden Schlag in den Ohren höre.

Ich hoffe, mein Zimmernachbar beeilt sich mit dem Atmen. Ich habe nicht vor, auch noch auf die übrigen Stunden Schlaf zu verzichten.

Ich muss irgendwann eingeschlafen sein, denn als ich wieder zu mir komme, liege ich verheddert in dem ganzen Kabelgewirr, das mich mit den zahlreichen Monitoren verbindet, in meinem Bett, die Bettdecke zur Hälfte unter mir begraben. Blinzelnd öffne ich die Augen.

„Guten Morgen, Julika."

Vor Schreck zucke ich zusammen, was mich wiederum vor Schmerzen zusammenzucken lässt. Stöhnend versuche ich, mich aufzusetzen.

„Komm, ich helfe dir."

Die Schwester reicht mir einen Arm und stützt mich beim Aufsetzen. Ich kneife die Lippen zusammen, als sie die Bettdecke unter mir wegzieht, sage aber nichts.

„Konntest du einigermaßen schlafen in der Kabellage?" fragt sie mitfühlend, als sie mir die Decke ordentlich wieder über die Beine legt und glattstreicht.

„Geht so", brumme ich und bemühe mich, nicht allzu sehr das Gesicht zu verziehen.

„Du hast es ja jetzt geschafft." Die Schwester schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. „Nach dem Frühstück tauschen wir dieses Intensivzimmer gegen ein schöneres Stationszimmer.

Mühsam würge ich eine Scheibe trockenes Weißbrot hinunter und trinke ein Glas Wasser. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal etwas Leckeres gegessen habe.

Die Schwester, die mir das Essen gebracht hat, wirft mir einen missbilligenden Blick zu, als sie das noch halbvolle Tablett sieht. Nicht meine Schuld, wenn das Brot zu trocken und die Wurst zu fettig ist.

Wortlos schlucke ich den Haufen Tabletten, die sie mir gibt. Sie schmecken widerlich und manche sind so groß, dass ich das Gefühl habe, sie würden in meinem Hals steckenbleiben.

Die Sekunde, in der die Welt stillstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt