║Dreiundvierzig Tage danach║

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Es ist Samstag. Freitag habe ich meine letzte Prüfung für dieses Semester geschrieben. Max schreibt seine am Montag.

Dienstag geht es los.

Die wichtigsten Sachen habe ich schon gepackt. Ich habe mir vorgenommen, nur das Nötigste mitzunehmen, auch wenn ich nicht wirklich sicher sein kann, was auf mich zukommt. Weniger Gepäck – weniger Ballast. Ein paar Sachen, die noch fehlen, besorge ich gerade in der Stadt.

Die Sonne scheint strahlend am Himmel. Schnaufend öffne ich meine Jacke. Heute ist es urplötzlich warm geworden. Als hätte sich der Winter von heute auf morgen verabschiedet.

Mir soll es recht sein.

Die Sonne wird von den gläsernen Fensterscheiben reflektiert und taucht die schmale Fußgängerstraße in gleißendes Licht. Menschen, zu Scharen hervorgelockt durch die Wärme, schlendern fröhlich durch die Straßen. Lachende Kinder albern ausgelassen herum, entspannte Eltern beobachten sie stolz und genießen das tolle Wetter. Ein paar Freunde aus der Uni treiben sich genau wie ich auf der Straße herum. Ich kenne sie nicht gut genug, um wirklich mit ihnen abzuhängen, und zu gut, für einfach nur ein freundliches Wort. Schließlich landen wir spontan in einem gerade neueröffneten Café.

Ich erfahre, dass Tom mit seiner Freundin für ein paar Tage hoch an die Nordsee fährt, und dass gerade der neuste Teil eines scheinbar bekannten Games neu auf dem Markt ist. Ich komme nicht dazu, ihnen von meinen Reiseplänen für die Semesterferien zu erzählen. Eine Stunde später beginnt sich unsere Versammlung allmählich aufzulösen. Ich besorge noch die letzten Kleinigkeiten und mache mich dann wieder auf den Weg nach Hause. Kurz denke ich daran, einen kleinen Abstecher zu Max zu machen, doch dann überlege ich es mir anders. Max ist sicher noch mit Lernen beschäftigt.

Zuhause werde ich von einer sonnendurchfluteten Wohnung empfangen. Obwohl die Luft an sich noch ziemlich frisch ist, öffne ich meine Balkontür und genieße das Prickeln der kalten Luft auf meiner Haut. Als es mir zu kalt wird, schließe ich dir Tür wieder und beginne dann damit, meine restlichen Sachen für Dienstag zusammenzusuchen. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der für jede kleinste Reise perfekt vorbereitet ist und der seine Sachen schon Tage vorher abfahrbereit gepackt hat. Ich bin da eher spontan. Aber diesmal ist es anders.

Diesmal will ich alles richtig machen.

Es soll perfekt werden.

Als ich dreimal nachgeschaut habe, ob ich auch alles Nötige verstaut und nichts vergessen habe, ziehe ich seufzend den Reisverschluss von meiner Tasche zu, damit ich ja nicht auf die Idee komme, noch ein viertes Mal nachzuschauen und noch mehr Sachen reinzustopfen, und verstaue sie dann neben meinem Schrank in der Ecke. Besser ich riskiere gar nicht erst, in die Versuchung zu kommen, die Tasche doch wieder zu öffnen.

Mit zu viel freier Zeit und keiner wirklichen Beschäftigung, komme ich seit Monaten mal dazu, meine Wohnung von oben bis unten auf Vordermann zu bringen. Dinge die ich schon längst erledigt haben wollte, werden nun auch endlich mal abgearbeitet und Sachen, die ich schon längst loswerden wollte, wandern dorthin, wo sie hingehören. Ich finde Sachen wieder, die schon so lange verschollen sind, dass ich sie gar nicht mehr vermisst habe. Gerade als ich den Turm an Durcheinander, der sich im Abstellraum aufgeschichtet hat, an die Grundmauern will, fällt mir ein Post-it ins Auge. Darauf stehen nur drei Zahlen, geschrieben in meiner eigenen, krakeligen Handschrift.

Sechs. Null. Drei.

Unbewusst fahre ich mit dem Daumen die Zahlen nach, als mir schlagartig schwindelig wird. Ich stütze mich an der Küchentür ab, damit ich nicht das Gleichgewicht verliere, doch der Schwindel lässt nicht nach. Meine Beine beginnen zu zittern und mir ist abwechselnd heiß und kalt. Langsam lasse ich mich an der Wand hinunter auf den Boden sinken. Meine Hand ballt sich so fest zur Faust, dass kleine rote Druckstellen an den Stellen zurückbleiben, an denen sich meine Fingernägel in meine Handfläche bohren.

Die Sekunde, in der die Welt stillstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt